Femizide in Italien: Sieben Tage, sieben Frauenmorde
Im Januar 2020 wurden in Italien an sieben Tagen sieben Frauen ermordet aufgefunden. Unsere Autorin hat sich auf Spurensuche begeben.
M ontag, 27. Januar 2020: Dass es sich um einen gewaltsamen Mord handelt, davon sind die Ermittler überzeugt, als sie die Leiche der zwei Tage vorher verschwundenen Francesca Fantoni sehen. Die Würgespuren am Hals. Die Blutergüsse am ganzen Körper. Die Autopsie stellt später eine Vergewaltigung fest. Die Frau, die man in ihrem Heimatort Bedizzole tötete, einer rund 12.000 Einwohner zählenden Gemeinde zehn Kilometer vom Gardasee entfernt, wurde 39 Jahre alt.
Mittwoch, 29. Januar 2020: Am Abend stoßen Polizisten in einem Haus in der Via Calipso in Mazara del Vallo im Osten Siziliens auf Blutspuren. In der Küche, im Bad, im Wohnzimmer. Im Schlafzimmer liegt Rosalia Garofalo, die wenige Monate später ihren 54. Geburtstag gefeiert hätte, reglos auf dem Bett. „Der Körper war ein Mosaik aus Blutergüssen und Schwellungen. Das Gesicht aufgedunsen und entstellt“, wird der leitende Ermittler später sagen. Es ist der fünfte Frauenmord, zu dem er im Laufe seines Berufslebens gerufen wird. Noch nie zuvor hat er etwas Vergleichbares gesehen.
Donnerstag, 30. Januar 2020: In Vierschach, einem Ort in Südtirol kurz vor der österreichischen Grenze, finden die Ermittler am Vormittag in einem Apartment im zweiten Stock eines Hauses in der Angerstraße den leblosen Körper der 28 Jahre alten Fatima Zeeshan. Die Pakistanerin war im achten Monat schwanger, ihr Körper weist zahlreiche blutunterlaufene Stellen auf. Die Obduktion ergibt in den Tagen darauf, dass die Frau mit Füßen getreten, mit Fausthieben geschlagen und schließlich erstickt wurde.
Donnerstag, 30. Januar 2020: Kurz vor Mitternacht hören Anwohner der Via Santa Maria Annunziata in Mussomeli, einer Gemeinde im Zentrum von Sizilien, fünf Schüsse. Kurz darauf weitere fünf. Wenig später einen letzten. Es hätte so geklungen, als ob Fensterläden oder Türen gegen die Wand schlagen würden, wird ein Nachbar am Tag darauf sagen. In Wahrheit wurden gerade zwei Frauen erschossen: Rosalia Mifsud, 48, und ihre Tochter Monica Diliberto, 27.
Ein ganz normales Paar
Freitag, 31. Januar 2020: Zwischen ein und zwei Uhr morgens finden Carabinieri in der Peripherie der Küstenstadt Alghero auf Sardinien unweit eines Parkplatzgeländes eine weibliche Leiche. Der Verwesungsprozess ist bereits fortgeschritten. Speranza Ponti, vor 50 Jahren in der knapp 3.000 Einwohner zählenden Gemeinde Uri auf Sardinien geboren, wurde seit Anfang Dezember 2019 vermisst.
Freitag, 31. Januar 2020: Am Morgen verabschiedet sich in der Via Furlani in Genua, der Hauptstadt Liguriens, ein Mann von seiner Haushälterin in der Annahme, sie bei seiner Rückkehr nicht mehr anzutreffen. Als er gegen 18:30 Uhr zurückkehrt, stößt er beim Betreten seiner Wohnung auf die ermordete Frau. Neben ihr liegt in einer Blutlache ein schwerverletzter Mann. Die Notärzte können nur mehr den Tod der in Albanien geborenen Laureta Zyberi, 43, feststellen. Aber sie retten den Schwerverletzten. Unweit von ihm liegt das Messer, mit dem er zehnmal auf die Frau eingestochen und sich selbst schwere Stichwunden im Unterleib zugefügt hat. Eduart Zyberi, 54, von Beruf Maurer, wird kurz darauf im Krankenhaus San Martino notversorgt und operiert.
Noch im Krankenhausbett gesteht Zyberi die Tat an der Frau, mit der er 20 Jahre lang verheiratet war. Es stellt sich heraus, dass er seine Frau eines Verhältnisses mit einem anderen Mann, vermutlich mit ihrem Arbeitgeber, verdächtigt hat. Zyberis Scooter steht wie so oft auch an jenem Tag in der Straße unterhalb des Arbeitsplatzes seiner Frau. Er kennt den Weg gut, er hat Laureta oft dort abgeholt. Die Nachricht von der Bluttat ist für Bekannte und Verwandte, besonders für die zwei erwachsenen Söhne des seit 1996 in Italien lebenden Paares, ein Schock. Niemand von ihnen weiß gegenüber der Polizei von Streitereien oder einer Trennung zu berichten. Die Zyberis, sie waren nach außen hin ein ganz normales Paar.
Vergewaltigt, zu Tode getreten und geprügelt. Erwürgt, erstochen und erschossen. Sieben tote Frauen in sieben Tagen, verteilt von Nord bis Süd über das ganze Land. Statistisch gesehen war die letzte Januarwoche 2020 besonders gravierend, durchschnittlich wird in Italien circa alle drei Tage eine Frau ermordet. Und die Gewalt an Frauen, sie nimmt nicht ab, im Gegenteil.
2018 war laut dem EURES-Report „Frauenmord und geschlechtsspezifische Gewalt“ der Anteil der weiblichen Opfer an der Gesamtzahl der verübten Morde in Italien so hoch wie nie zuvor: 40,3 Prozent, in Zahlen sind das: 142 ermordete Frauen. Im selben Jahr stiegen auch die Anzeigen wegen Missbrauchs in der Familie (+ 11,7 Prozent), sexueller Gewalt (+ 5,4 Prozent) und Stalkings (+ 4,4 Prozent). Von der Öffentlichkeit werden die Taten kaum wahrgenommen.
Was bedeutet es, in Italien eine Frau zu sein? Dazu hat die Autorin dieses Textes gemeinsam mit der Fotografin Franziska Gilli – beide sind im Land in einer deutschen Community aufgewachsen – über mehrere Jahre hinweg recherchiert. In ihrem Buch „Hure oder Heilige – Frau sein in Italien“, aus dem auch dieser Text in Teilen stammt, begleiten sie feministische Aktivistinnen und Nonnen der unbefleckten Empfängnis. Sie treffen Showgirls aus dem Fernsehen und junge Frauen, die ihnen nacheifern. Und sie berichten über Gewalt, die Frauen das Leben kostet.
Alghero, Sardinien: Tage bevor Speranza Pontis halb verwester Körper gefunden wird, postet ihr Partner Massimiliano Farci, 53, mit dem sie eine Pizzeria führte, mehrere Nachrichten auf Facebook. Er richtet sie alle an seine Freundin, deren Name übersetzt „Hoffnung“ bedeutet: „Im Leben wird sich alles regeln, niemand wird dich verurteilen, viele lieben dich, viele hoffen auf dich, viele glauben an dich, besonders ich, was auch immer das Problem ist. Wir werden darüber reden, auch wenn wir schon viel geredet haben, wir werden nie aufhören, darüber zu reden. Aber ich bitte dich, lass uns darüber reden. Ich habe immer an die Hoffnung geglaubt.“
Die Carabinieri finden die Tote durch Hinweise von Farci nach einem stundenlangen Verhör. Der in der Nähe von Cagliari geborene Mann sagt aus, er habe seine Lebensgefährtin am 6. Dezember in der gemeinsamen Wohnung in der Vittorio-Emanuele-Straße in Alghero tot aufgefunden. Sie habe an Depressionen gelitten und sich das Leben genommen. Aus Angst, verdächtigt zu werden, habe er sie an einen ihrer Lieblingsorte am Rande der Stadt gebracht, von wo man das Meer sehen könne.
Seit 2017 befindet sich Farci in Halbfreiheit. 1999 gestand er den Mord an einem Mann. Die Ermittler glauben seinen widersprüchlichen Aussagen auch dieses Mal nicht und verhaften ihn wegen des Verdachts auf Mord und Unterschlagung einer Leiche sowie Raub. Mit der EC-Karte seiner toten Partnerin hat Farci kurz vorher mehrere Tausend Euro abgehoben. Lokalen Medien zufolge verfügte Ponti nach dem Verkauf einer Wohnung und einer eingelösten Versicherung über eine Geldsumme, an der Farci interessiert war.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sizilien: Rosalia Mifsud und Michele Noto aus Mussomeli sind ein ungleiches Paar, von dem nur wenige wissen. Sie ist mehr als 20 Jahre älter als Michele, älter als seine Mutter. Noto besitzt einen Waffenschein, von Zeit zu Zeit arbeitet er in einem Bestattungsinstitut, er hält einen Hund der Rasse Corso Italiano, trainiert im Fitnessstudio. Nachbarn beschreiben ihn als „ruhigen jungen Mann“. Als Rosalia die Beziehung, mit der ihre Tochter Monica nicht einverstanden ist, beendet, will Michele Noto das nicht akzeptieren.
Vor den tödlichen Schüssen, so wird ein Anwohner in einem Video den Journalisten später erzählen, erledigt Rosalia gemeinsam mit einer Nachbarin in deren Wohnung Hausarbeiten. Gegen 23 Uhr kehrt sie nach Hause zurück. Ihr Exfreund Michele Noto, der in derselben Straße wohnt, betritt ihr Haus kurz darauf über die weiße Eingangstür, die keine Spuren von Gewaltanwendung aufweist. Zuerst schießt er Rosalia in den Mund, dann richtet er ihre Tochter hin. Mit einem letzten Schuss tötet er sich selbst.
Mutter und Tochter tragen ihr Haar lockig, auf Bildern sehen sie aus wie Schwestern. Die letzte Nachricht, die von ihnen nach außen dringt, wird über Whatsapp verschickt. Als Monica auf eine Nachricht ihres Freundes nicht mehr antwortet, fährt er gemeinsam mit ihrem Bruder und Rosalias Sohn in deren Wohnung. Dort finden sie drei Leichen. Die Mutter in ihrem Schlafzimmer, die Tochter nicht weit von ihr entfernt. Und Noto.
Auch wenn oft angenommen wird, im Süden Italiens sei ein konservativeres Rollenverständnis verbreiteter als im Norden, so ist den Zahlen zufolge geschlechtsspezifische Gewalt ein gesamtstaatliches Problem. Im Norden sind die Zahlen der Frauenmorde am höchsten, was daran liegt, dass dort mehr Menschen leben. Statistisch gesehen kam im Jahr 2018 in der Lombardei wie in Sizilien eine ermordete Frau auf 500.000 Einwohner. Egal ob Mailand oder Palermo, das Frauenbild in der italienischen Gesellschaft kann als äußerst widersprüchlich bezeichnet werden:
Lasziv tanzen leicht bekleidete Showgirls seit mittlerweile 65 Jahren durchs Hauptabendprogramm. Tragen freizügige Kostüme, starkes Make-up, eine Ausnahme ist, wer keine schönheitsmedizinischen Eingriffe hat machen lassen. Statt zu sprechen, lächeln sie bloß. Das Bild der stummen Schönen wird in privaten Medien wie jenen der Familie Berlusconi rauf und runter gespielt, aber auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Sexistische Stereotype sind in Italien so festgefahren wie kaum irgendwo in Europa, während die Figur der Mutter als Ikone verehrt wird und sich manche Dogmen noch aus der Zeit des Faschismus halten. „In unserem Staat darf die Frau keine Rolle spielen“, sagte Benito Mussolini einst. Fast hundert Jahre später sind Frauen in Italien überdurchschnittlich gut ausgebildet, aber unterdurchschnittlich oft beschäftigt. Der gesellschaftliche Druck auf sie ist in vielen Bereichen enorm groß.
Obwohl sich in Italien mit „Non una di meno“ 2016 eine der lautesten feministischen Bewegungen Europas formte, verhallte die #MeToo-Debatte ergebnislos, das Land der Kavaliere und Charmeure schien nicht bereit zu sein für diese Auseinandersetzung. Im Gegenteil, patriarchale Strukturen wurden dadurch noch verhärtet.
Asia Argento, die Schauspielerin, die für die Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Harvey Weinstein im Ausland Solidarität erhielt, erntete zu Hause in Italien Beschimpfungen und Gewaltandrohungen. Immer offener schüren Politiker der neuen Rechten wie der ehemalige Innenminister Matteo Salvini ihren Frauenhass, etwa wenn er twittert: „Ich schäme mich übrigens für diesen Sänger, der Frauen mit Huren vergleicht, die vergewaltigt, gekidnappt und wie Objekte behandelt werden. Das machst du bei dir zu Hause, nicht im Öffentlich-Rechtlichen und auch noch im Namen der italienischen Musik.“
Eine der massivsten Prägungen erfuhr das Frauenbild in Italien aber von religiöser Seite: durch die katholische Kirche und den Vatikan, der sich seit jeher stark in gesellschaftliche wie politische Belange einmischt. Zwei zentrale Frauenrollen des katholischen Glaubens beeinflussen Italien seit zwei Jahrtausenden. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein und doch bedingen sie sich: die Hure und die Heilige, Maria Magdalena und die Jungfrau Maria. Zwischen der einen und der anderen können sich Frauen entscheiden, so scheint es. Die Kritik daran ist nicht neu – Feministinnen wehren sich schon lange dagegen –, aber sie ist noch immer aktuell.
Im lombardischen Bedizzole ist Francesca Fantoni mit den kurzen dunklen Haaren den meisten unter ihrem Spitznamen „Kekka“ bekannt. Da sie an einer leichten psychischen Störung leidet, sind die Eltern besorgt, als sie an jenem Samstagabend nicht nach Hause kommt. Sie informieren die Polizei und starten über die sozialen Medien eine Suchaktion. Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen sie in einer Bar. Gegen 20:30 Uhr nähert sich ihr Andrea Pavarini, 32 Jahre alt, aus Bedizzole wie sie, von Beruf Gärtner und Landwirt. Sie scheint nicht erfreut darüber zu sein, verlässt aber kurz darauf zusammen mit ihm das Lokal. Am selben Abend taucht Andrea Pavarini zu später Stunde in einer anderen Bar von Bedizzole auf – ohne Francesca Fantoni. Sein Pullover ist befleckt mit Blut und Schlamm.
Problematisch und aufdringlich
Am Sonntag wird Francescas kaputtes Mobiltelefon auf dem Stadtplatz entdeckt. Am Montagvormittag finden zwei Carabinieri im Stadtpark von Bedizzole zwischen Bäumen und Büschen ihre halbnackte Leiche. Tage später gesteht Pavarini den Mord. Dorfbewohner beschreiben ihn als problematisch, aufdringlich und unfähig, seine Triebe zu kontrollieren. In der Vergangenheit wurde er der sexuellen Belästigung beschuldigt. Gegen ihn wird wegen Totschlags ermittelt. Es besteht die Gefahr der Flucht und der Tatwiederholung.
Vierschach, Südtirol: Nachbarn sagen, sie hätten die junge Frau, die gemeinsam mit ihrem 38 Jahre alten Ehemann Mustafa Zeeshan seit knapp einem Jahr in der Wohnung lebte, kaum wahrgenommen und höchstens einmal auf dem Balkon sitzen gesehen. Das Haus habe Fatima Zeeshan nie verlassen. Private Hochzeitsbilder zeigen eine zarte junge Frau mit rot geschminkten Lippen und großen Ohrringen unter ihrem Brautschleier. Keine 500 Einwohner zählt die zu Innichen gehörende Ortschaft. Es gibt eine Kirche, Skilifte und ein an der Hauptstraße gelegenes Restaurant mit Pizzeria, in dem Mustafa seit vier Jahren arbeitet. Zuerst als Tellerwäscher, dann als Pizzabäcker.
Es ist Mustafa Zeeshan selbst, der die Polizei über den Tod seiner hochschwangeren Frau informiert. Der zudem zuvor hektisch Arbeitskollegen und Nachbarn anruft und an jenem Vormittag nicht zur Arbeit erscheint. Noch am selben Tag verhören die Ermittler ihn und seine Nachbarn und Arbeitskollegen mit Hilfe von Dolmetschern bis spät in den Abend hinein. Deren Aussagen und sein Schweigen belasten Zeeshan schwer, er gilt als dringend tatverdächtig.
Stunden später wird er ins Gefängnis überstellt. Seine Pflichtverteidigerin sagt, ihr Mandant sei vor Schock weder imstande zu sprechen noch zu gehen. Mustafa Zeeshan wird des Mehrfachmordes beschuldigt – drei Wochen später hätte Fatima ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Ihrer Schwester soll sie vor dem Tod erzählt haben, dass ihr Ehemann sie manchmal schlage und es Probleme mit seiner Familie in Pakistan gebe, weil er ihr seit seiner Heirat nur noch halb so viel Geld schicken könne. Ehemalige Arbeitskollegen sagen, Mustafa habe sich sehr auf das Baby gefreut.
Laut dem EURES-Report verwendeten die meisten Täter Stichwaffen wie ein Messer, gefolgt von Schusswaffen und den eigenen Händen, mit denen sie die Frauen erwürgt oder zu Tode geprügelt haben. Rund ein Fünftel der Männer war geständig, ein Viertel nahm sich nach dem Mord das Leben oder versuchte es. In 28 Prozent der Fälle gingen dem Femizid viele gewaltvolle Jahre voraus.
Zweimal zeigt Rosalia Garofalo 2017 ihren Ehemann, mit dem sie seit 30 Jahren verheiratet ist und einen 27 Jahre alten Sohn hat, wegen Misshandlung an. Eine Zeit lang lebt sie in einem Frauenhaus. Im Oktober 2019 erstattet sie zum dritten Mal Anzeige, zieht sie aber bald darauf wieder zurück und versichert, nie wieder zu Vincenzo Frasillo zurückzukehren. Als der 53 Jahre alte Sizilianer, arbeitslos und vorbestraft, an jenem Abend die Notrufnummer 118 wählt, gibt er an, seine Frau sei erkrankt und nun tot. Das Sanitätspersonal alarmiert die Polizei.
Bei der Befragung soll er lokalen Medien zufolge immer wiederholt haben: „Meine Frau hat mich betrogen. Aber ich habe sie nicht getötet, ich habe sie nur am Montag geschlagen.“ Vincenzo Frasillo soll seiner Frau angeboten haben, sie ins Krankenhaus zu bringen oder einen Arzt zu holen, was sie verneint habe. Die Untersuchungen des Gerichtsmediziners ergeben, dass Rosalia Garofalo drei Tage lang zu Tode geprügelt wurde. Gegen Frasillo wird Haftbefehl erhoben.
Die sieben Frauen wurden auf unterschiedliche Arten getötet, unterschiedliche Hintergründe verbergen sich hinter ihren Geschichten. Zwei von ihnen teilen den Vornamen Rosalia, und allen gemeinsam ist ein Fakt, der auf einen Großteil der Frauenmorde zutrifft: Die Frauen kannten ihre Mörder. In den allermeisten Fällen besaßen sie denselben Wohnungsschlüssel. So wie in der letzten Januarwoche 2020 fanden auch in den Jahren zuvor in Italien die meisten Verbrechen zu Hause statt, hinter verschlossenen Türen. 2018 wurden 78 Frauen in Italien, bei einer Gesamtzahl von 60,5 Millionen Einwohnern, durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Expartner getötet.
In Deutschland waren es im gleichen Jahr 122 Frauen, die durch ihre Partner ums Leben kamen. Im Verhältnis zur Bevölkerungsanzahl ist die Rate in Deutschland damit höher als in Italien. (1:775.641 Einwohner in Italien; 1:680.327 Einwohner in Deutschland). Vergleicht man die Femizid-Rate mit dem weiblichen Bevölkerungsanteil, liegt Italien mit seinen Zahlen unter dem europäischen Mittelwert.
Giuseppe Conte, Italiens Ministerpräsident, der in dieser Woche seinen Rücktritt bekanntgab
Am Ende jener Woche Ende Januar 2020 bezeichnet Giovanni Salvi, der Generalstaatsanwalt des italienischen Kassationsgerichts, die Frauenmorde als „nationalen Notstand“. Der in dieser Woche zurückgetretene Ministerpräsident Giuseppe Conte verspricht damals, den im August 2019 in Kraft getretenen „Codice Rosso“, der die Meldungen und Untersuchungen von Verbrechen im Zusammenhang mit häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt regelt, wirksamer zu gestalten. Auf Facebook schrieb er: „Gewalt gegen Frauen ist auch ein kulturelles Problem, und deshalb werden wir in den Schulen ansetzen, zwischen Jungen und Mädchen, denn dort muss der Wandel beginnen.“
Vor einem Jahr werden die ermordeten Frauen nach und nach verabschiedet. Bei der Beerdigung von Francesca Fantoni, die vergewaltigt, erstickt und im Park ihrer Heimatstadt entsorgt wurde, fragt der Priester die Trauernden: „Warum nimmt die Gewalt überhand? Warum ist es so leicht zu töten? Man kann nicht sagen, dass diejenigen, die solche Taten begehen, alle geistig gestört wären.“ Der Bürgermeister verordnet eine eintägige Stadttrauer.
Unzählige Menschen sind anwesend, als die beiden Mordopfer Rosalia Mifsud und ihre Tochter Monica Diliberto zu Grabe getragen werden. Die Kirche San Giovanni in Mussomeli ist voll, als der Priester sagt: „In diesen Momenten der Ohnmacht kann nur der Glaube Antworten und Trost geben.“ Er vertraut die beiden der Schutzpatronin der Stadt an, der Madonna dei Miracoli, der Muttergottes der Wunder. Am Tag darauf wird der Täter in derselben Kirche beerdigt.
Symbol für die Tränen der Frauen
In der zweieinhalb Stunden entfernten Kathedrale von Mazara del Vallo wird die tagelang zu Tode geprügelte Rosalia Garofalo beigesetzt. Ihr Sohn wird während der Trauerfeier von Sanitätern der Notfallmedizin betreut.
In Genua wird Laureta Zyberi verabschiedet.
Die pakistanische Gemeinschaft in Südtirol will die Leiche von Fatima Zeeshan in die Heimat überführen, aber sie wird zunächst nicht freigegeben. Die Katholische Frauenbewegung von Innichen gedenkt Fatimas und ihres ungeborenen Kindes mit einer Schweigeminute. Zum Gottesdienst am Weltfrauentag stellen die Frauen eine Schale mit Glasperlen auf den Altar, als Symbol für die Tränen von Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind. Im Mai wird die Leiche schließlich von Mailand nach Pakistan überführt. Die pakistanische Gemeinschaft in Südtirol kommt für die fast 4.000 Euro auf.
Die Familie von Speranza Ponti aus Sardinien hat nach Informationen lokaler Medien das von den Franziskanerinnen verfasste Gebet gegen Frauenmord bei der Beerdigung verlesen. Eine Stelle dort lautet: „Du bist sanftmütig, Herr, du bist Schutz: Gib den Frauen die Kraft und den Mut, ihre Sklaverei anzuerkennen und der Unterdrückung zu entkommen. Gib uns den Mut, empört zu sein und uns nicht hinter Gleichgültigkeit zu verstecken, sondern immer und unter allen Umständen zu ihrer Verteidigung, ihrem Schutz und ihrer Unterstützung zu handeln.“
Hinweis: Dieser Text stammt in Teilen aus dem kürzlich bei Edition Raetia erschienenen Buch von Barbara Bachmann und Franziska Gilli: Hure oderHeilige – Frau sein in Italien, 224 Seiten, 24,90 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!