: Opfer wurden übergangen
NS-belastete Firma will in Gedenkstätten-Haus ziehen
Er wurde in aller Stille festgezurrt, der für 2022 geplante Umzug der Firma Wintershall-Dea in Hamburgs attraktive Hafencity. Dann kam doch heraus, dass der Rohöl- und Erdgaskonzern, der offizieller Rüstungsbetrieb des NS-Regimes war und Zwangsarbeiter einsetzte, an einen schwierigen Ort ziehen will. Ausgerechnet in jenes Gebäude, in dem auch das NS-Dokumentationszentrum „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ residieren wird.
Es soll an 8.000 von dort deportierte Juden, Sinti und Roma erinnern und auch die Profiteure der „Arisierung“ in den Blick nehmen, zu denen Ex-Wintershall-Chef August Rosterg zählte.
Opferverbände empfinden diese Nachbarschaft als unzumutbar. Sie monieren, dass sie – wie auch die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und die Kulturbehörde – vom Investor Harm Müller-Spreer weder befragt noch informiert wurden.
Dabei legt im Dauernutzungsvertrag die Verpflichtung des Investors fest, „das Gebäude nicht (…) in einer Weise zu nutzen oder nutzen zu lassen, die (…) insbesondere in der Wahrnehmung der Opfer des Nationalsozialismus (…) im Konflikt mit dem Zweck des Dokumentationszentrums steht oder der Ausstrahlung eines Gedenkortes abträglich ist“.
Das verpflichte ihn nicht zu Vorgesprächen, sagt Müller-Spreer. Und er habe ja nicht an die AfD oder ähnlich rechts Gesinnte vermietet. Zudem habe Wintershall seine NS-Geschichte aufgearbeitet. Das stimmt: 2019 gab es einen Kongress zum Thema. 2020 erschien eine Dokumentation.
Die Opferverbände überzeugt das nicht. Auch Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und Projektleiter für das Dokumentationszentrum, warnt: „Durch die räumliche Nähe des ehemaligen Ortes der Deportationen zum Mieter Wintershall-Dea könnten bei ehemals Verfolgten und deren Nachfahren bei einem Besuch Traumata berührt werden.“
Weil die Kulturbehörde das auch so sieht, lud sie die Opferverbände am 2. Februar zu einem Meinungsaustausch. Nun erwartet sie eine Stellungnahme des Investors. Petra Schellen
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