Italiens neue Regierung: Populisten, die Maske tragen
Italien wird von einer EU-freundlichen (fst) Allparteienkoalition regiert. Matteo Salvinis Lega ist auch dabei. Ist der Anti-EU-Rechtspopulismus tot?
D ie Maske? Ich habe sie nicht und trage sie auch nicht!“ Das war Matteo Salvini im Juli bei einem Kongress „Covid-kritischer“ Expert:innen im italienischen Senat. Als er aber vor einigen Tagen vor die Kameras trat, um zu sagen, dass seine Lega bereit sei, Mario Draghis Regierung zu unterstützen, trug er sie doch – eine blaue Maske mit einer kleinen italienischen Fahne.
Auch die Worte, die etwas dumpf durch die Maske drangen, klangen anders. Er wetterte nicht – wie gewohnt – gegen kriminelle Migrant:innen und Brüsseler Bürokraten. Er sprach über Impfungen und den Arbeitsmarkt. „Wir sind in Europa. Unsere Kinder wachsen in Europa auf“, ertönt es durch den Mundschutz. Vor wenigen Monaten – als er noch mundschutzfrei sprach, hieß es: „Zuerst besiegen wir das Virus. Dann sind wir raus aus der EU.“
Es ist denkbar, dass Salvini seine Fehler der Vergangenheit eingesehen hat und nun eine Versöhnung mit jener EU sucht, die er vor Kurzem noch „Nest der Schlangen und der Schakale“ nannte. Dass er es ernst meint, haben seine Fraktionsfreunde von AfD, FPÖ und Ressemblement National am Dienstag im Europäischen Parlament gespürt, als die Lega als einzige Partei aus der Fraktion für den „Recovery-Plan“, den Wiederaufbauplan der EU, gestimmt hat.
Einige Politinsider gehen so weit, zu sagen, dass die Lega bald die Fraktion im EU-Parlament verlassen wird, um sich der Europäischen Volkspartei (EVP) anzuschließen. Damit würden die Italiener der Lega und von Berlusconis Forza Italia die CDU/CSU als stärkste Gruppe in der Fraktion ablösen – eine Strategie, an der Berlusconi offenbar schon seit Langem arbeitet.
Draghis Regierung weckt Hoffunungen
Ob die Europaabgeordneten der CDU/CSU gerne in den eigenen Reihen Kollegen wie Angelo Ciocca willkommen heißen würden, der kürzlich vorgeschlagen hat, die Corona-Impfungen nach dem „Wert“ einzelner Menschen zu verteilen, ist fraglich. Sicher ist: Draghis Regierung weckt im Moment große Hoffnungen – Lega hin oder her. Alle Spitzenpolitiker:innen Europas haben dem neuen Premierminister in hohen Tönen gratuliert. Angela Merkel sagte, Italien und Deutschland würden nun gemeinsam für ein starkes, geeintes Europa arbeiten können. Auf den Finanzmärkten sind Italiens Staatsanleihen so beliebt wie lange nicht mehr.
Alles gut also?
180-Grad-Wenden wie die Salvinis sind in Italien – der Heimat des trasformismo (des ständigen Wandels) – nichts Neues. Den Journalist*innen, die ihn mit seinen Widersprüchen konfrontieren, antwortet Salvini mit einem schelmischen Lächeln. Denn er weiß: Die Lega hat sich nicht den Brüsseler Bonzen unterworfen. Sie wird vielmehr von ihnen gebraucht. Die Lega ist laut Umfragen mit etwa einem Viertel der Wähler:innenstimmen die stärkste Partei Italiens. Sie regiert in 11 von 20 Regionen – insbesondere im reichen Norden. Ja – sagen die Insider – Salvini mag gerne auf den Putz hauen und Dinge über die EU und Einwanderer:innen sagen, die in Europa nur von Rechtsextremen zu hören sind. Doch in diesen Regionen ist die Lega in erster Linie die Partei der Unternehmer:innen, die Migrant:innen beschäftigen und die EU als Spielfeld wichtiger internationaler Geschäftsbeziehungen sehen.
Genau diese Unternehmer:innen sind für die neue Regierung strategisch wichtig: In zwei Monaten soll das Kündigungsverbot auslaufen, das die Conte-Regierung vor etwa einem Jahr verabschiedet hat, um die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt zu lindern. Wenn sich Regierung und Unternehmer:innen nicht einigen können, könnte es zu Massenentlassungen kommen.
Salvini will zurück ins Rampenlicht
Und Salvini weiß auch etwas anderes: Keine Partei oder Koalition hat derzeit eine ausreichende Mehrheit, um allein zu regieren. Seitdem er und seine Partei 2019 aus der Regierungskoalition ausschieden, sind seine Popularitätswerte deutlich gesunken. Jetzt hat er die Chance, wieder als Protagonist im Rampenlicht zu stehen.
Die Beteiligung an Draghis Regierung hat seiner Partei laut Umfragen bislang nicht geschadet. Es ist möglich, dass er mittelfristig einige Wähler:innenstimmen an die konkurrierende rechtsextreme Partei Brüder Italiens von Giorgia Meloni – der einzigen großen Oppositionspartei – verlieren wird. Damit kann er leben. Denn seine Regierungsbeteiligung schadet viel mehr seinen Hauptrivalen: der Fünf-Sterne-Bewegung und – vor allem – der Demokratischen Partei, die jetzt eine Partnerschaft mit einer Partei eingeht, die sie bislang als „Gefahr für die liberale Demokratie“ bezeichnet hat.
Dabei zeigt Salvini wieder sein Gespür für den Zeitgeist: In weiten Kreisen der italienischen Politik hat sich im vergangenen Jahr die Idee durchgesetzt, dass in Krisenzeiten parteipolitische Einstellungen nur eine Nebenrolle spielen sollen. Es ist die Zeit der Verwalter:innen, nicht der Politiker:innen.
Dennoch: Die Idee einer breiten Meinungskoalition, die alle politischen Kräfte im Namen des Gemeinwohls verbindet, spiegelt sich kaum in der italienischen Gesellschaft wider. Noch nie waren die Italiener:innen so extrem in ihren Einstellungen: Das Vertrauen in die Demokratie ist im Keller. Etwa die Hälfte der Italiener:innen wünscht sich einen „starken Führer“, der das Land mit eiserner Hand regiert. Weniger als ein Drittel von ihnen behauptet, der EU zu vertrauen. Etwa die Hälfte von ihnen sieht Migrant:innen als Gefahr.
Was wird zum Beispiel passieren, wenn im Sommer viele Menschen – Pardon, „Illegale“, wie Salvini zu sagen pflegt – erneut versuchen, aus afrikanischen Ländern, die derzeit von der Pandemie in die Knie gezwungen wurden, nach Italien zu gelangen? Wie wird der selbst ernannte Verteidiger Europas dann reagieren?
Wenn alles gut geht, werden wir alle im Sommer unsere Masken abnehmen. Auch Salvini.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein