: Gerechtigkeit gibt’s nicht
Der Bremer Sozialbetrugsprozess geht Mittwoch wohl zu Ende
Am Mittwoch sind die Plädoyers. Vielleicht fällt sogar schon das Urteil. Das Bremer Landgericht deutet die Möglichkeit zumindest an: Von den Sozialbetrugsskandalen der jüngeren deutschen Geschichte war die Affäre um diverse Bremerhavener Vereine eine der größten. Massenhaft haben die vermeintlich gemeinnützige „Agentur für Beschäftigung und Integration“ oder die ebenso ordnungsgemäß ins Register eingetragene „Gesellschaft für Familien und Gender Mainstreaming“ von 2013 bis vor fünf Jahren Scheinarbeitsverhältnisse mit hauptsächlich bulgarischen Wanderarbeiter*innen abgeschlossen.
Die Idee: Man schickt sie zum Amt, wo sie mit Fake-Verträgen ausgestattet vortäuschen konnten, zum Bezug von Sozialleistungen berechtigt zu sein. Die werden ihnen von den genannten Pseudo-Institutionen als vermeintliche Vermittlungsgebühr und als Mietzins für Unterkünfte in Schrottimmobilien großteils wieder abgeknöpft. Auf 6,1 Millionen Euro wird der materielle Schaden beziffert – was in Erinnerung ruft, wie unerheblich Sozialbetrug, über den der Boulevard an anderer Stelle gern neiderfüllt ramentert, in der Regel ist. Die Niedertracht, mit der hier eine Notlage ausgenutzt und zu diesem Zweck teilweise erst kreiert wurde, dürfte sich hingegen schwerlich in juristische Begrifflichkeit überführen lassen: Greifbar war sie den Ermittler*innen allenfalls als Beihilfehandlung, die milder zu bestrafen ist als tatsächlicher Betrug. Den hätten demnach die ausgeplünderten Bulgar*innen begangen.
Und anstelle des SPD-Abgeordneten, den ein etwas desorientierter Parlamentarischer Untersuchungsausschuss gern auf der Anklagebank gesehen hätte – statt als politisches Gremium interpretierte er seine Rolle teils als eine Art Sonderstrafgericht – wird nun in erster Linie dessen Vater als Gründer und Vorsitzendem der Vereine das Urteil gesprochen. Wahrscheinlich wird er ein paar Jahre in den Knast müssen. Nicht erkennbar ist, dass die Filzstrukturen und Verkrustungen aufgelöst worden wären, die erlaubt hatten, drei Jahre mit diesem Modell Profite zu erzeugen. Dazu wird auch das Urteil nichts beitragen können. Eher wird es einen Deckel auf die Affäre setzen. Wenn der Schuldige benannt ist und bestraft, ist die Welt nämlich wieder im Lot. Benno Schirrmeister
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