piwik no script img

Streit wegen Moschee-Verband DitibAntisemit spaltet Landesjugendring

Im Landesjugendring Niedersachsen wird über die Aufnahme muslimischer Verbände gestritten. Auslöser waren Recherchen über den Moschee-Verband Ditib.

Die Göttinger Ditib-Moschee: Strittig ist, ob sich alle Muslime zu den dortigen Reden äußern müssen Foto: Sven Pförtner/dpa

Göttingen taz | Recherchen der Göttinger Ortsgruppe des sozialistischen Jugendverbandes „Die Falken“ zu antisemitischen und nationalistischen Tendenzen im deutsch-islamischen Moscheeverband Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) haben nicht nur zum Rücktritt des Göttinger Ditib-Vorsitzenden Mustafa Keskin geführt, sie sorgen zudem für heftige Turbulenzen im Landesjugendring (LJR) Niedersachsen. Das Gremium lehnte am vergangenen Wochenende mit knapper Mehrheit eine Vollmitgliedschaft der Ditib-Jugend ab. Die Young Schura Niedersachsen, Jugendorganisation des Landesverbandes der Muslime (Schura), zog ihren Aufnahmeantrag zurück. Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKL) legte seine Mitgliedschaft auf Eis.

In Vorbereitung auf die LJR-Versammlung hatten sich die Göttinger Falken intensiver mit der Ditib-Jugend und ihrem Dachverband beschäftigt. Sie stießen dabei auf antisemitische und verschwörungstheoretische Posts und Statements von Keskin. Er hatte israelische Soldaten etwa als „jüdische Hunde“ bezeichnet. Sein Whatsapp-Profil zeigte Donald Trump und Joe Biden als Marionetten des Investmentbankers Jacob Rothschild. Der Name Rothschild fungiert in antisemitischen Verschwörungsmythen seit Langem als Platzhalter für „die Juden“, die über die Finanzmärkte die Welt beherrschten. Zuvor hatte Keskin eine Beretta-Pistole als Profilbild genutzt. Auch gegenüber Armeniern und Kurden äußerte sich Keskin abfällig.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hatte sich der Ditib-Bundesverband von Keskin ­distanziert. Keine von dessen Meinungen würden bei einem Ditib-Funktionär „auch nur ansatzweise“ geduldet, hieß es in einer Erklärung. Daher habe man „mit Nachdruck den sofortigen Rücktritt“ Keskins gefordert. Dieser Aufforderung ist Keskin inzwischen nachgekommen.

Kritik gebe es aber nicht nur an Mustafa Keskin, sagte Malte Woltering von den Göttinger Falken der taz. Sie betreffe auch die Nähe von Ditib zum türkischen Staat. Als größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland untersteht ­Ditib der Kontrolle des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei, das wiederum dem türkischen Präsidenten unterstellt ist. Die an staatlichen Hochschulen der Türkei ausgebildeten Ditib-Imame werden für fünf Jahre nach Deutschland geschickt und sind de facto Beamte des türkischen Staates.

Es war sehr unschön von allen Seiten

Malte Woltering, Die Falken

Neben den Falken hatten drei oder vier weitere Verbände Bedenken, die Ditib-Jugend als Vollmitglied aufzunehmen, so LJR-Geschäftsführer Björn Bertram zur taz. Auch die Young Schura geriet dabei in den Fokus. Etliche Papiere und Gegenpapiere wurden im Vorfeld des LJR-Treffens hin und her geschickt, von einem „E-Mail-Krieg“ spricht Falken-Mitglied Woltering: „Es war sehr unschön von allen Seiten.“

Am Samstag zog die Young Schura ihren Aufnahmeantrag noch vor der Abstimmung über die Vollmitgliedschaft der Ditib-Jugend zurück. Die Wochen vor der Versammlung seien von einer unprofessionellen und suggestiven Kommunikation und von Diffamierungsversuchen geprägt gewesen, erklärte Young Schura: „Eine Aufforderung von Mitgliedsverbänden des Landesjugendringes, uns zu nationalistischen, nationalislamischen und antisemitischen Gruppierungen zu äußern, ist nichts anderes als ein Versuch, unseren Verein zu diffamieren und unter Verdacht stellen.“ Suggeriere dies doch, dass muslimische Jugendverbände per se ein „Problem“ mit Nationalismus und Antisemitismus hätten. „Wir sind es leid, mit sicherheitspolitischen Geschehnissen und religiös-motiviertem Extremismus in Verbindung gebracht zu werden“, so die Young Schura.

Der Antrag der Ditib-Jugend wurde sodann abgelehnt. Er hätte, um angenommen zu werden, eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt. Bei einigen Enthaltungen stimmte aber nur etwas mehr als die Hälfte der Verbände dafür. Die Ditib-­Jugend beklagt nun, dass jungen Muslimen in Niedersachsen offiziell eine politische Partizipation verwehrt bleibe. „Der Prozess wurde mit der Zeit zunehmend unsachlich und persönlich“, zudem hätten sich „zunehmend antimuslimische Tendenzen herauskristallisiert“.

Die BDKJ gab bekannt, dass er sich vorläufig aus der aktiven Mitarbeit im LJR zurückziehe. Die Diskussion, „bei der die Frage der Unabhängigkeit vom Erwachsenenverband in den Mittelpunkt gerückt wurde, hat mit medial verbreiteten, persönlichen Vorwürfen an einzelne Ehrenamtliche ohne die Möglichkeit der vorherigen Stellungnahme Grenzen überschritten. Dieses Vorgehen lehnen wir entschieden ab“, hieß es in einer Mitteilung.

Der Vorstand des LJR ist derweil um Entspannung bemüht. Die im Raum stehenden Vorwürfe des Rassismus würden „sehr ernst genommen“, heißt es in einer Erklärung. Sie müssten daher geklärt und aufgearbeitet werden. Im Übrigen sei die Ditib-Jugend weiterhin als Teil des Arbeitskreises niedersächsischer Jugendgemeinschaften (ANJ) willkommenes Mitglied im Landesjugendring. „Das Thema muss jetzt weiter aufgearbeitet werden“, sagt auch Falken-Mitglied Woltering. Für den LJR sei das auch eine Chance – „eine Chance auf Erneuerung“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare