piwik no script img

„Die Hygieneberater sind immer dabei“

Björn Vosgerau ist einer der drei Geschäftsführer der Hamburger Filmproduktionsfirma „Wüste Film“. Mit der taz sprach er über sein Jahr mit Corona

Produktion während der Pandemie: das Team des Thrillers „Der Beschützer“ im Dezember 2020 Foto: Boris Laewen

Interview Wilfried Hippen

taz: Herr Vosgerau, wie ging es Ihnen im März 2020?

Björn Vosgerau: Vor ziemlich genau einem Jahr gab es für mich den bittersten Tag in meiner Karriere als Produzent. Ich musste vor ein Filmteam treten und ihnen sagen: „Wir brechen jetzt hier ab.“ Wir drehten in Schweden für die ARD den Spielfilm „Das Haus“ und nach nur drei von 24 geplanten Drehtagen mussten wir aufhören. Da sind Tränen geflossen, denn viele hatten schon Monate vorher an diesem Projekt gearbeitet.

Warum genau kam es zu dem Abbruch?

Die Coronasituation hatte sich Mitte März zwar schon verdichtet, aber eine Filmproduktion ist wie ein großer Tanker, und den kann man nicht einfach aufhalten. Als Produzent muss ich ja alle Leute bezahlen. Damals gab es noch keine Risikoabwägungen für solche Fälle und für einen Ausfall wegen einer Pandemie waren wir nicht versichert. Doch dann kam eine Reisewarnung von der deutschen Botschaft, weil die medizinische Versorgung in Schweden nicht gewährleistet werden konnte und eventuell der europäische Reiseverkehr zusammenbrechen würde. Und der dringenden Empfehlung, das Land sofort zu verlassen, sind wir dann gefolgt. Denn für einen Abbruch musste es solch ein äußeres Ereignis geben.

Aber Sie konnten den Film dann ja später im Jahr in Schweden zu Ende drehen. Wann gab es für Sie Hoffnung, dass es mit ihm weitergehen würde?

Das ging dann sehr schnell. Die deutschen TV-Sender haben entschieden, dass alle Produktionen, die abgebrochen werden mussten, fortgesetzt werden würden. Und sie haben 50 Prozent der Schadenssumme übernommen.

Unter welchen Bedingungen konnten die Dreharbeiten dann fortgesetzt werden?

Wir haben im November in Schweden weitergedreht. Also schon in der zweiten Welle. Aber inzwischen hatte sich die Filmbranche auf die Coronabedingungen eingerichtet. Wir hatten ein Hygienekonzept und eigene Hygieneberater. Vom Team musste nur der Kameramann und eine Nebenrolle ausgetauscht werden. Und wir mussten wegen der Schwierigkeiten zwei Tage länger drehen als geplant.

Können Sie da noch mit einem Gewinn rechnen?

Wir als Firma verdienen normalerweise an einem Film was, doch hier mussten wir in erhöhtem Maße investieren. Aber wir haben die Schwierigkeiten dann auch als eine Chance gesehen und für den Spielfilm, der eigentlich für das Fernsehen produziert wurde, einen Kinostart organisiert, indem wir selber einen Verleih und einen Weltvertrieb gefunden haben. Und deshalb gab es dann auch noch etwas Geld von der Filmförderung Hamburg/Schleswig-Holstein.

Wie lief es denn sonst mit der Firma „Wüste Film“ im letzten Jahr?

In den ersten Monaten hat uns Corona bitter getroffen. Es war für uns absehbar, dass wir nicht so viel verdienen würden wie geplant. Wir sind ja eine kleine Firma mit sieben festen Mitarbeiter*innen, und die Kurzarbeit war für uns ein ganz wichtiges Instrument, um durch das Jahr zu navigieren. Am Anfang haben wir den Betrieb sehr weit heruntergefahren. Wir mussten aber niemandem kündigen. Nun wird in einer Filmproduktionsfirma ja sehr langfristig an Projekten gearbeitet, und da musste geschickt an den Schrauben gedreht werden, um die Kosten zu senken, aber auch weiter funktionieren zu können. Eine Zeit lang war es dann so schwierig, dass wir in den Abgrund geblickt haben. Aber dann hat es sich doch besser für uns entwickelt als gedacht, weil wir wieder drehen konnten.

In welchem Maße hat Corona Ihren Zeitplan für das Jahr 2020 durcheinandergebracht?

Neben „Das Haus“, der ja dann doch gedreht wurde und jetzt in der Postproduktion ist, hatten wir eine große internationale Koproduktion geplant und komplett finanziert. Und die musste verschoben werden. Das ist ein österreichischer Historienfilm mit Drehorten in Österreich, Deutschland und Tschechien. Das war 2020 unmöglich und soll dieses Jahr nachgeholt werden.

Gab es 2020 noch andere Projekte von „Wüste Film“?

Ja, im Laufe des Jahres haben wir für die ARD einen Fernsehfilm mit dem Titel „Der Beschützer“ entwickelt und den konnten wir dann auch zwischen Mitte November und Mitte Dezember in Hamburg und Umgebung drehen.

Aber warum haben Sie in der besten Drehzeit, dem Sommer, nichts gemacht?

Wir hatten für den Sommer nichts in Planung. Und das hatte den Vorteil, dass die Kollegen, die als Erste wieder angefangen haben zu drehen, die Hygienekonzepte entwickeln mussten. Und auf ihre Erfahrungen konnten wir dann zurückgreifen.

In welchem Maße hat sich das Drehen jetzt grundsätzlich geändert?

Andreas Schlieter

Björn Vosgerau, 50, in Neumünster geboren. In Hamburg hat er Philosophie, Kultur- und Medienmanagement studiert. Danach war er als Produzent bei Studio Hamburg angestellt. Seit 2005 ist er einer der drei Geschäftsführer und Gesellschafter von Wüste Film.

Unser Team wird zweimal die Woche getestet und zu möglichst kontaktarmem Leben verpflichtet. Das Drehbuch wird analysiert und anhand von Risikostufen wird entscheiden, in welche Risikogruppe die jeweiligen Darsteller kommen. Das heißt bei den Hauptdarstellern läuft es darauf hinaus, dass sie die ganze Drehzeit über in Quarantäne sind. Schon bei einer Szene zusammen im Auto gehören die ja schon in die höchste Risikogruppe. Bei der Vorbereitung muss man die ganze Zeit die Coronaregeln mitdenken.

Es kostet also deutlich mehr?

Film ist so schon aufwendig, und jetzt kommt zu der Logistik der Dreharbeiten noch die ganze Hygienelogistik dazu. Das führt dazu, dass wir zum Beispiel mehr Fahrer brauchen, weil nicht so viele Menschen in einem Auto sitzen dürfen. Wir müssen die Tests und die Masken kaufen. Es wird langsamer gedreht, weil mehr gelüftet wird, und wir müssen nach Drehorten suchen, die mehr Platz bieten, damit wir dort unser Team auch unterbringen. Alles komplizierter und die Hygieneberater sind immer am Set mit dabei.

Hat sich da in den letzten Monaten ein neues Berufsbild entwickelt?

Ja, eindeutig. Bei unseren Produktionen machen das eine Frau und ein Mann, die aus dem Filmgeschäft kommen. Sie ist ausgebildete Maskenbildnerin und er war Aufnahmeleiter. Beide machten dann eine Umschulung und haben nun ein entsprechendes Zertifikat. Die ganze Arbeit mit dem dafür notwendigen Fachwissen kann man nicht so nebenbei machen. Es gibt ja Regeln von der Berufsgenossenschaft für Dreharbeiten und die müssen für das jeweilige Projekt angepasst werden. Und die Hygieneberater können am Set die Tests vornehmen. Die haben wirklich viel zu tun.

Aber stehen nicht bei Dreharbeiten alle unter ständigem Druck, weil ein Fehler den Abbruch bedeuten kann?

Ja, aber nach meinen Erfahrungen sind alle im Team wahnsinnig vernünftig, weil sie wissen, wie hoch das Risiko für die ganze Branche ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen