Motorradwartung, Seelenfrieden und und und Von Mathias Bröckers

„Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ war das erste Buch des amerikanischen Schriftstellers Robert M. Pirsig, und als es 1975 erschien, machte es den bis dahin völlig unbekannten Autor schlagartig berühmt.

Es wurde ein Weltbestseller, und alle Leute kauften diesen dicken Roman, weil sie sich von dem Titel angezogen fühlten, doch wenn man danach fragte, hatten es die wenigsten gelesen. Auch ich hatte es nach einigen Seiten wieder weggelegt, später noch einmal erfolglos angefangen, es dauert eine Weile, bis es zündete, aber dann...

„Eine philosophische Easy-Rider-Ballade“, lobte damals das Wochenmagazin Stern, und die Frankfurter Allgemeine: „Hervorragend gelungen ist die Darstellung der Motorradwartung als Beispiel für unsere leidige Subjekt- Objekt-Haltung, für den abendländischen Dualismus, mit dem Pirsig die gesamte Misere unserer Zivilisation, vor allem der Industriegesellschaft, erklärt. Mit und ohne Zen erhalten bei Pirsig die Maschinen, die für uns nur Funktionen ausüben, ihren Inhalt zurück.“

Das ist natürlich Unsinn – welchen „Inhalt“ sollen Maschinen zurückerhalten? – und ich befürchte, daß selten ein Autor in den Hymnen, die seinem Buch Weltruhm einbrachten, mehr wohlmeinenden Unsinn gelesen hat als Pirsig.

Wenn er sie denn gelesen hat. „Mit und ohne Zen“ – das war gerade nicht egal. „Zen u n d die Kunst ein Motorad zu warten“, heißt es. Nicht „oder“. Und dieses u n d, das ist es. Und und und. Es verbindet Welten. Die Struktur des Geistes und die Mechanik der Materie, den Osten und den Westen, den Fahrer und den Motor. Nicht entweder/oder, sondern: und. Worum es geht, ist die Synthese, das emergierende Dritte, die Einheit. „Er hat die Vernunft auf die Spitze getrieben, an der sie als Mystik herauskam“, schrieb Helmut Salzinger.

„Zur Montage eines japanischen Fahrrads braucht es einen großen Seelenfrieden.“ Dieses Zitat aus einer Betriebsanleitung war so etwas wie die geheime Maxime dieses Buches, des ersten Romans der Literaturgeschichte, in dem der Held ein Ding ist: das Motorrad. Und es ist ein wirklicher Held, denn es verkörpert die besten Traditionen aus 2000 Jahren abendländischer Kultur, es ist die Ausgeburt analytischen, ökonomischen Denkens, eben jener Rationalität, die zu kritisieren Pirsig sich aufmachte. Wobei „kritisieren“ nicht mit dem üblichen Geplapper zu verwechseln ist – er hat diese ganze Geistesgeschichte an sich selbst durchexerziert, bis zum Irrewerden.

Unlängst nun ist „Lila oder eine Frage der Moral“ erschienen (Fischer-Verlag), nach 17 Jahren Pirsigs zweites Buch – ein Schreibtempo, das für Qualität spricht. Und „Qualität“ ist auch das Thema: „Ganze Bibliotheken sind der Frage gewidmet, wie die Tauglichsten überleben, aber niemand hat je die Frage beantwortet, warum.“ Das ist so das Kaliber der philosophischen Fragen, unter denen es ein Robert M. Pirsig einfach nicht macht.

Und wie er es macht, wie er es einmal mehr durchexerziert, an sich selbst, das ist so weise und so wahr, das ich die 457 Seiten gleich noch einmal gelesen habe. Nicht nur, weil sie die Durchsicht ganzer Bibliotheken ersparen...