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Tattoos trotz PandemieGespielt wie gestochen

Friseure, Reisen oder jetzt Tattoos: Der Fußball ignoriert beharrlich Verbote. Die Blase ist eine Illusion. Bei einer dritten Welle sollte er zumachen.

Neuer Schmuck der Schenkel: Matheus Cunha Foto: Annegret Hilse/Reuters/dpa

O b das Tattoo sich wenigstens gelohnt hat, vermag niemand mehr zu sagen, denn das Video ist gelöscht. Am Freitag war Corentin Tolisso, Profi beim Männerteam des FC Bayern, auf Instagram beim Tätowierer zu sehen. Das Video war in einer Privatwohnung gedreht, niemand von beiden trug Schutzmaske. Und das Verbot kommerziellen Tätowierens in der Pandemie störte erst recht nicht.

Engelsflügel und Kreuze, Namen von Kindern und Ehefrauen, Sinnsprüche und Oprah-Winfrey-Zitate: die Tattoos männlicher Profis sind an und für sich ein wunderschönes Gebiet soziologischer Forschung. So abgehoben angeblich der Fußball, so zutiefst spießbürgerlich die Tattoos seiner Protagonisten: Kinder, Kirche und Kalendersprüche. Der seelische Seemanns-Anker im stürmischen Ozean des Sportbusiness. Krass aber ist, wie unbekümmert dies auch in Pandemie-Zeiten unter Profis weiterlebt.

Kleine Tattoo-Studios bangen um ihre Existenz, die Großen haben offenbar lukrative Auftraggeber unter der Hand. Dieses Wochenende durfte man sich auch über Herthas Matheus Cunha wundern, dessen Oberschenkel wundersamerweise gleich zwei neue Tattoos zierten. Und Christian Marin, Tolissos Tätowierer, scheint besonders aktiv: letzte Woche, auch das ist seinem Instagram-Account zu entnehmen, tätowierte er in Lyon den Olympique-Profi Memphis Depay.

Friseure, Tattoos oder Reisen: Was Normal­sterbliche nicht dürfen, schert den Männerfußball einen Dreck. Symptomatisch Leipzig-Boss Oliver Mintzlaff, der gerade eine Ausnahmeregelung fordert, damit seine roten Hornochsen trotz Einreisesperre zu Hause gegen den FC Liverpool spielen dürfen. Dass der direkt aus dem Mutationsgebiet einreisen würde, wen schert’s? Ein Ausweichen auf anderes Gebiet ist „sicherlich nicht unser Ziel“.

Eine Unterbrechung wurde nie diskutiert

Es ist schon erstaunlich, für wie wenig Debatte all das sorgt. Die verborgenen kapitalistischen Produktionsstätten sind zumindest kurz ins Licht gerückt, der Fußball aber ist völlig ungestört durch die zweite Welle gekommen. Eine Unterbrechung des Spielbetriebs wurde nicht einmal dann diskutiert, als alle anderen schon drei Monate im Lockdown saßen, trotz immer wiederkehrender Infektionen von Profis.

Die Behauptung, der Betrieb sei eine Blase, ist schlicht eine Lüge. Natürlich treffen Fußballer Menschen; offenbar sehr regelmäßig sogar solche, deren Dienstleistungen für alle anderen geschlossen sind. Von Abstand in der Kabine oder beim Jubel redet schon gar keiner mehr. Allein bis Mitte November – noch vor der zweiten Welle – hat es unter den rund 550 Spielern der Männer-Bundesliga laut „Sport Bild“ 44 Covid-Infektionen gegeben, also fast jeder Zehnte. Cunha und Tolisso haben eine Geldstrafe erhalten und entschuldigten sich reuig. Es wird aber nur dann bestraft oder überhaupt diskutiert, wenn zufällig mal ein Tätowierer blöd genug ist, ein Video zu posten.

Es sollte sie im eigenen Interesse beunruhigen

Dabei geht es gar nicht um fehlbare Sünderlein, die wir alle sind. Sondern um eine Kaste, die Geld und Lobby genug hat, sich über jede Regelung hinwegzusetzen. Das sollte sie schon im eigenen Interesse beunruhigen. Gerade sind Goretzka und Martínez positiv auf Corona getestet worden. Gegenüber dem Nachrichtenportal „Watson“ sagte der Schweizer Sportarzt Christian Schmied: „Nach derzeitigem Wissensstand haben 10 bis 20 Prozent der Spitzensportler zwei bis sechs Monate nach dem Coronavirus noch Beschwerden.“ Etwa Müdigkeit, Atemnot und geringere Leistungsfähigkeit.

Durch eine Veränderung der Blutgefäße sei „der Spieler gefährdet für weitere Krankheiten“ wie Herzprobleme. Sollte das niemanden kümmern? Es sollte. Und was ist mit all den Beschäftigten, BusfahrerInnen, ZeugwartInnen, MasseurInnen? Oder deren Kontakten? Wenn eine dritte Welle kommt, muss der Fußball schließen. Er ist nicht systemrelevanter als TätowiererInnen. Derzeit macht man es ihm viel zu leicht. Herthas Sportdirektor Arne Friedrich sagte: „Matheus hat seinen Fehler eingesehen und wird eine Spende an eine soziale Einrichtung leisten. Damit ist das Thema für uns erledigt.“

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de
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2 Kommentare

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  • Und es gibt die Deppen, die einfach nicht einschalten, wenn Fußball zu sehen ist. Fußball im TV gibt es seit 70 Jahren. Und nun zu den aktuellen Coronazeiten. Himmel, Fußball lenkt zu sehr ab. Aber Ablenkung tut auch mal Not, ein Elend aber auch.

  • Der Artikel gefällt mir. Ich war immer gegen Spiele in dieser beschissenen Zeit, muss aber zugeben, die Spiele am Liveticker zu verfolgen. Fußballer gehen öfter zum Friseur als Fußballerinnen. Sehr viele Selbstdarsteller. Vor dem Spiel heißt vor den Spiegel. Die Burschen haben viel Freizeit. Da klettern sie durchs Fenster, wie dieser Idiot aus Mönchengladbach. Was rege ich mich auf. Wie gesschrieben, da hat die "Herthanerin" :)einen guten Artikel geschrieben. UNVEU