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Untersuchungsausschuss zu WirecardPrüfer nur „Bilanz-Oberlehrer“

Der Wirecard-Skandal war auch möglich, weil die Bundesregierung es versäumt hatte, eine Kontrollstelle mit Kompetenzen zu schaffen.

Kriminalistische Aufgaben hatten die Prüfer nicht: Fahndungsplakat für Ex-Wirecardchef Jan Marsalek Foto: Alex Kraus/Bloomberg/getty images

Berlin taz | Der Betrug der Finanzfirma Wirecard war möglich, weil keine deutsche Behörde die Kompetenz hatte, Bilanzfehlern nachzuspüren. Der Gesetzgeber hatte der Regierung zwar 2004 den Auftrag gegeben, entsprechende Institutionen zu schaffen. Dabei kam jedoch nur ein Vertrag des Justizministeriums mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) heraus – ein privater Verein, der mit 14 Wirtschaftsprüfern die gesamte deutsche Unternehmenswelt beaufsichtigen sollte.

„Wir können nur prüfen, ob ein Kundenverlag vorliegt“, sagt der Präsident des Vereins, Edgar Ernst, am Donnerstag vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss. „Wir können nicht prüfen, ob der Vertrag gefälscht ist oder ob der Kunde überhaupt existiert.“

Die Wirecard AG hatte jahrelang ihre Gewinne aufgebläht, indem sie Einnahmen aus Scheingeschäften als Umsätze ausgab. Doch auch als Medien bereits 2018 und 2019 Anhaltspunkte für den Betrug vorlegten, gab es von offizieller Seite keine wirksamen Prüfungen und Ermittlungen.

Dabei war die DPR eigentlich als Reaktion auf große Bilanzskandale ins Leben gerufen worden. Ein Fall wie Enron in den USA oder Parmalat in Italien sollte in Deutschland nicht passieren können. Der Untersuchungsausschuss versucht nun zu klären, wo der Gesetzgeber nachbessern muss – und welche Fehler die Bundesregierung gemacht hat.

Freundlich nachgefragt

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hatte der DPR den Auftrag für eine Sonderprüfung erteilt. Diese fügte Wirecard zu ihrer Liste von Problemfällen hinzu und setzte einen Mitarbeiter und zwei Assistenten darauf an, die aber noch etliche andere Fälle bearbeiten mussten. Obwohl der Vorwurf von Bilanzbetrug und Scheingeschäften im Raum stand, fragte der Sachbearbeiter nur freundlich bei dem Unternehmen nach, was es damit auf sich habe. Wirecard schickte weitere Lügen und gefälschte Dokumente und zog das Verfahren so in die Länge – letztlich bis zu seiner Insolvenz.

Die DPR deckte dabei keine Straftat auf. „Wir haben weder die Mittel noch die Befugnis, so etwas zu machen“, sagte Ernst. In der Wirtschaftspresse hieß die DPR zwar „Bilanzpolizei“, in Wirklichkeit war sie aber nur der „Bilanz-Oberlehrer“. Statt das Zahlenwerk auf seine Richtigkeit zu prüfen, hat sie nur die Einhaltung aller Regeln bei seiner Abfassung überwacht.

Kriminalistische Möglichkeiten fehlten

Wirecard hat seine erfundene Bilanz aber hochprofessionell aufgebaut und für jede Position einen Beleg parat; es passte alles wunderbar zusammen – zum Teil sogar besser als in einer echten Bilanz, die sich an der unübersichtlichen Realität orientiert. So fiel nicht auf, dass ein scheinbar gut gefülltes Konto in Singapur gar nicht existierte: Die Auszüge, die Wirecard eingereicht hatte, waren gefälscht. Doch die DPR habe eben keine kriminalistischen Aufgaben, betonte Ernst immer wieder. Auftragsgemäß habe sie mit den überwachten Konzernen kooperiert.

Die Abgeordneten im Ausschuss zeigten sich irritiert, dass diese Regulierungslücke 15 Jahre lang niemandem auffiel. Matthias Hauer von der CDU wunderte sich, dass die Bafin den Auftrag zur Prüfung an die DPR weiterreichte, obwohl sie von deren beschränkten Möglichkeiten wusste. „Das war doch von vorneherein zum Scheitern verurteilt“, sagt Hauer. Offenbar haben Beamte hier nur formell ihre Pflicht getan.

Im nächsten Schritt werden das Justiz- und das Wirtschaftsministerium beantworten müssen, warum sie eine untaugliche Stelle mit der Bilanzprüfung beauftragt haben. Die EU schreibt seit 15 Jahren vor, dass die Mitgliedstaaten eine wirksame Aufsicht der Konzerne durchsetzen. Finanzminister Olaf Scholz hat nun die Bildung einer Ermittlertruppe innerhalb der Bafin angekündigt.

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