piwik no script img

Künstler gegen CoronamaßnahmenSongs über „Die“

Bei Corona auf Streit gebürstet: An Musikern wie Van Morrison oder den Schauspielern von #allesdichtmachen spalten sich die Meinungen.

Van Morrison performt auf einem Festival in Spanien 2018, noch vor Corona Foto: Adrián Ruiz-Hierro/Agencia EFE/imago

Sing it for me / sing it for you / sing it for the people / who feel the same the way I do. Thank God for the blues!“ Angeblich hat man ihn, den Blues, oder eben nicht. Van Morrison hat ihn. Mit „Them“ zeigte er der Welt 1964, wie schlüpfrig und energetisch drei Akkorde klingen, wenn man den richtigen Frauennamen („Gloria!“) darüberschreit, mit „Brown Eyed Girl“ bewies er sich als Solokünstler und Songwriter, bis heute hat er 36 Alben veröffentlicht. 75 Jahre alt ist „Van the Man“, Grammy-Preisträger, Mitglied in der Rock-’n’-Roll- und Songwriter-Hall of Fame. 2016 wurde der Nordire zum „Knight Bachelor“ geschlagen.

Aber soll jener Blues, für den er sich in einem der 28 Songs auf seinem neuen Album „Latest Record Project Volume 1“ bei Gott bedankt, tatsächlich nur Menschen erreichen, die denken wie er? Die ebenfalls sicher sind, dass „Wissenschaftler falsche Fakten erfinden“, dass die „faschistische Polizei“ uns „die Freiheit nimmt“ und die Regierung das Ziel verfolgt, „uns zu versklaven“?

Mit Songs wie „No More Lockdown“, aus dem jene Zeilen stammen, oder „Stand and Deliver“ hatte sich Morrison, teilweise mit Unterstützung des Gitarristen Eric Clapton, im letzten Jahr als Gegner der staatlichen Coronamaßnahmen positioniert. Sein neues Album, das am 7. Mai erschien, wird somit anders gehört werden als frühere Werke – und gehört damit vielleicht zu einem Phänomen.

Die Rezeption verändert sich

Dass Künst­le­r:in­nen sich deutlich politisch äußern, dass Punkbands zu sperrigen Sounds Kritik herausbrüllen, Folk­sän­ge­r:in­nen leise zu Gitarre anklagen, Rapper sprachlich provozieren, ist der älteste Hut der Welt. Aber in dieser Welt verändert sich gerade die Rezeption sämtlicher Kunst, inklusive dem „unpolitischen“ Mainstream, zu dem (für die Älteren) Bluesrock und (für die Jüngeren) Pop zählen.

Denn die Pandemie und ihre Maßnahmen werden je nach Gesundheit, finanzieller Sicherheit, persönlicher Resilienz und Erfahrung unterschiedlich empfunden. Dabei macht gerade das Unspezifische, Allgemeingültige einen Teil jener Qualität aus, die Pop und Rockmusik so viele verschiedene Menschen berühren lässt.

Debattierende in sozialen und anderen Medien warfen sich gegenseitig Hirnverbranntheit vor

Diese kollektive Wirkung lag einerseits im gemeinsamen Hörerlebnis etwa bei Konzerten oder in Clubs – Situationen, die in Zeiten des Social Distancing flachfallen. Andererseits waren die in Pop-Texten vielbenutzten Personalpronomen „I“, „We“ oder „You“ hervorragend auf Beziehungen, auf Liebes(kummer)dinge anwendbar: Das lyrische „Ich“ singt für ein lyrisches „Du“, vor allem das selige „Wir“ symbolisiert die ganze romantische Palette des gemeinen Drei-Minuten-Lovesongs.

Doch nun geht es, wie im Beispiel Van Morrison, nicht mehr um „uns“, sondern um „die“. Und der inkludierende Song beginnt zu distanzieren: „They Own the Media“, heißt ein Stück auf der Van-Morrison-Platte. „They own the media / They control the stories that are told / They control the narrative / Keep on telling you lies“ – das ominöse „Sie“, das Morrison nicht spezifiziert, ist also eine Gruppe, zu der man nicht gehört, die einem Übles will, die alles kontrolliert – eine klare Verschwörungserzählung. Vier von den musikalisch unauffälligen 28 Songs auf dem Album sind eindeutig mindestens maßnahmen- und regierungskritisch, drei sind frei von jeglichem polemischen Geschmäckle – darin geht es um die Liebe. Der größte Teil der Platte ist perfiderweise ambivalent.

Unabhängig von der geschmacklichen Frage, ob der ewig schon auf der gleichen Bluesnote swingende Morrison, dessen Musik mittlerweile keinen Dudelsender dieser Welt überfordert, einem überhaupt noch etwas geben muss: Wer nicht tiefer hineinhört in die Platte, wessen Englisch dürftig ist, wem Texte eh egal sind, der nimmt klassische radiotauglische Songs wie „Thank God for the Blues“ einfach als Blueshymne.

Will ich über eine Meinung hinwegsehen?

Die anderen werden durch Morrisons Haltung in den Diskurs um Künst­le­r:in und Werk gezwungen, der seit Längerem und zu Recht scharf vor allem bei Künstlern geführt wird, die verurteilte oder mutmaßliche Straftäter sind (Michael Jackson, Gary Glitter, Roman Polanski). Eine Debatte, deren Positionen man subjektiv finden muss: Kann und will ich über eine andere Meinung hinwegsehen? Kann ich also „Gloria“ noch hören, zu Morrissey noch tanzen? Oder muss ich bei meiner Kulturrezeption konsequent verfolgen, was ich auch in Diskussionen vertrete? Und inwiefern treffe ich damit die richtigen Leute?

Eine weitere, durch die Pandemie verursachte oder verstärkte Spaltung beim Konsumieren von Mainstreamkultur deutet sich als Konsequenz von Kampagnen wie #allesdichtmachen an: Vor dem letzten Münster-Tatort gab es Boykottaufrufe wegen Jan Josef Liefers’ Teilnahme an der Aktion, der Film unter der Regie von Brigitte Maria Bertele wurde mit 14,22 Millionen Zu­schaue­r:in­nen allerdings eines der erfolgreichsten Werke der Reihe.

Debattierende in sozialen und anderen Medien warfen sich gegenseitig Hirnverbranntheit vor: „Ist mir doch egal, was der Liefers privat sagt“, „Produktions-Sippenhaft ist ungerecht“ gegen „Den schau ich mir nie mehr an“. Nicht wenige versuchten zudem, in den Textzeilen des fiktiven Rechtsmediziners Prof. Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne, Liefers’ Figur, Zweideutigkeiten zu entdecken. Obwohl das Drehbuch von Elke Schuch nichts zu Coronamaßnahmen oder ideellen Grabenkämpfen beinhaltet, selbst bei großzügiger Interpretation.

Dass Liefers sich selbst via Instagram beim Publikum für „ein eindrucksvolles Statement“ bedankte, wurde ebenfalls unterschiedlich gedeutet. Vielleicht freut er sich, dass so viele Menschen anscheinend tatsächlich niemanden in Sippenhaft nehmen, selbst wenn sie die Aktion ablehnen. Vielleicht nimmt er aber auch an, dass die Zu­schaue­r:in­nen sich „eindrucksvoll“ für die Aktion positioniert haben.

Vergessen, was passiert ist?

Doch wenn die Pandemie vorbei oder „im Griff“ ist, wenn wieder andere Themen die privaten und politischen Gespräche dominieren, wenn das kollektive Hör- (und hoffentlich auch das cineastische Seh-)Erlebnis wieder möglich ist – was ist dann mit den Gräben, die in den aktuellen hitzigen Auseinandersetzungen ausgehoben werden? Kann und soll man sie wieder zuschütten? Vergessen, was passiert ist? Sich bei „the people / who feel the same way I do“ nur als Blues-Fans angesprochen fühlen?

Weil die Menschen – das hat die Krise wieder mal gezeigt – selbst als Fans der gleichen Kunst, der gleichen Musik enorm unterschiedlich sind, werden sie auch diese Fragen subjektiv beantworten. Einige werden nicht vergessen, andere sofort, wieder anderen ging die Debatte ohnehin am Hintern vorbei.

Mit der politischen Unschuld, die Massenkultur in ihrer Funktion als inkludierendes, soziales Ereignis hatte, das auf einer humanistischen Ebene den Zusammenhalt stärkte, wird es jedenfalls vorbei sein. Die Kultur wird sich verändert haben – auch, weil viele Künst­le­r:in­nen aufgeben mussten und die kulturelle Welt nicht länger mitprägen. Und weil die Geschichten und Texte von Pan­de­mie­erfahrungen geprägt sein werden. Vor allem jedoch durch die Spaltung.

Es bleibt eine Hoffnung: Vielleicht kann man diese Entwicklung zu einer Stärkung des kulturgeschmacklichen Individualismus umdeuten, zur Abkehr vom Mainstream. Schließlich hieß das 1959 erschienene, vierte Elvis Presley-Compilation-Album: „50.000.000 Elvis Fans Can’t Be Wrong“. Und das stimmte schon damals nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Trottel gibt es weltweit!

  • Der Text wirft einige Fragen bei mir auf:

    Wie halten wir es eigentlich mit der Unschuldsvermutung, wenn wir "verurteilte und mutmaßliche Straftäter" in einem Satz zusammen werfen?

    Und dürfen wir uns eigentlich noch als Verfechter von Meinungsfreiheit sehen, wenn wir zum Boykott und damit der wirtschaftlichen Schädigung von Personen aufrufen, weil sie eine bestimmte Meinung vertreten?

    Wie frei ist Kunst noch, wenn wir Künstlern unterstellen, dass die in ihren Werken vertretenen Meinungen ihre eigenen sind?

    Zu guter Letzt wirft das ganze auch praktikable Fragen auf:

    Soll ich "Die üblichen Verdächtigen" wegen der angeblichen sexuellen Belästigungen eines Kevin Spacey verdammen, oder soll ich den Film zum Nutzen des Opfers von sexueller Belästigung, Gabriel Byrne, loben?

    Muss ich beim Ansehen von "Planet der Affen" im Hinterkopf mitführen, dass Charlton Heston Präsident der NRA war? Oder soll ich daran denken, dass er sich für die Bürgerrechtsbewegung und gegen Rassendiskriminierung einsetzte?

    Wer den Song "Gloria" aus dem Jahr 1964 mit den Texten des Songwriters im Jahr 2021 in Verbindung bringt, postuliert eine Kontinuität in der Persönlichkeit, die man nur selten findet.







    Es bleibt schwierig: Großartige Musiker können dummes Zeug reden. Das sollte man ihnen -widersprechend- zugestehen.

    Und wir sollten andererseits froh sein, dass politische Intelligenz, soziales Engagement und persönliche Integrität _nicht_ die entscheidenden Kriterien sind, nach denen Filmrollen besetzt werden.

    • @Richard V.:

      Nur kurz (3. Abschnitt Ihres Kommentars):



      Meinungsfreiheit bedeutet, dass jeder ohne juristische Konsequenzen nahezu alles in der Welt herumposaunen darf, was er möchte.



      Aber wenn mich jemand doof findet, dann muss ich den doch nicht zu meiner Geburtstagsfeier einladen.



      Was will ich damit sagen?



      Wenn jemand eine bestimmte Meinung vertritt und jemand anderes ruft deshalb zum Boykott und damit einer wirtschaftlichen Schädigung auf, dann ist die Meinungs- oder Kunstfreiheit selbstverständlich trotzdem gewahrt.



      Insofern kann ich Ihre Frage in dritten Abschnitt Ihres Kommentars gefahrlos mit "Ja" beantworten.

      Zum vierten Abschnitt:



      Ob jemand die in den Werken eines Künstlers vertretenen Meinungen für die Meinungen des Künstlers hält, hat mit der Freiheit der Kunst nicht zu tun.



      Oder wollen Sie allen Ernstes postulieren, dass die Freiheit der Kunst eingeschränkt wird, wenn jemand in bestimmter Weise über einen Künstler und dessen Kunst nachdenkt? Ich dachte eigentlich immer, dass es unter anderem bei Kunst genau darum geht, naja egal.



      Wenn ich Alicia Keys doof finde, weil die Songs immer in a-moll sind, kann ich das machen, das hat doch mit Freiheit der Kunst nichts zu tun.



      Insofern kann ich Ihre Frage in vierten Abschnitt Ihres Kommentars gefahrlos mit "So frei, wie vorher auch." beantworten.

      Denn es gilt nach wie vor: Nicht nur die Kunst ist frei, auch die Wahrnehmung der Kunst ist frei.



      Ich durfte schon immer und darf auch jetzt noch über einen Künstler und dessen Werk denken, was ich will.

      Und Wahni Morrison ist halt ein Idiot.



      Einige seiner Alben sind trotzdem musikalisch über jeden Zweifel erhaben.



      Ich persönlich werde diese Alben auch jetzt noch gern hören. Ich habe mich entschieden, zu akzeptieren, dass Menschen sich ändern können. Und ich höre halt den Van Morrison "von früher" ;-)

  • Oskar Negt erinnerte 2013 daran, wie die Bedeutung von Wörtern sich ändern:



    bei den antiken Griechen bedeutete "Idiotes" Privatmann. also jemand, der an sich denkt und nicht die Perspektive des politischen Menschen einnimmt.



    Auf einmal sollen diese erfolgreichen Künstler solidarisch sein. Da protestieren sie.

  • Ich war tief erschüttert, als ich den Text dieses Songs hörte.

    Jetzt hat es nach den ganzen Trotteln einen von den Guten erwischt.

  • Zumindest war Van Morrison mal ein grosser Künstler, um Liefers oder Naidoo ist es ja nicht wirklich schade ...

  • Was ihr als 'Gräben' beschreibt, sind für mich einfach unterschiedliche Ansichten. Ich bin froh, dass es die gibt, auch wenn ich anderer Meinung bin. Ich finde, dass Medien erst durch das Skandalisieren 'anderer' Meinungen anstelle von einfachem darüber berichten, Spaltungen erzeugen.

  • "Kann und will ich über eine andere Meinung hinwegsehen?"

    Die Frage allein ist gruselig.

  • 2G
    20226 (Profil gelöscht)

    Ich denke nicht, dass die Spaltung etwas mit Corona zu tun hat. Die Spaltung gab es schon vorher, sei es zu den Themen z.B. Krimkrise, Flüchtlingspolitik, Identitätspolitik, ... Selbst vor 2015, als die Spaltung hart zugenommen hat, gab es ähnliche Streits zu Themen wie ADHS und Fluor in Zahnpasta. Ich denke eher, dass das Ganze ein Internetphänomen ist. Wer am lautesten Schreit wird am ehesten wahrgenommen.



    Habe mich heute noch mit einem Freund über das Thema soziale Netzwerke unterhalten. Keiner kennt irgendwen, der extrem auf irgendeiner Seite steht, egal zu welchem Thema. Aber Online kann man das Gefühl bekommen, die Menschen verlieren 90% ihres Gehirns. Offline führen unterschiedliche Meinungen nicht zum Streit. Selten. Wir sind alles Junkies. Das Internet ist eine Droge, die uns dumm macht ... tippe ich nachts um 4:28 in mein Handy. Morgen auf der Arbeit bin ich ein Zombie. Prost.

  • Morrison ist musikalisch ein Genie, menschlich-politisch m. E. eine Pfeife. Wäre es besser andersrum? "Das Genie ist ein schlechter Nachbar." (Lessing) Aber es bleibt ein Genie.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @knackwurst:

      Yeah!

  • Warum soviel Text, für so wenig Inhalt?



    Kurz und knapp. Keiner denkt sich Seuchen aus. Seuchen passieren und Seuchen gibt es seit es Zivilisation gibt. Der eine denkt so darüber der andere so. Manche benutzen Sprache und manipulieren damit gewollt oder ungewollt die Massen.