piwik no script img

Ökonomische Ausbeutung Ägyptens„Ever Given“ frei, Ägypten nicht

Während im Suezkanal wieder Waren bewegt werden, beutet Ägyptens Regierung seine Bevölkerung weiterhin aus – zum Teil mit deutscher Hilfe.

Blockierte die Schifffahrt zwischen Asien und Europa: Schiff „Ever Given“ aus Sicht eines Jungen Foto: Samuel Mohsen/dpa

K napp eine Woche hielt das im Suezkanal quer liegende Containerschiff „Ever Given“ die ganze Welt auf. Der Rückstau der anderen Frachter wird erst nach mehreren Wochen abgebaut sein, sagen Ex­pert*in­nen. Knapp 130.000 lebende Schafe stecken weiterhin auf der Seeroute an der ägyptischen Abkürzung zwischen Indischem Ozean und Mittelmeer in Containern fest.

Von den tagelangen Bergungsarbeiten berichteten Medien per Liveticker. Im Netz machten lustige Memes die Runde: Neben der riesigen „Ever Given“ schaufelt ein relativ kleiner Bagger Sand am Ufer des Kanals weg. Ein Bild, das die Ohnmacht des Individuums vor den Herausforderungen des Lebens symbolisiert.

Doch der Unfall illustriert mehr. Er zeigt ein grundlegendes Problem: die Verschränkung kapitalistischer Ausbeutungsstrukturen mit autoritären Regimen. Ich vermute, dass viele Menschen die anderen schrecklichen Meldungen der letzten Tage aus Ägypten nicht mitbekommen haben: In Oberägypten kollidierten zwei Züge. 19 Menschen kamen ums Leben. Ein Video zeigt, wie An­woh­ne­r*in­nen verzweifelt in den Wracks nach Überlebenden suchen.

Kurz darauf starben in Kairo mindestens 23 Menschen beim Einsturz eines Wohnhauses. Zwei Tage später wurde, wie durch ein Wunder, ein Säugling lebend geborgen. Er wird als Waisenkind aufwachsen.

Deutschlands Wirtschaftsinteressen

Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Universität Toronto sagen, dass die offiziellen Corona-­Inzidenzzahlen der ägyptischen Regierung beschönigend seien. Wer sich in Ägypten mit dem Virus infiziert, hat Pech. Kranke und Angehörige müssen sich selbst um Sauerstoffflaschen für die lebensnotwendige Beatmung kümmern. Doch Sauerstoff ist Mangelware und exorbitant teuer. Die Ägyp­te­r*in­nen leiden sowieso unter einer Teuerungsrate, die einige von ihnen buchstäblich verhungern lässt.

Regelmäßige Zugunglücke und einstürzende Gebäude, eine andauernde Wirtschaftskrise: Was hat das mit dem Kapitalismus und der Dividende deutscher Ak­tio­nä­r*in­nen zu tun?

Präsident Abdel Fatah al-Sisi setzt auf Großprojekte und holt sich dafür internationales Knowhow ins Regime. Er baut sich seit Jahren eine neue Hauptstadt mitten in der Wüste. Das Kalkül: sich in Megaprojekte zurückziehen, den Rest des Landes und die Infrastruktur derweil einfach verfallen lassen. Kri­ti­ke­r*in­nen landen im Kerker. Deutsche Firmenchefs freut das.

Siemens hat sich Anfang des Jahres einen Milliar­denauftrag für eine Schnellzugtrasse zwischen der neuen Hauptstadt und dem Mittelmeer gesichert. So profitieren multi­nationale Konzerne vom Leid der ägyptischen Bevölkerung. Manchmal kommt Angela Merkel vorbei und lächelt mit al-Sisi um die Wette. Die „Ever Given“ wurde am Ende dank Vollmondflut befreit. Für kapitalistisch ausgebeutete Gesellschaften, scheint es, braucht es ebenfalls eine extraterrestrische Kraft. So hartnäckig ist das Problem.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Deutschland hält sich in seinen wirtschaftlichen Außeninteressen oftmals bzw. überwiegend nicht an die Menschenrechte bzw. hat bspw. auch das Lieferkettengesetz sehr verwässert. Kostet halt Geld, schmälert den Profit bzw. ist nicht förderlich für die Profitmaximierung! Das gilt leider für überwiegend alle Industrienationen und nicht nur für die deutsche Industrienation bzw. ist mir kein Land bekannt, was hier überwiegend vorbildlich agiert!



    Die Menschenrechte sind halt für den Kapitalismus nur so weit interessant, solange diese der Profitmaximierung nicht im Wege stehen!



    In diesem Punkt übrigens unterscheiden sich weder europäische, asiatische oder sonstige Länder bzw. Industrienationen voneinander. Da die Länder auch alle am Weltmarkt konkurrieren wären gewisse Menschenrechtsstandards einzuhalten laut Makroökonomie und Mikroökonomie ein Wettbewerbsnachteil!



    Diese Erkenntnisse sind nicht neu und die Kritik daran haben nicht erst Marx und Engels geübt!



    Ohne eine Regulierung und insbesondere die auch weltweit vollzogen werden muss, wird sich daran nichts ändern. Aber wenn ich mir die Jahresberichte von Amnesty International ansehe, ist das noch ein sehr weiter Weg!

  • gut, dass wir auf China schimpfen können mit der Ausbeutung der Uiguren. Da braucht man sich nicht um näherliegende Probleme kümmern. Agypten ist eine Militärdiktatur, also noch schlimmer als die einparteien Regierung in China.

    • @Martin_25:

      Die KPC ist eine Diktatur wie die ägyptische die alle unterdrückt. Allerdings können die 10 Prozent koptische Christen und die 90 Prozent Muslime immerhin ihre Religion ausüben und anders als in China mit den Uiguren wird auch kein ganzer Teil der Bevölkerung in Lagern eingesperrt und ihrer Idendität beraubt. Und in China brechen bei einem Erdbeben auch schon mal in einer ganzen Region die Schulen zusammen, weil die Funktionäre den Zement geklaut haben. Gut sind beide Regime nicht und den Frauen im 40.Betten-Schlafsaal der Lohnfertiger in China geht es eher nicht besser als ägyptischen Frauen in einer Näherei. In Wahrheit fehlt es Ägypten eher an einem erfolgreichen Kapitalismus, also vielen produktiven Firmen, wie sie Südkorea oder Malsysia aufgebaut haben oder aufbauen..