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Gewalt gegen Frauen in NiedersachsenSprunghafte Zunahme

Die niedersächsische Kriminalitätsstatistik bestätigt, was alle befürchtet haben: Die Fälle häuslicher Gewalt haben im vergangenen Jahr zugenommen.

Protest gegen Gewalt gegen Frauen in Hameln 2019 Foto: Peter Steffen/dpa

Hannover taz | Im vergangenen Jahr hat die niedersächsische Polizei genau 21.509 Fälle von häuslicher Gewalt registriert – eine Zunahme um 1.343 Fälle oder rund sieben Prozent. Damit bestätigt sich, was viele Ex­per­t*in­nen prognostiziert hatten: Die seit Jahren steigenden Zahlen haben noch einmal einen deutlichen Peak erreicht. „Solche Trends sind schwer präzise zu beziffern, aber das übertrifft die kontinuierliche Steigerung, die wir in den letzten zehn Jahren gesehen haben“, sagt Polizeipräsident Axel Brockmann.

Und noch etwas sei aus der Statistik klar ablesbar: „Je schwerer die ausgeübte Gewalt, desto männlicher ist sie.“ 80 Fälle von versuchter Tötung zählte man in 2020, 2019 waren es noch 70 Fälle gewesen. Ob diese Versuche „letal oder vital“ endeten, sei oft Zufall, so Brockmann.

29 Menschen wurden im vergangenen Jahr durch ihre Partner oder andere Familienmitglieder getötet: 24 davon waren Frauen. Bei der häuslichen Gewalt, die (noch nicht) tödlich endete, geht die Polizei von einer hohen Dunkelziffer aus – auch wenn die Anzeigebereitschaft der Opfer gestiegen sei.

Eine Erhellung verspricht man sich von der aktuellen Dunkelfelduntersuchung in Niedersachsen. Die läuft alle zwei Jahre: 40.000 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bür­ge­r*in­nen werden in einer anonymisierten Befragung nach ihren Erfahrungen mit Erscheinungsformen von Verbrechen gefragt. Der Fragebogen enthält neben einem festen Fragenblock, der für die Betrachtung von Langzeitentwicklungen wichtig ist, auch ein Schwerpunktthema. In diesem Jahr ist das häusliche Gewalt.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagt, das sei ein Thema, das ihn schon lange umtreibe. „Wenn ein Mann eine Frau tötet, weil sie ihn verlassen will, ist das kein „Familiendrama“ oder eine „Beziehungstragödie“, sondern Mord“, sagte er auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der aktuellen Kriminalitätsstatistik.

Es sei Kennzeichen eines minderwertigen Frauenbildes, wenn jemand eine Frau als seinen Besitz betrachte und sie töte, weil sie mit einer Trennung den eigenen Lebensentwurf in Frage stelle. „Es ist mir vollkommen unverständlich, wie der Bundesgerichtshof das in seiner Rechtsprechung anders werten konnte und davon ausgeht, dass die Verlustangst als mildernder Umstand anzusehen ist, wenn die Trennung vom Opfer ausging.“

In seinen Augen, sagte Pistorius, müsste das als niedriger Beweggrund und damit als Mordmerkmal gelten. Er setze sich dafür ein, dass frauenfeindliche Motive künftig strafverschärfend gewertet und in der polizeilichen Kriminalstatistik präziser erfasst werden. Eine solche Änderung müsste er jedoch auf Bundesebene durchsetzen. Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, sind die Kriterien bundesweit einheitlich. Und nicht für jeden Innenminister sind Frauenrechte ein Herzensthema.

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