piwik no script img

Die Biotope der VerschwörungDer grassierende Aberglaube

Bei der Analyse von Verschwörungstheorien kann ein Text von Baruch de Spinoza helfen, der im 17. Jahrhundert über den Aberglauben schrieb.

Der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza (1632-1677) Foto: Leemage/imago

E s ist keine geringe Paradoxie, dass einer der aussagekräftigsten Texte zu einem heutigen Phänomen aus dem 17. Jahrhundert stammt. Das Phänomen ist der grassierende Aberglaube in Kombination mit Verschwörungstheorien aller Art. Braucht es da noch einen Hinweis, wo sie uns doch alle so geläufig sind? Ob Chemtrails, 5G-Masten, QAnons Pizzeria oder Zwangsimpfungen.

Es sind dies unterschiedliche Ausformungen desselben Sachverhalts: einem Überhang des Glaubens über Vernunft und Realität. Dachte man, Aberglauben sei längst überwunden oder aber in die letzten Kammern der Privatheit zurückgedrängt – so erfreut sich solcher Glaube wider besseres Wissens heute einer Wiederauferstehung, einer pandemischen Verbreitung.

Der erhellende Text aber stammt von Baruch de Spinoza, der die politisch unruhigen Niederlanden seiner Zeit mit einer Skizze des Aberglaubens konfrontiert hat. So setzt sie ein: „Wenn die Menschen alle ihre Angelegenheiten nach einem bestimmten Plan regeln könnten oder wenn das Glück ihnen jederzeit günstig wäre, stünden sie nie im Banne des Aberglaubens.“

Wem alles glückt, der bedarf keines Aberglaubens. Erst wenn etwas im Leben misslingt, erst in schwierigen Zeiten, in problematischen Situationen sind Menschen geneigt, „alles Beliebige zu glauben“. Im Unglück also wird man zugänglich für Aberglauben. Vor allem aber durch Angst. Denn „was den Aberglauben hervorbringt, nährt und erhält, ist die Furcht“. Kein Wunder, dass die Zeit einer langen, anhaltenden Pandemie sich als fruchtbarer Schoß solchen Glaubens erweist.

In Zeiten der Gefahr

Aberglaube ist also eine verfestigte Gemütsbewegung, ein verhärteter, verstetigter Affekt. Und zwar der „allerwirksamste“ Affekt, wie ­Spinoza meint. Denn nichts hat uns so sehr im Griff wie die Angst.

Es mag zwar mehr oder weniger Geneigte geben, aber dem Aberglauben kann jeder verfallen. In Zeiten der Gefahr. Dann, wenn einem die Vernunft „keinen sicheren Weg weisen kann“. In solchen Momenten beginnt man, die Vernunft „blind“ und die menschliche Weisheit „eitel“ zu nennen. Dies ist keine Spezialität des 17. Jahrhunderts. Denn wenn man der Vernunft oder der Wissenschaft nicht vertraut – oder wenn man ihr keine Lösungen zutraut –, dann nimmt man Zuflucht zu Fantasien. Und genau da findet eine interessante Veränderung statt.

Die Fantasien verwandeln, sie verkehren sich. Sie sind nicht mehr nur Antworten auf Fragen und Probleme. Sie werden vielmehr zum Ausgangspunkt, von dem aus man die Welt betrachtet und beurteilt. Die Fantasien werden zu Kategorien des Weltzugangs. Die Abergläubigen deuten die Welt, so Spinoza, „ganz als ob sie ihren eigenen Wahn teilen“. Aberglaube ist eine eigene Hermeneutik, eine Auslegung, eine Lesart der Welt im Sinne dieses Glaubens.

Die Welt ist voller Zeichen

Man sucht den eigenen Wahn überall in der Welt. Und wie solch eine Suche ist – man findet ihn auch. Die Welt ist dann voller Spuren, voller Zeichen, voller Bestätigungen der eigenen Fantasien. Die Welt antwortet. Eine Resonanz eigener Art.

Daher rührt auch die Schwierigkeit, einen Ausweg zu finden. In Pandemiezeiten wird dies zu einem akuten Problem. Vor allem wenn der Aberglaube weite Kreise erfasst. Der Kommunikationsforscher Phil Howard meinte kürzlich, wir brauchen „eine Herdenimmunität gegen Desinformation“. Aber wie soll das gehen?

Dem Aberglauben ist rational nicht beizukommen – eben weil er eine Form von Affekt ist. Deshalb muss man die Frage von daher stellen – vom Affekt aus. Und da zeigt sich (wie gesagt): Menschen sind dann nicht anfällig für Aberglauben, wenn ihre Pläne aufgehen oder wenn sie Glück haben. Denn dann sind sie, so Spinoza, „prahlerisch und aufgeblasen“ und „nur allzu zuversichtlich“.

Was uns also vom Aberglauben trennt, ist nicht einfach Vernunft – sondern Selbstbewusstsein und Erfolg. Nur wenn man den nicht hat, nur wenn man verunsichert oder ängstlich ist, gerät man in den Bann des Aberglaubens. Kurzum – der Aberglaube erweist sich als passgenau für unsere Gesellschaft: Er ist die Kehrseite einer Gesellschaftsordnung, die Sieger fordert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Wären die Frauen von Natur den Männern gleichwertig (...), so müsste es doch unter so vielen und so verschiedenen Völkern einige geben, wo beide Geschlechter nebeneinander, und andere wo Frauen Männer regierten. Da dies aber nirgends der Fall, so darf man entschieden behaupten, dass Frauen nicht das gleiche Recht haben wie Männer."



    Baruch de Spinoza



    Was muss der Mann für eine Furcht vor Frauen gehabt haben, um so abergläubisch zu sein.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Ach ja, die Furcht nährt den Aberglauben.



    Vielleicht ist auch die Furcht nur Folge des Mangels an Möglichkeit, komplexe Zusammenhänge zu erkennen, was darin mündet an einfache Zusammenhängen, die Verbrecher konstruieren, zu glauben.



    Einfach gesagt - viele Leute sind zu doof.



    Das ist gut für Diktatoren, schlecht für die Demokratie

  • Schon bin ich wieder auf den Dornburger Schlössern im geistigen Auge:

    Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens; deswegen schadet's dem Dichter nicht, abergläubisch zu sein.

    Johann Wolfgang von Goethe

    Und da icke ja mal inne Gleimstraße gewohnt habe, nehmt dies Literaturinteressierte:

    Unglaube, du bist so sehr ein Ungeheuer,



    Als Aberglaube, du!



    Für deinen Aftergott gehst du mit Schwert und Feuer



    Auf deine Feinde zu.



    Streckst sie zu Boden, trinkst ihr Blut aus ihrem Schädel,



    Wirst Märtyrer mit Prunk,



    Bist grausam, dumm und stolz, dünkst tapfer dich und edel



    Bei deinem Schädeltrunk!



    Unglaube streitet nur mit Worten und wird müde;



    Dir, Ungeheuer, brennt



    Die ganze Seele! Dir ist nirgend Ruh und Friede,



    Krieg ist dein Element!

    Johann Wilhelm Ludwig Gleim

    Kommt dem(Alt) Berliner etwas entgegen.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - legt nach -

    “Was uns also vom Aberglauben trennt, ist nicht einfach Vernunft – sondern Selbstbewusstsein und Erfolg"



    Jaha. Mensch muss halt an sich selbst glauben. Das erste Gebot jeder der (Motor)Radgeber-Bibel. Oder mal (auf) ein Taxi warten - und glauben, dass es kommt: www.youtube.com/watch?v=rquz-j09I2c

  • Nunja - Wehrteste.

    Schonn. Aber => Sie übersehen das innewohnende Paradoxon.



    Sicher:“ Denn wenn man der Vernunft oder der Wissenschaft nicht vertraut – oder wenn man ihr keine Lösungen zutraut –, dann nimmt man Zuflucht zu Fantasien. Und genau da findet eine interessante Veränderung statt.“

    Genauso aber gilt der schöne Witz.



    Trifft der alts Physikprof seinen abgebrochenen Studi. “So! Literatur - Dichter sanns g‘worde. Grad den Literaturpreis in Winsen an der Knatter gewonnen! Glückwunsch. … …



    Ja stimmt schonn. Für Physik hattense zu wenig Phantasie!“

    kurz - Phantasie - die stärkste Kraft des Menschen. Fürwahr.

    unterm—— Sorry —



    Mit Spinoza - mit Verlaub - machens sich schlicht zu einfach - & dehre.

  • Steckt eine Verschwörung dahinter oder hab ich es überlesen, wenn man den Titel des Textes nicht erfährt?

  • Wie heißt denn der Text von Spinoza und ist der gegebenenfalls online verfügbar?

    • @PauKr:

      ein suchmaschinchen warf mir recht passend folgenden titel aus:

      Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung, gedruckt 1670