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Bauprojekt vor KopenhagenSturmflut-Barriere bedroht Ostsee

Die dänische Regierung will Kopenhagen ab 2022 mit einer künstlichen Insel vergrößern. Kritiker bemängeln das Fehlen einer umfassenden Umweltprüfung.

Hier soll die Halbinsel Lynetteholm mit Wohnungen für 35.000 Menschen entstehen Foto: Ritzau Scanpix/imago

Stockholm taz | 85 Prozent der Mitglieder des dänischen Folketing ließen sich nicht überzeugen. Auch nicht von den DemonstrantInnen, die sich vor dem Schloss Christiansborg in Kopenhagen, dem Sitz des Parlaments, versammelt hatten und „Stop Lynetteholmen“ forderten.

Die Abgeordneten segneten am Freitag das Gesetz L 220 ab, das den Weg für ein seit Jahren umstrittenes Bauprojekt freimacht: Vor Kopenhagen soll für einen neuen Stadtteil eine künstliche Halbinsel angelegt werden, die in die Meerenge des Öresunds hineinragt. Mehr als 100 Mil­­­lionen Tonnen Erde und Sand sollen hier aufgeschüttet werden. Als Baubeginn ist 2022 anvisiert.

„Lynetteholm“, wie die Insel heißen soll, würde das größte Bauprojekt der dänischen Geschichte werden. Auf einer Fläche von drei Quadratkilometern sollen Wohnungen für 35.000 Menschen mit der dazugehörenden Infrastruktur entstehen. Dabei betonen die PlanerInnen gern einen zusätzlichen Effekt: Mit der künstlichen Halbinsel entstehe eine Barriere, die dazu beitragen könne, dass die KopenhagenerInnen auch künftig bei Sturmfluten keine nassen Füße bekommen. Auch nicht, wenn der Meeresspiegel bis 2100 wegen der globalen Erhitzung um einen halben Meter ansteigt, wie die Szenarien vorhersagen.

GegnerInnen des Mammutprojekts befürchten aber einen ganz anderen Barriereeffekt: Der Wasseraustausch mit der Ostsee könnte nachteilig beeinflusst werden. Und das dürfte dem Binnenmeer zu schaffen machen, dem es schon jetzt nicht gut geht. Das relativ kleine und flache Meer leidet unter einem extremen Sauerstoffmangel, weil es von viel landwirtschaftlich genutzter Landfläche umgeben ist, die es mit einem Überangebot von Nährstoffen anreichert. Die Folge: Eutrophierung. Sogenannte tote Zonen, in denen nur noch Bakterien existieren können, haben sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgebreitet.

Die neue Barriere könnte den Wasseraustausch über den Öresund behindern

Dass es um die Ostsee nicht noch schlimmer steht, ist nur dem Einströmen sauerstoffreichen und salzhaltigen Wassers durch die Meerengen zu verdanken, die sie mit der Nordsee und damit dem Nordatlantik verbinden: dem Öresund sowie dem Großen und Kleinen Belt.

Umweltverbände gegen Bau

„Und nun drückt man einfach auf den Knopf und startet ein solches Projekt, ohne dass dessen Effekte auf Natur und Umwelt auch nur hinreichend untersucht worden sind“, kritisierte Torsten Gejl, der Frak­tionsvorsitzende der rot-grünen Alternative, bei der Parlamentsdebatte.

Der Bau der Halbinsel könne zu „inakzeptablen Konsequenzen“ für die Ostsee führen und damit die Bemühungen der Anrainerstaaten, den bedrohten Status des Binnenmeers zu verbessern, konterkarieren, argumentiert auch die Coalition Clean Baltic. Das Bündnis von 24 Umwelt-NGOs aus 11 Ländern der Ostseeregion versuchte vergeblich, das Folketing in letzter Minute zu überzeugen, seinen Beschluss zumindest zu vertagen.

Die Lynetteholm-Pläne sind gesetzwidrig und würden spätestens vom EU-Gerichtshof kassiert werden, da ist sich Ellen Margrethe Basse, Umweltrechts­professorin an der Universität Aarhus, sicher. Schließlich sei keine umfassende Umweltfolgenanalyse durchgeführt worden. Stattdessen hätten die Behörden das Projekt mit einer Salamitaktik in mehrere Teilprojekte aufgespalten, die nur jeweils isoliert geprüft würden.

Deshalb, so Basse, gebe es bislang keine Analyse, welche Auswirkungen die Bauphase auf einen Bestand von Schweinswalen haben werde, die dort ihr Revier hätten. Schweinswale sind nach der Habitat-Richtlinie der EU geschützt und wären allein schon durch den Baulärm gefährdet.

Anrainer-Staaten ungenügend beteiligt

Peter Pagh, Professor für Umweltrecht an der Universität Kopenhagen, teilt diese Einschätzung: Aufgrund der bisherigen Praxis des EU-Gerichts wäre es „sehr überraschend“, wenn es dieses Vorgehen akzeptieren würde, sagt er.

Nach einem Kläger wird man nicht lange suchen müssen: Polen, Litauen und Finnland haben sich bereits beschwert, dass Dänemark gegen die sogenannte Espoo-Konvention verstoßen habe, die bei Projekten mit grenzüberschreitenden Konseqenzen die Anhörung aller betroffenen Staaten fordert.

Angehört hatte Dänemark aber lediglich das Nachbarland Schweden – und auch das protestierte vergeblich. Schweden hatte kritisiert, es sei zu erwarten, dass der Öresund durch die Bauarbeiten massiv verschmutzt würde; auf schwedischer Seite wären davon mehrere Natura-2000-Schutzgebiete betroffen. Zudem würde die künstliche Insel wichtige Lebensräume für Tiere und Pflanzen zerstören, etwa das Seegras, das als Laich- und Brutplatz für viele Fischarten von hoher Bedeutung sei. Es sei nicht zu rechtfertigen, dass 300 Hektar Meeresfläche für ein solches Projekt für immer verloren gehen.

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1 Kommentar

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  • Was an diesem Projekt zeitgemäß und nachhaltig sein könnte, ist wirklich kaum vorstellbar.



    Widerspricht doch vollkommen das sonst so umweltprogressive Agieren und die Image der Hauptstadt Kopenhagen und Dänemark als Vorbild mit Windrädern und Fahrradfahren.



    Oder ist heute 1. April?