Gärtner in Coronazeiten auf hohem Niveau: Eine grüne Revolution
Das Gärtnern hat auch dank Corona einen enormen Schub erfahren. Gärtnerisches Knowhow ist gefragt. Ein Besuch in der Königlichen Gartenakademie.
Die Königliche Gartenakademie liegt am Rande des Botanischen Gartens in Dahlem, besteht aus einer Gärtnerei inklusive Designstudio und Shop von Manufactum sowie (in coronafreien Zeiten) Café, Veranstaltungen und Gartenschule: Da treffen sich Gartenverrückte aus ganz Berlin. Nerds, wie sie in Deutschland noch immer nicht oft zu finden sind, die aber gerade – auch dank Corona – einen gewaltigen Zuwachs erleben.
Inzwischen ist es 13 Jahre her, dass es Gabriella Pape gelang, die 9.000 Quadratmeter große ehemalige Gartenlehranstalt zur Ausbildung von Gärtnern zu kaufen, die Gartenkünstler Peter Joseph Lenné 1823 in Potsdam gründete und 1903 nach Dahlem umziehen musste. Pape hat Gartenbau in Kew Gardens in London studiert, einem der ältesten und berühmtesten botanischen Gärten der Welt. 1992 etablierte sie in England mit Isabelle Van Groeningen, ihrer Partnerin im Geschäftlichen wie im Privaten, ein Designstudio.
2007 gestalteten beide einen Senkgarten in Anlehnung an den berühmten deutschen Staudenzüchter Karl Foerster und bekamen dafür die Silver-Gilt-Medaille, das ist eine Art Oscar für Profigärtner*innen. Als sie 2006 begannen, für die Gartenlehranstalt zu kämpfen, da wurden sie deshalb von vielen für verrückt erklärt. Das Gelände mit den schönen Glashäusern war heruntergekommen, wurde nur noch teilweise von der TU genutzt. Keiner habe verstanden, warum sie dafür aus dem Gartenparadies England weg wollte.
Gartenkultur an jedem Ort
„Berlin war damals eine Wüste“, sagt Pape. Die Stadt war so durstig nach Grün wie nach Ideen. „Mein Ansinnen war zu zeigen, dass Gartenkultur an jedem Ort funktioniert und man Menschen damit verändern kann“, fügt sie an. „Ich glaube, es ist mir gelungen.“
Wer an einem sonnigen, aber noch ziemlich kühlen Aprilnachmittag einmal das Glück haben sollte, mit Gabriella Pape durch die Königliche Gartenakademie spazieren zu dürfen, der wird Schwierigkeiten haben, ins konzentrierte Gespräch zu finden. Egal, wohin Auge, Ohren und Nase reichen: Überall Blüten, Düfte, Vogelgezwitscher und Bienensummen.
Gabriella Pape, Gartenakademie
Unter einer großen Mädchenhaarkiefer, wo vor Corona die Cafégäste saßen, blüht ein Meer von blauen Puschkinien. Ein Mann um die 50 bewundert einen gewaltigen Rosmarinstrauch. Zwei Freundinnen um die 20 halten kleine Töpfe mit fünf oder sechs Sorten der eher weniger bekannten Staudenpflanze Wolfsmilch nebeneinander.
Gut: Die für deutsche Gärten typischen Friedhofsgewächse wird man hier vergeblich suchen. Auch Schottergärten sind hier Fehlanzeige. Dafür ist die Auswahl riesig. Und selbst wenn die Pflanzen hier nicht billig sind, bekommt man auch kleine Töpfe für 3,80 Euro. Hinzu kommt die Beratung. Hier weiß jede*r Gärtner*in, wie selbst noch die schwierigste Problemzone des Gartens zu bepflanzen ist. Und im Designstudio kann man sich für einen Euro pro Quadratmeter einen „Masterplan“ für den Garten erstellen lassen.
Eher inklusiv als exklusiv
Der Ansatz, den sie hier verfolgen, ist also eher inklusiv als exklusiv. Das einzige Manko: Die meisten der hier erhältlichen Pflanzen sind nicht selbstaufgezogen, sondern eingekauft. Gabriella Pape meint, sie würden es gar nicht schaffen, die Menge der hier nachgefragten Pflanzen selbst zu ziehen.
„Ich würde sagen, dass ich mit dem Zug losgefahren bin, anstatt hinten aufzuspringen“, sagt Pape zu ihrer Entscheidung für Berlin in einem ihrer Gewächshäuser, das vom Zitronenduft meterhoher, rankender Exemplare seltener Geranien aus Madeira erfüllt wird. „Da ist eine Blüte aufgegangen“, grinst sie verschmitzt. „Und ich bin ganz sicher: Es ist kein One Day Wonder“.
Das One Day Wonder: Damit meint Pape, dass die Gärtnereien umsatztechnisch ungeheuer von Corona profitieren, ähnlich wie die Fahrradläden zur Zeit. „Statt teurer Fernreisen und Restaurantbesuche investieren die Menschen seit einem Jahr in ihre nähere Umgebung“, bestätigt dies Andreas Jende, Geschäftsführer des Gartenbauverbands Berlin–Brandenburg. Bundesweit ist der Markt um mehr als 5 Prozent gewachsen, für die Region wird Ähnliches gelten, in manchen Gärtnereien geht Jende sogar von 20 bis 30 Prozent mehr Umsatz im letzten Jahr aus.
Zwar galt vom 6. Dezember bis zum 8. März der Lockdown auch für Gärtnereien, aber für die meisten, die ohnehin erst wieder im März öffnen, bedeutete dies geringe Einbußen. Natürlich bedarf Pflanzenanzucht langfristiger Planung, kurzfristige Erweiterungen des Angebots sind kaum möglich, es kommt zu Lieferengpässen. Auch haben manche wie die Königliche Gartenakademie jetzt an sieben Tage die Woche auf – und selbstverständlich bedeutet das alles Verunsicherung und Stress. Aber eigentlich wirken die meisten Gärtner*innen, die man dieser Tage anspricht, trotzdem beschwingt.
Beginn einer Trendwende
Sie haben guten Grund dazu, denn eigentlich ist die Zahl der Zierpflanzenbaubetriebe mit Endverkauf, wie sie im schönsten Bürokratendeutsch heißen, aber auch die der Baumschulen und der Obst- und Gemüseanbauer in der Region seit Jahren stärker rückläufig als im Bundesgebiet. In Berlin und Brandenburg befinden sich ohnehin nur etwa 3 Prozent aller Produzenten von Obst, Gemüse, Blumen und Pflanzen bundesweit.
Die Region habe nach der Wende stark unter der flächendeckenden Versorgung mit Discountern und Baumärkten zu leiden gehabt, so Jende. Hinzu komme der Preisdruck durch die nahe Grenze zu Polen. Viele gute, alte, kleine Gärtnereien mit eigener Anzucht haben in den letzten Jahren aufgegeben. Trotzdem bemerken Jende wie auch Pape in jüngster Zeit und auch unabhängig von Corona so etwas wie den Beginn einer Trendwende.
Jende wie Pape wissen: Vor allem junge Menschen im urbanen Raum interessieren sich wieder zunehmend fürs Gärtnern. Die Kleingartenvereine in und um Berlin können sich vor Anfragen kaum mehr retten, ebenso die Initiativen, bei denen man sich ein Stück regelmäßig bewässerten Ackers zwecks Gemüseanbau mieten kann. Längst gehört es bei vielen Bewohnern*innen der Innenstadt zum Alltag, nach Feierabend noch ein bisschen beim urbanen Garten um die Ecke mitzubuddeln – ein Trend, den Institutionen wie der 2009 gegründete Prinzessinnengarten auf dem Moritzplatz angestoßen haben.
Engagierte Imker*innen bevölkern Berlins Dächer mit Bienen, immer mehr Berliner*innen gießen ihre Stadtbäume, werfen Samenbomben auf langweilige Verkehrsinseln, ernten Kräuter in den städtischen Parks und Wäldern, gestalten ihre Balkons insektenfreundlich um, studieren die Nachtigallen, die es eher in die Städte zieht als in die Monokulturen auf dem Land und gehen mit ihren Kindern zu den Fridays for Future-Demos. Und weil Berlin internationaler wird, bringen immer mehr Menschen aus aller Welt ihr gärtnerisches Knowhow in die Stadt. Die Menschen suchen mehr Muße, mehr Kontemplation und mehr Nachhhaltigkeit. All das verfolgt Gabrielle Pape aufmerksam. Und es lässt sie hoffen.
Schon im 18. Jahrhundert
Viele Kunden, die zum ersten Mal da sind, sagt sie, fühlen sich an englische Gärten erinnert. Andere kommen tatsächlich wegen des britischen Gärtners James Foggin, der hier Dozent ist und einen erfolgreichen Youtube-Kanal mit Gartentipps betreibt. Seine Anhänger wissen oft: Schon im 18. Jahrhundert waren es zuerst die Briten, die die strengen Formen des Barockgartens aufbrachen und ihre Gärten naturnah gestalteten.
Und während die Deutschen gerade erst anfingen, es den Briten gleich zu tun, wurde der Landschaftspark in England schon wieder revolutioniert. Der junge Gärtner William Robinson machte mit Büchern über Gärten voller Stauden und heimischer Wildpflanzen Furore. Vieles, was heute erst langsam in Deutschland durchsickert, hat er schon vor 150 Jahren erfunden: Blühende Wiesen statt Rasen, Kletterrosen in alten Bäumen und Pflanzen in Mauerfugen zum Beispiel. Gartenkunst ist in England kein Hobby für alte Leute, sondern Gegenstand von Literatur, Naturgeschichte, Naturphilosophie.
Es ist dieser kosmopolitische Ansatz, um den es sich in der Königlichen Gartenakademie dreht. Gleichzeitig aber geht es auch ums Regionale. Berlin-Brandenburg ist für passionierte Gärtner eine Herausforderung. Der Boden ist sandig, die Sommer werden dank Klimawandel heißer. Einige Wildstauden, die in Deutschland vor Kurzem noch als heimisch galten, werden in Brandenburg schon jetzt nichts mehr. Andere Pflanzen, die aus wärmeren Regionen stammen, sind in den seltensten Fällen invasiv, sondern guter Ersatz für hungrige Schmetterlinge und Wildbienen.
Gärtner*innen müssen hier noch kreativer sein als anderswo, dann bekommen sie selbst in Berlin und Brandenburg wuchernde Gärten hin – lebendige, bunte, offene Räume mit der Natur, nicht gegen sie.
Beruf des Gärtners ist attraktiv
Vielleicht hat Gabriella Pape Recht. Vielleicht wird von Berlin aus in diesem Land eine ganz neue, moderne Art der Gartenkunst entstehen. Das bestätigen die Umsätze, das bestätigt auch der Nachwuchs. Laut Ausbildungsstatistik des Bundesinstituts für Berufsbildung sind im letzten Jahr fast 5 Prozent mehr Neuverträge für die Ausbildung zum*r Gärtner*in abgeschlossen als im Vorjahr. Das ist besonders bemerkenswert, da viele Ausbildungsberufe rückgängige Zahlen haben. Der Beruf des Gärtners scheint attraktiver zu werden.
Aber woran liegt es eigentlich, dass er so lange so wenig anziehend war, dass der Garten den Deutschen lange so nebensächlich war?
Wir befinden uns fast am Ende des Spaziergangs durch die Akademie. Inzwischen sind wir in einem Glashaus voller Kartoffelsäcke angelangt, alte Sorten, die Pape ebenfalls zum Verkauf anbietet. Da denkt die große, lässige Frau mit der trockenen, hanseatischen Sprache und dem feinen, britischen Humor noch einmal lange nach. „Ich glaube, es lag am Zweiten Weltkrieg“, sagt sie. „Die Engländer waren schon längst wieder mit ihren Schneeglöckchen beschäftigt, als die Deutschen noch immer aller Welt zeigen mussten, Vorsprung durch Technik.“
Sie erinnert sich, wie fassungslos der Großvater war, als ihr Vater irgendwann einmal schicke Gartenmöbel aus Dänemark mitbrachte. „Sich im Garten hinzulegen, das war abstrus für einen, der nie frei gemacht hat.“ Dann grinst die grüne Revolutionärin noch einmal schelmisch und widmet sich wieder einer Pflanze.
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