Ermittlungen im Schneckentempo

Initiative kritisiert: Immer noch keine Anklage im Fall des von Polizisten erschossenen Hussam Fadl

Von Darius Ossami

Auch viereinhalb Jahre nach den tödlichen Polizeischüssen auf den geflüchteten irakischen Familienvater Hussam Fadl hat die Berliner Staatsanwaltschaft noch immer keine Anklage gegen die drei beteiligten Po­li­zis­t*in­nen erhoben. Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) will nun den öffentlichen Druck erhöhen – sie befürchtet, dass das Verfahren verschleppt werden könnte, sagte Strafverteidiger Ulrich von Klinggräff bei einem Onlinevortrag über den Fall am Mittwochabend.

Hussam Fadl war 2016 bei einem Polizeieinsatz in einer Geflüchtetenunterkunft erschossen worden: Die Polizei war damals Ende September in die Unterkunft in Moabit gerufen worden, um einen der Bewohner festzunehmen, der ein kleines Mädchen sexuell missbraucht haben soll. Als der beschuldigte Bewohner bereits im Polizeifahrzeug saß, tauchte der Vater des Mädchens, Hussam Fadl, auf.

Daraufhin schossen drei Po­li­zis­t*in­nen insgesamt viermal auf Fadl, ein Schuss in den Rücken war tödlich, sagte von Klinggräff. Er vertritt die Witwe von Hussam Fadl. Bis heute sei unklar, weshalb überhaupt geschossen wurde. Die drei Po­li­zis­t*in­nen gaben an, Fadl sei mit einem Messer bewaffnet gewesen. Andere Zeug*innen, darunter Polizist*innen, die direkt am Fahrzeug standen, hatten jedoch kein Messer gesehen. Ein später sichergestelltes Küchenmesser wies keine Fingerabdrücke von Fadl auf.

Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft Berlin die Ermittlungen gegen die Po­li­zis­t*in­nen wegen Totschlags bereits im Mai 2017 ein; es sei ein „lapidarer und oberflächlicher Einstellungsbescheid“ gewesen, kritisierte von Klinggräff. Er habe damals Beschwerde eingelegt. Zentraler Punkt war die Frage nach dem Messer, führte der Anwalt aus. Die beschuldigten Be­am­t*in­nen gaben laut von Klinggräff eine „irrwitzige“ Aussage zu Protokoll: Einer von ihnen habe mit dem Fuß das Messer weggekickt, es sei von einem unbekannten Polizisten aufgehoben, weitergegeben und dann auf die Mittelkonsole des Fahrzeugs gelegt worden.

Die Witwe des Getöteten, Zaman Gate, hatte gemeinsam mit ihrem Anwalt und KOP mit einem sogenannten Klageerzwingungsverfahren erreicht, dass das Berliner Kammergericht die Staatsanwaltschaft vor drei Jahren in deutlichen Worten anwies, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Doch was die Abteilung 234 (Tötungsdelikte) der Staatsanwaltschaft Berlin seitdem unternommen hat, sei „unfassbar“, beschwerte sich der Anwalt von Klinggräff auf der Online-Veranstaltung. „Ein derart schleppendes, sich im Schneckentempo hinziehendes Ermittlungsverfahren haben wir so noch nicht erlebt!“, sagte er. Ziel sei offensichtlich allein die Verschleppung. Eine schriftliche Anfrage der Linken vom März 2020 an den Justizsenator wurde mit einem knappen Hinweis auf die angeblich laufenden Ermittlungen abgewiesen. Von Klinggräff kritisierte auch, dass es bisher keine Versuche gab, den mittlerweile verurteilten und abgeschobenen Auslöser des Polizeieinsatzes in seinem Heimatland zu kontaktieren und als Zeugen zu befragen.

Für Zaman Gate und ihre Kinder sei diese Verschleppung schrecklich, sagte Biblap Basu von KOP. Sie verliere das Vertrauen in das System. Verfahren gegen die Polizei müssten zusätzlich unabhängig untersucht werden.