Roman über Transidentität: Verschwisterung der Waisen
„Im Park der prächtigen Schwestern“ handelt von Scham, Angst und Intoleranz. Es ist das Debüt der argentinischen Schauspielerin Camila Sosa Villada.
„Weißt du, wo wir dich eines Tages finden werden?“, lautet die pietätlose Prophezeiung von Camila Sosa Villadas Vater, als seine Tochter aufhört, sich als Sohn zu verkleiden, Christian hinter sich lässt, Camilla wird. „In einem Straßengraben werden wir dich finden.“ Er trägt wie viele andere ohne sein Wissen zu der Frau bei, die Jahre später eine gefeierte Schauspielerin und eines der bekanntesten Gesichter der trans Gemeinde in Lateinamerika wird.
Schreiben, sagt Camila Sosa Villada, sei der Auftakt ihres Transvestismus gewesen: Ihr erster Roman, „Las Malas“, nun in brillanter Übersetzung von Svenja Becker unter dem Titel „Im Park der prächtigen Schwestern“ bei suhrkamp nova erschienen, ist vielschichtig wie das Vermögen der Verwandlung: Autobiografie, Gesellschafts- und Initiationsroman, ferner finster-modernes Märchen.
Gnadenlos zeichnet der Roman den Lebensweg seiner Autorin nach: von dem Jungen, der im argentinischen Kaff Mina Clavero in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs und schon früh die Frau in sich entdeckte, die nach Leben gierte, über erste Momente der Travestie bis zum Aufbruch nach Córdoba, wo mit achtzehn Jahren Camilas Doppelleben beginnt.
Tagsüber studiert sie an der Universität, nachts arbeitet sie im Sarmiento-Park, „dem queeren Sündenpfuhl“ der Stadt: „Jede von uns hat bei der Verteilung der Gaben die Fähigkeit zur Transparenz und die Kunst zur Blendung erhalten.“
Von „Hexen, Hübschen und Lesben“
Im Park, bevorzugtem Treffpunkt von „Hexen, Hübschen und Lesben“, sucht und findet Camila eine kleine Gemeinschaft von Schicksalsschwestern, die sie auf- und unter ihre Fittiche nimmt. Inmitten jener neu gewonnen Wahlfamilie, „eine um ihre Einsamkeit herum errichteten Welt in schwesterlichem Rosa“, beginnt Camilas Suche nach ihrem Platz in dieser Welt.
Camila Sosa Villada: „Im Park der prächtigen Schwestern“. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. suhrkamp nova, Berlin 2021, 220 Seiten, 14,95 Euro
Die verlorenen Töchter verteidigen sich gegenseitig gegen An- und Übergriffe von außen, feiern, weinen und wohnen zusammen, teilen Biografien, Sorgen und Ängste genauso selbstverständlich wie Kunden, Klares und Kokain. Ihre Tugenden geboren aus vermeintlichen Unzulänglichkeiten, sie selbst verschlungen von dem Schicksal, das die Welt für sie auserkoren, von der Entscheidung, „die alle und jeder Einzelne getroffen hat: dass wir Prostituierte sein sollen“.
Wie ihre Schwestern verkauft Camila ihren Körper, um als Frau leben zu können. Die Sprache, die Camila Sosa Villada für ihre Geschichte findet, hypnotisiert: präzise und nüchtern, dann wieder irisierend voller Farben und Hoffnung: „Wer uns heute auf der Wiese liegen sieht, in der Sonne Mate trinkend, mit Coca-Cola eingerieben und gefärbt wie flüssiges Karamell, der wird träumen von unseren Körpern und unserem Lachen, unerträglich wird unser Anblick sein.“
Gegen die Beschädigung transfemininer Körper
Der Roman ist auch eine Abrechnung mit der Hypokrisie eines Landes, das Körper wie ihren verachtet am Tage, begehrt in der Nacht: „Auch das sind wir als Land“, schreibt die Autorin, „die pausenlose Beschädigung transfemininer Körper“. Meisterhaft kleidet sie Scham, Angst, Intoleranz und Verachtung in hohe Prosa.
Schonungslos offenbart Camila Sosa Villada ihren Leser*innen beide Seiten der trans Medaille: die Wut, den Hass, den Mangel an Liebe, aber auch den Karneval, die Transidentität als Fest: „als wäre Glück eine Möglichkeit, als könnten die Worte des Herrn im nächsten Moment wahr werden und die Letzten einmal die Ersten sein.“
„Im Park der prächtigen Schwestern“ ist ein zärtliches Zeugnis jener konkreten Poesie, die sich am Rande unserer rechtschaffenen Welt mit ihrem Korsett voller Regeln abspielt: im Abgelehnten, im Verlassenen, im Verleugneten, im Marginalisierten.
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