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Zwischendurch mal Staub wischen

Der „Hafenklang“ in der Hamburger Großen Elbstraße musste Staatsknete annehmen, um zu überleben. Für den linksalternativen Laden fühlte sich das seltsam an

Räudiger Charme: der „Hafenklang“ in der Großen Elbstraße Foto: Miguel Ferraz

Aus Hamburg Jan Paersch

Wer in eine Suchmaschine seiner Wahl „Clubs Hamburg“ eingibt, bekommt noch immer Ergebnisse, die aus einer anderen Galaxie zu stammen scheinen. „11 Hamburger Clubs, in denen ihr spitzenmäßig feiern könnt“ oder „Die besten Clubs & Partys in Hamburg“ werden Tanzfreudigen da nahegelegt.

Dass die Realität in den Ausgehvierteln seit einer gefühlten Ewigkeit anders aussieht, weiß nicht nur Thore Debor. Er ist Geschäftsführer des Clubkombinats Hamburg e. V. und sagt: „Die Szene ist praktisch seit einem Jahr im Lockdown.“ Ab Mai 2020 wurde in der Kulturszene an der Elbe schrittweise gelockert, ab Juli gab es Open-Air-Konzerte, während des Reeperbahn-Festivals gar Gigs in geschlossenen Räumen. Doch reguläre Klub-Öffnungen, mit mehreren Konzerten pro Woche? Schon vor dem November-Lockdown undenkbar, unberechenbar und vor allem: unfinanzierbar, angesichts massiv reduzierter Zuschauerkapazitäten.

Thore Debor ans Telefon zu bekommen, ist nicht leicht – der 44-Jährige hat gut zu tun. „Wer, wenn nicht wir?“, meint Debor, der seit 2012 den Interessenverband der KlubbetreiberInnen, VeranstalterInnen, BookerInnen und Agenturen leitet. Das Clubkombinat organisiert in diesen Tagen den „Open Club Day“, der am 6. Februar online stattfindet. Ab 13 Uhr wird es eine virtuelle Klubführung durch das Fundbureau an der Sternbrücke geben, es folgen Diskussionen mit BranchenvertreterInnen und PolitikerInnen.

„Für alle Beteiligten ist Planungssicherheit elementar, aber backen können wir uns die nicht“, sagt Debor, und sein Achselzucken ist beinahe akustisch vernehmbar. Die Veranstaltenden trauen sich kaum an die Planung. Denn selbst wenn man Tickets für Herbstkonzerte anbieten würde – würde die jemand kaufen wollen?

Inzwischen gibt es eine seriöse Studie des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts: eine Ansteckung in Konzertsälen bei dauerhaft getragenem Mund-Nasen-Schutz und laufender Belüftungsanlage sei so gut wie ausgeschlossen. Aber ob die Kultur im Zuge eventueller Lockerungen Mitte Februar bei der Politik nicht eher ganz unten auf dem Zettel steht? Und was ist mit Stehkonzerten?

Mit den Regierenden ist man nicht unzufrieden in Hamburg. Die Kulturbehörde unter Senator Carsten Brosda hat sich schnell engagiert. 1,5 Millionen Euro Soforthilfe gab es im April für über 100 Klubs und Spielstätten, es folgten weitere Hilfen und Förderungen. Debor mag sich nicht beschweren, wünscht sich aber mehr Austausch zwischen den Behörden und konstatiert: „Die Politik ist mit der Mannigfaltigkeit der Probleme überfordert.“

Von der Problemvielfalt kann Lilia Ohls ein Lied singen. Sie ist als Bookerin fest angestellt beim Hafenklang, dem neben dem Pudel Club wohl feinsten räudigen Etablissement Hamburgs. Allein die Löhne für die Angestellten in Kurzarbeit an der Großen Elbstraße 84 betragen circa 15.000 Euro im Monat, dazu kommen Miete und weitere Kosten. All das musste schon Ende März aufgetrieben werden, lange bevor die ersten Staatshilfen flossen. Es half die Kampagne „Save Our Sounds“, die private Spenden bündelte – und bis heute mehr als 400.000 Euro einnehmen konnte.

Für einen dezidiert linksalternativen Laden wie das Hafenklang sei staatliche Unterstützung „surreal“, es habe jedoch keine andere Möglichkeit gegeben. „Alles geht für die laufenden Kosten drauf“, sagt Ohls. „Wir können nichts ansparen für eine Zeit, in der es keine Förderung mehr gibt und wir wieder öffnen dürfen. Es kann aber durchaus sein, dass es so langsam wieder anläuft, dass wir kaum Einnahmen haben werden.“

Live-Streams aus dem Hafenklang hat es bislang kaum gegeben. „Eine Techno-Party vor dem Bildschirm, auf dem ein leerer Raum gezeigt wird? Das macht gar keinen Sinn“, so Ohls.

Große Disco-Kugeln, eine niedrige Bühne, eine gut bestückte Bar und viel Beton: Der Klub ist der Traum einer jeder Rockband. Der Hafenklang-Style geht jedoch weit über Gitarrenlärm hinaus: Indie, Techno und Hip-Hop haben ihren Platz, dazu kommen kleine Festivals, Lesungen, Filmabende und Flohmärkte. Über 300 Konzerte auf zwei Etagen veranstaltet man in Spuckweite von der Norderelbe in regulären Jahren. Wehmütig erinnert sich Lilia Ohls an das letzte Konzert am 13. März 2020, ein Gig der Berliner Rockband Bonsai Kitten, zu dem schon spürbar weniger Publikum erschien.

Soli-Sampler mit 35 Bands

Im April erschien auf der Online-Plattform Bandcamp ein Soli-Sampler mit 35 Bands aus der Hafenklang-Familie, darunter Acts wie Pisse oder Rainer von Vielen. „Es gab Leute, die 50 Euro dafür übrig hatten – und das für eine rein digitale Compilation“, freut sich Ohls.

Die Bands sollen an den Einnahmen beteiligt werden, denn die werden es künftig noch schwer haben. „Der Brexit macht alles noch schlimmer“, so die Bookerin, „ein Großteil unserer KünstlerInnen kommt aus Großbritannien. Bands, die noch klein sind und es sich nicht leisten können, aufwendig zu touren. Vielleicht werden wir mehr auf regionale Acts setzen müssen.“

Hat die Krise auch eine gute Seite? Lilia Ohls muss nicht lange überlegen. „Wir waren auch zuvor mit anderen befreundet. Aber jetzt ist der Zusammenhalt in der Klubszene noch enger geworden.“Im Februar oder März sind Live-Streams mit dem Team der „MS Stubnitz“ geplant. Und irgendwann auch wieder echte Konzerte. „In einem begrenzten Rahmen werden wir 2021 etwas machen können. Wir haben Bock, das Publikum hat Bock und die Bands sowieso.“

Auch Clubkombinat-Chef Thore Debor bleibt zuversichtlich. „Das Improvisieren wohnt den KlubbetreiberInnen inne. Letztlich haben wir mit dem Sommerloch doch jedes Jahr ein bisschen Corona. Wir sind alle aus zähem Leder.“

Sich in Resilienz üben – in diesen Zeiten gehören im Hafenklang ganz neue Techniken dazu. Lila Ohls spricht von kleineren Reparaturarbeiten, regelmäßigem Lüften und: Staub wischen. So sieht sie aus, die Realität in Hamburgs Klubs, Stand Januar 2021.

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