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Kolonialisierung MexikosHagelsturm über dem Templo Mayor

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador fördert ein geschichtliches Superjahr, um sich selbst zu inszenieren.

Präsident López mit der brasilianischen Ex-Präsidentin Rousseff in Tenochtitlán Foto: Luis Barron/imago

S eit Langem erinnert eine große graue Wurzel einer Zypresse in Mexiko-Stadt an ein Ereignis, das als „noche triste“ als „traurige Nacht“, in die koloniale Erzählung eingegangen ist. Dort sollen Truppen des Eroberers Hernán Cortés angegriffen worden sein, als sie gerade die Azteken-Metropole Tenochtitlán mit einer großen Beute verlassen wollten. Mehrere Hundert Spanier sollen damals zudem den aztekischen Göttern geopfert worden sein. So jedenfalls besagt es die Legende.

Eine traurige Nacht? Nicht für die Azteken, die später von Cortés’ Leuten niedergemetzelt wurden. Hauptstadt-Bürgermeisterin Claudia Sheinbaum hat deshalb mit dieser Interpretation Schluss gemacht und die Stätte in den „Baum der siegreichen Nacht“ umbenannt. Die Regierung erinnere damit an jene, die von den Kolonisatoren gezielt unsichtbar gemacht worden seien, erklärte sie. Eine Straße, die bislang den Namen von Cortés’ Statthalter Pedro de Alvarado trug, heißt nun Avenida México-Tenochtitlán. Alvarado hat im Templo Mayor, dem Herrschaftszentrum von Tenochtitlán, während einer heiligen Zeremonie ein Massaker verübt.

Genau 500 Jahre nach der Eroberung Mexikos 1521 steht die Kolonialisierung wieder auf der Tagesordnung. So widmet die Nationale Autonome Universität von Mexiko (UNAM)dem Thema 250 Veranstaltungen: Konferenzen, Konzerte, Filmvorführungen. Eine digitale Ausstellung zeigt Wandmalereien, Fotos und Zeichnungen vom Leben in der Stadt, von Annäherungen zwischen Cortés und dem Aztekenherrscher Cuauhtémoc und auch vom brutalen Vorgehen der Kolonisatoren.

Zu Recht weist UNAM-Rektor Enrique Graue darauf hin, dass die sexuellen, rassistischen und soziale Diskriminierungen in der machistischen Gesellschaft seit fünf Jahrhunderten anhalten. Doch ob seine Worte helfen, damit die Nachfahren der damaligen Einheimischen in dieser Debatte nicht nur als Opfer auftauchen, ist fraglich. Bisher sind vor allem die Zapatistas selbstbewusst in Erscheinung getreten.

Gründung der Azteken-Metropole

Eine siebenköpfige Delegation der indigenen Rebellinnen und Rebellen hat sich in einem Segelschiff auf den Weg nach Europa gemacht, weitere Compañeros sollen nachkommen. Dort wollen sie mit Gleichgesinnten über gemeinsame Kämpfe diskutieren und am 13. August, dem Tag des Falls von Tenochtitlán, nach Madrid reisen. „Aus dem Osten kamen Tod und Sklaverei“, erklärten sie vorab, „mögen morgen Leben und Freiheit nach Osten segeln.

Das klingt, wie manches der Zapatistas, etwas pathetisch. Dennoch ist die Art und Weise, wie die indigenen Aufständischen die koloniale Unterdrückung ansprechen, vielversprechender als die des Präsidenten Andrés Manuel López Obrador. Der Staatschef, der gerne in historischen Kategorien denkt, fördert ein geschichtliches Superjahr, um sich selbst zu inszenieren: 700 Jahre Gründung von Tenochtitlán, 500 Jahre Eroberung, 200 Jahre Unabhängigkeit von Spanien. Vergangene Woche ließ er sich wegen der vermeintlichen Gründung der Azteken-Metropole, auf der später Mexiko-Stadt erbaut wurde, von Indigenen am Templo Mayor einen traditionellen Befehlsstab überreichen.

Nun besteht zwar kein Zweifel daran, dass sich Mexiko 1821 von der Kolonialmacht befreite. Ob Tenochtitlán aber 1321 gegründet wurde, gilt als unwahrscheinlich. Der Präsident hat den Termin offensichtlich seiner politischen Agenda angepasst. Der renommierte Archäologe Eduardo Matos wirft López Obrador deshalb bewusste „historische Manipulation“ vor.

Viele seiner Kollegen teilen diese Meinung. Die Restaurateure, Anthropologinnen und Archäologen, die im Tempel arbeiten, nahmen deshalb nicht an López Obradors Würdigung teil. Sie sind zudem sauer, weil das Geld für die archäologische Arbeit fehlt. Jüngst hat nun auch noch ein Hagelsturm das Dach zum Einsturz gebracht, das den Templo Mayor schützt. Eine späte Rache des aztekischen Regengottes Tlaloc?

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Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.
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1 Kommentar

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  • Möchtegern Autokraten lieben so etwas.