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Bis man nur noch schreit

Das Schlimmste am Homeoffice ist das Telefon, an das nie einer rangeht. Dabei hatte ich anfangs gedacht, dieses Nur-noch-Telefonieren wäre das Beste an der ganzen Coronasituation

Von Petra Schellen

Das Übel ist das Telefon. Diese trügerische Maschine, die angeblich Kontakt zur Außenwelt herstellt und ihn in Wahrheit blockiert. Weil man ja nur als Stimme im Nirwana hängt, das Gegenüber weder umarmen noch schütteln und jederzeit abgehängt werden kann.

Dabei war ich zu Beginn des Homeoffice vor einem Jahr so dankbar für die neue Distanz: endlich in Sicherheit recherchieren statt unter Viren. Themen gab es – nun ja, in meinem, dem Kulturressort, im Lockdown nicht überbordend, aber doch genügend, mit Büchern, Balkonkonzerten, Netzkunst und all dem.

Alles soweit okay und gut. Aber irgendwann kam dieses Pflege- und Impfthema oben drauf. Die Aufgabe, für betagte Eltern aus der Ferne Pflegegrade, Notruf-Haustelefone und Impftermine zu organisieren. Das hat das ohnehin schüttere Fell noch dünner gemacht. Denn der Hindernisse sind viele: Wirklich jede Institution – Bank, Krankenkasse, Corona-Impf-Info – arbeitet mit Telefonmenschen in anonymisierten Hotlines.

Die sind in Laune und Auskunftsqualität recht divers: Wussten Sie, dass man Desinfektions-Gel nicht mit der Pflegekasse abrechnen kann, Desinfektions-Flüssigkeit dagegen wohl? Dass man einen Notruf-Knopf (desselben Betreibers) nicht an einen anderen Ort transferieren kann, ohne einen neuen Vertrag abzuschließen? Hat mich sieben Telefonate gekostet. Ganz zu schweigen vom Versuch, Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums über Impfmodalitäten zu befragen, nach 20, 30 Minuten in der Warteschleife.

Wenigstens den Impftermin konnte ich online vereinbaren. Hat für Köln dann auch schon nach 12,5 Stunden geklappt. Zwei weitere Tage, und die Unterlagen meiner Mutter samt ­QR-Code konnten runtergeladen werden.

Dieses ewige Wartenmüssen, der permanente Übergriff auf des Anrufers Zeit, zermürbt. Man kann sie nicht mehr ertragen, die Warteschleifen-Musik, die „Haben Sie Geduld“-Buttons, als habe man nichts anderes zu tun, zum Beispiel arbeiten. Aber wenn man sich jetzt wegkonzentriert, verpasst man vielleicht das winzige, vermutlich per Zufallsgenerator gekürte Zeitfenster, in dem man sich doch plötzlich anmelden kann. Das macht fahrig, das macht wütend, stehen solche Blockaden doch für einen diffusen Verwaltungsapparat, dem man sich kafkaesk ausgeliefert fühlt.

Wer das lange genug erträgt – und das habe ich –, ist irgendwann so weit, dass er nur noch schreit: Wenn irgendwer nicht sofort ans Telefon geht. Wenn der Computer drei Sekunden länger braucht, um hochzufahren. Wenn jemand eine Bemerkung macht. Wenn jemand keine Bemerkung macht.

Dabei war ich vor des Tages Werk sogar schon an der frischen Luft, beim morgendlichen Einkauf nämlich. Habe in drei Läden schon dreimal den Hintermann/die Hinterfrau gebeten, wegen Corona nicht so dicht aufzurücken. Habe dafür schon dreimal Hohngelächter geerntet. Auf den schmalen Bürgersteigen dasselbe: Immer bin ich es, die ausweicht, anscheinend die einzig Besorgte im ganzen Viertel.

Irgendwann denke ich: Dann geh ich eben gar nicht mehr raus, gibt ja immer nur Streit. Bin also drinnen, bleib nach der Arbeit am Computer sitzen, schau noch ein, zwei Filmchen, hole nächtens Arbeit nach. Tags darauf tun mir die Beine weh; ich werd’doch nicht Thrombose kriegen? Also bisschen Fitness getrieben im engen Zimmer, macht aber gar keinen Spaß.

Dann wieder an die Arbeit, aber die lähmt nach erstaunlich kurzer Zeit. Weil das alles keinen Sinn hat, weil ich im Radio nicht mehr hinhöre, wenn Politiker mal wieder Impfstoffliefer- und Impftermine nennen. Und überhaupt, vielleicht kriegen wir demnächst die resistente Immun-Escape-Mutante und fangen wieder von vorn an.

Warum soll ich da noch arbeiten, schreiben, kochen, räumen? Vielleicht, weil wir so viele sind? Oder weil schon Martin Luther gesagt haben soll: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“? Keine Ahnung. Mal sehen.

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