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Soziologin über Co-Parenting„Alle Familien sind richtig“

Kindererziehung kann auch ohne romantische Liebe auskommen, sagt Soziologin Christine Wimbauer. Sie hat ein Buch über Co-Elternschaft geschrieben.

Entscheidend ist nicht wie viele Eltern ein Kind hat, sondern dass es geliebt wird Foto: Sara Winsnes/plainpicture
Peter Weissenburger
Interview von Peter Weissenburger

taz: Frau Wimbauer, Sie forschen zu Co-Parenting. So nennt man eine Familie, in der die Elternteile keine romantische Liebesbeziehung miteinander führen. Bisher fehlen Zahlen, aber es ist anzunehmen, dass Co-Elternschaft häufiger wird. Unter queeren Menschen, aber durchaus auch bei Heteros. Kommt man bei der Kindererziehung auch ohne romantische Liebe aus?

Christine Wimbauer: Im Prinzip ja. Für die Kinderziehung ist ja zunächst die Liebe zu den Kindern wichtig. Selbst bei traditionellen Elternpaaren wissen Sie ja nicht, ob sich die beiden nun unbedingt lieben oder nicht. Trotzdem können sie selbstverständlich gemeinsam Kinder erziehen – und sicherlich auch gut erziehen.

Liebe zum Kind hat also mit romantischer Liebe erst einmal gar nichts zu tun?

Es muss nicht, aber in unserer Gesellschaft erscheint es oft so und ist auch kulturell, sozialstaatlich und rechtlich so gerahmt. Mit dem Aufkommen des Bürgertums sind diese beiden Dinge miteinander verknüpft worden. Nämlich im Konstrukt der modernen Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und – am besten – den leiblichen, also biologischen Kindern. Die Eltern, so das Ideal, sind durch ihre Liebe zueinander verbunden. So gilt das teils bis heute, obwohl dieses Ideal viel verschleiert. Etwa, dass das Lieben in wesentlich höherem Maße der Frau zugeschrieben wird – und dass die Frau zumeist noch wirtschaftlich abhängig vom Ehemann ist.

In Ihrem Buch schreiben Sie, die Vorstellung, die Co-Eltern von Familie haben, unterscheide sich trotzdem kaum vom Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie. Wie kommt’ s?

Allen Fällen, die mir bekannt sind, ob direkt durch Befragungen oder indirekt durch Forschung, die ich gelesen habe, ist eins gemein: „Familie“ wird von den Beteiligten mit einer großen Glückserwartung, mit einem Glücksversprechen verbunden. Der Unterschied zur traditionellen Familie ist einzig, dass diese Glückserwartung nicht noch zusätzlich an die Beziehung der Eltern miteinander gerichtet wird. Aber in der Vorstellung, dass in Kindern großes Glück liegt, unterscheidet sich die Co-Elternschaft nicht vom bürgerlichen Modell.

Sie schreiben, beim Kinderwunsch stellten sich die künftigen Eltern Familie als „Ankommen“ vor, als „Entschleunigung“.

Dass die Familie und das Heim eine Art Gegenwelt seien – zum oft auch beschwerlichen, mit Unbill verbundenen Erwerbsarbeitsleben.

Dabei ist Elternschaft doch alles andere als entspannt und ruhig.

Das ist ja auch wieder eine Idealisierung, die sich nicht zwingend einlösen muss. Natürlich ist Elternschaft auch mühevoll. Es werden dabei ja zum Beispiel zunehmend Aushandlungen notwendig. Man muss sich mit anderen Menschen darüber abstimmen, wie man sein Leben führen möchte. Dass ist selbstverständlich ebenfalls mühsam. Bei dem „Zur-Ruhe-Kommen“, von dem immer die Rede ist, geht es eher um Geborgenheit, ums Sich-Verlassen-Können. Dauerhaftigkeit. Werte eben, die viele im spätmodernen Arbeitsleben vermissen. Arbeit bedeutet heute oft Kurzfristigkeit, man ist austauschbar. Dagegen steht die Idee von einer Familie, in der man eben nicht zu ersetzen ist, und auch in schlechten Zeiten füreinander einsteht.

Häufiger noch als die romantische Familiengründung ist Co-Elternschaft vorab geplant und gut durchdacht. Macht sie das rationaler?

Auf keinen Fall ist Co-Parenting weniger emotional als die traditionelle Kernfamilie. Was Sie sicher meinen, ist die queere, die Regenbogenfamilie. Die ist in aller Regel gut überlegt und geplant, weil sie selten aus Versehen passiert. Die Familien, mit denen ich mich beschäftigt habe, hatten alle intensiv und lange diskutiert, es gab keine Ad-hoc-Entscheidungen, eben weil auch die Umsetzung oft eher langwierig ist. Allerdings ist meine Forschung explorativ, es fehlen bisher groß angelegte Studien. Das Feld bleibt unterforscht.

In meinem Bekanntenkreis werden häufig moralische Grundfragen diskutiert, die die Familiengründung betreffen. Sollte man als queere Familie dem Ideal der Kernfamilie nacheifern, es so gut wie möglich „nachbauen“? Darf man biologische Eltern aus dem Familienverbund heraushalten? Sind Ihnen in Ihrer Forschung ähnliche Diskussionen begegnet?

An diesen Punkt kommen viele. Mit Ausnahme natürlich von Co-Elternpaaren, wo eine cis Frau und ein cis Mann zusammen ein Kind haben – diese Konstellation sieht ja von außen aus wie eine bürgerliche Familie, auch dann, wenn die beiden kein Paar sind. Aber wenn wir von zwei Eltern sprechen, die nicht gegensätzlichen Geschlechts sind, oder von drei oder mehr Eltern: Da stellen sich viele diese Fragen. Man muss dazusagen, dass Familiengründung immer ein kontroverses Thema ist, egal welche Konstellation. Es sind einfach so viele moralische, gesellschaftliche, persönliche Ansprüche damit verbunden. Was ich beobachte, ist ein gewisses Normalisierungsstreben bei den queeren Familien, eine Orientierung in Richtung bürgerliches Ideal. Das hat natürlich mit gesellschaftlichen Erwartungen zu tun, dass also die Familie mit zwei gegengeschlechtlichen Eltern die Norm ist. Alles andere muss sich rechtfertigen. Oder wird diskriminiert, vielleicht ausgegrenzt. Dabei ist nicht die Art der Familie das Problem, sondern die Erwartung, dass es nur genau eine richtige Form gibt.

privat
Im Interview: Christine Wimbauer

Professorin für Soziologie und Geschlechterforschung an der Humboldt-Universität Berlin, erforscht, wie sich die Bedingungen für Liebe, Arbeit und Familie in westlichen Gesellschaften verändern. Ihr neuestes Buch, „Co-Parenting und die Zukunft der Liebe“, erschien im Transcript-Verlag.

Der Zwang zur Rechtfertigung ist meist diskriminierend, allerdings gibt es mit der sogenannten „Leihmutterschaft“ eine Konstellation, die in der Lage ist, Ausbeutungsverhältnisse zu erzeugen. In Deutschland ist das Vermitteln von solchen Aus­trä­ge­r*in­nen bislang nicht erlaubt, in anderen Ländern, wie im Vereinigten Königreich, hingegen schon. Manche moralische Fragen lassen sich bei der Familiengründung also nicht mit dem Verweis auf Gleichberechtigung allein beantworten.

Das ist richtig. Fälle von Leihmutterschaft sind in meinen Fallstudien allerdings nicht vorgekommen. Es gibt auch hier noch wenig Forschung, es sind allerdings Studien in Arbeit. Ich stimme Ihnen jedenfalls zu, dass es hier ein moralisches Spannungsverhältnis gibt.

Erkennen Sie einen Trend, der biologischen Elternschaft weniger Bedeutung beizumessen? Also als Eltern ausschließlich zu definieren, wer Verantwortung übernimmt, sich kümmert und sorgt?

Ja und nein. Es gibt nicht die Co-Elternschaft, das Feld ist wahnsinnig heterogen. Es gibt Familien, die großen Wert auf „Vaterschaft“ und „Mutterschaft“ im traditionellen Sinne legen – entsprechend eben auch im biologischen. Und es gibt andere, denen zum Beispiel wichtig ist, dass der Samenspender nichts mit der Familie zu tun hat. Oder dass das Kind mit 18 selbst entscheiden soll, ob es sich über seine genetische Abstammung informieren möchte. Sowie denkbar viele Fälle dazwischen – zum Beispiel, dass der Samenspender zwar Teil der Familie ist, aber eher die Rolle eines „Oheims“ einnimmt als die eines „Vaters“.

Ist es sinnvoller, solche Überlegungen von den eigenen Bedürfnissen her zu denken – oder von denen des Kindes, das es ja noch gar nicht gibt?

Es ist eine Gratwanderung. Eltern versuchen selbstverständlich, die Bedürfnisse des Kindes vorherzusehen. Was aber natürlich nicht möglich ist. Was man kann, ist, nach dem eigenen besten Wissen und Gewissen zu handeln. Was ich bei allen Familien gesehen habe: die Anstrengung, das Wohl des Kindes unbedingt in den Mittelpunkt stellen zu wollen.

Was können traditionelle, romantische Eltern von Co-Eltern lernen?

Auch traditionelle Heterofamilien sind sehr unterschiedlich, sehr divers und mitunter äußerst modern. Und vor allem: Alle Familien sind richtig. Grundsätzlich habe ich beobachtet, dass es Familien besser geht, wenn sie nicht zu hohe Ansprüche an die Liebe zwischen den Eltern haben. Also wenn sie nicht ihr ganzes Glück im Liebespartner verorten. Das ist gefährlich. Co-Eltern haben bisweilen so einen gewissen Liebes-Realismus. Sie erwarten nicht überzogen viel von den anderen Eltern. Sie vergewissern sich, worum es im Kern geht: Zuverlässigkeit, Dauerhaftigkeit, Füreinander-Dasein. Sie sind manchmal einfach ein bisschen unaufgeregter.

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6 Kommentare

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  • ein bischen idealisiert dieses Modell ohne Paarbeziehung. Bei Heteros in meinem Umfeld sind die Konsequenzen schlimmer als bei bei Scheidungsfamilien. Die Kinder sind total gestresst, weil sie in einem unübersichtlichen Geflecht von Halbgeschwistern untersch. Eltern im Wechselmodell immer hin und her geschoben werden und sich ständig an die Lebensentwürfe ihrer Eltern anpassen müssen, die nicht in der Lage sind das Bedürfniss der Kinder nach Stabilität, Entspannung und Sicherheit wahrzunemen. Das führt ua zu Problemen inder Schule - Schulunlust, Konzentrationsproblem usw. Diw Eltern selbst empfinden sich als progessive Trendsetter. Schade, das diese dunkle Seite nie thematisiert wird. Bei Regenbogenfamien gibt es nach wie vor diskriminierende Regelungen für Zwei-Mütter-Familien, die gg. eine Konstellation mit einem schwulen Familienmitglied und bekannten Spender sprechen, so dass dieses Modell der erweiterten Familie an Bedeutung verlieren wird - sie ist schlicht rechtsunsicher.

    • @marusja meyer:

      Meine Generation hat Neurosen, Psychosen, Depressionen, Burnout. Noch stammen wir alle aus Heterofamilien, sortiert nach Vater, Mutter, Kinder. Unsere Eltern haben vom Krieg keine Traumata mehr, wir haben nur Frieden und zunehmenden Wohlstand erlebt. Aber Fehler in der Erziehung passieren in jeder Familienform. Und haben Folgen. DAs Recht, diese Fehler zu machen, sollte nicht nur Vater-Mutter-Kind(er)-Heterofamilien vorbehalten bleiben.

  • Die leidenschaftlichen Paare, die sich dann auch leidenschaftlich zoffen, Eifersuchtszenen hinlegen... usw. die sind für Kinder mit Sicherheit sehr anstrengend. Denn sie sind auch für die Freunde schon anstrengend, die sich die ganzen Beziehungskisten anhören müssen, immer wieder. On/off - ermüdend nach einer WEile. Es gibt genug, die ihr Paarleben so verbringen. Oder eine:r ist immer auswärts, die/der andere verbittert. Auch toll. Eine Umgebung der Schuldgefühle.



    Nein, da lobe ich mir die pragmatische Art, die auch viele unserer Großeltern noch hatten. Geheiratet wurde aus sachlicher Überlegung. Liebe konnte man sich nicht leisten. Aber Verantwortung füreinander ist die schönste Form der Liebe.

    • @Maria Burger:

      Als Repeatplayer - 😂 - mal op gau platt:

      “Dee Plünnen to Hoop smiiten!“ für -



      Heiern => Heiraten - 🤫 -

      unterm—— nochens too de Lütten:



      “Naja. Stimmt. Aber weißt du Änne & Schuster-Bübchen verstehen sich ja wie du siehst gut. Nur gibt es Paare - denen geht - warum auch immer - die Liebe wie ein Taschentuch verloren. Das ist dann nicht zu ändern - aber die beiden kriegen das doch ganz gut hin!“



      Beschied mich Pöks einst unsere alte Dame*04 zu meinen Wahrnehmungen.

      unterm——- diese Dame als Schlagobers



      “ „Ich bin zu alt zum Auswandern“ (🤫)



      Christine Nöstlinger über rebellische Kinderbuchhelden, Seitensprünge, Feminismus, den ohnmächtigen Otfried Preußler und ihre Sorge um Österreich.



      taz.de/Kinderbucha...-wird-80/!5344842/



      (Von den Posituren mal ganz ab;)

      kurz - Ihre Verklärung der Ehen der Altvorderen - sorry - teile ich nur sehr sehr bedingt - insbesondere in Hinblick auf die daraus resultierenden Kinder.



      “Eine unglückliche Ehe!“ befand meine Mutter knochentrocken über die Ehe von Hera der Göttermutter*1876 •



      &



      Meine*45 - Beobachtungen im Kreis meiner Mitschüler => “Schreck laß nach!“ - egal - wo ich als Jugendlicher reinschnupperte! Dito.



      ”Ich würd sie sofort wieder heiraten!“



      Ihr früherer Verlobter - wie sie gern sagte! - 😂 -



      (btw & entre nous only - nur einmal schnupperte ich nach der Penne was von dicker Luft zwischen den Beiden.



      Näher erläutert befand ich:“Quatsch mit Soße. Werdet in den Kohlenkeller gesperrt - bis ihr euch wieder vertragt!“



      Das Gelächter allein löste es auf. Was gar nicht so naheliegend war - die bessere Hälfte schon erwas tüddelig war. But. “Nicht mit Streit ins Bett!“



      Befanden sie gern.

      Soweit mal

  • Interessant. Vielleicht habe ich schon zu sehr romantisch abgerüstet, aber: sich geborgen fühlen, auf einander verlassen können, das eigentümliche Glück, sich um die Kinder zu kümmern, zu teilen, ankommen, den anderen schätzen und ihn wachsen lassen, gleiches auch für sich erwarten zu können, körperliche Nähe - öh... das ist doch Liebe?



    Der Unterschied scheint nur an der Körperlichkeit festgemacht zu werden. Aber wenn frau oder man jemanden findet, mit der/dem man all diese anderen Punkte teilt, kann ich mir kaum vorstellen, dass mer sich auch so net näher kommt...



    Ach Oma, hör ich schon.

    • @Heide Gehr:

      Liggers - Opa => anschließe mich.

      unterm—- nächtlicher techné-absturz =>



      “ Was können traditionelle, romantische Eltern von Co-Eltern lernen?



      Auch traditionelle Heterofamilien sind sehr unterschiedlich, sehr divers und mitunter äußerst modern. Und vor allem: Alle Familien sind richtig. Grundsätzlich habe ich beobachtet, dass es Familien besser geht, wenn sie nicht zu hohe Ansprüche an die Liebe zwischen den Eltern haben. Also wenn sie nicht ihr ganzes Glück im Liebespartner verorten. Das ist gefährlich. Co-Eltern haben bisweilen so einen gewissen Liebes-Realismus. Sie erwarten nicht überzogen viel von den anderen Eltern. Sie vergewissern sich, worum es im Kern geht: Zuverlässigkeit, Dauerhaftigkeit, Füreinander-Dasein. Sie sind manchmal einfach ein bisschen unaufgeregter.“

      kurz - Mal ab vom Schmarrn negligable -



      Les ich den Waschzettel rechts oben:



      “Grau mein Freund - ist alle Theorie!“



      &



      Kiddies sind Seismographen - denen machste kein X fürn U vor. Newahr.



      Nur kommse hier nicht vor.



      Normal •