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Kinderschutzbeauftragte über Grenzen„Es ist nicht immer alles schön“

Sie engagiert sich beim VfL Pinneberg für den Kinderschutz: Jana Glindmeyer hat den Publikumspreis beim Wettbewerb „Sterne des Sports“ gewonnen.

Beim Turnen sind Hilfestellungen oft notwendig – doch wo ist die Grenze? Foto: dpa/Sebastian Kahnert
Alina Götz
Interview von Alina Götz

taz: Wie vermitteln Sie Kindern im Sportverein, Nein zu sagen?

Jana Glindmeyer: Wir präsentieren unseren Comic „Stopp! Nicht mit mir!“ in den Trainingsgruppen und machen die Kinder so darauf aufmerksam, dass sie Rechte haben und Nein sagen sollen, wenn ihr Bauchgefühl ihnen sagt, dass gerade nicht richtig ist, was passiert. Und auch, dass sie danach bitte mit jemandem drüber sprechen sollen – mit mir, den Eltern oder Trainern

Wie sind die Rückmeldungen?

Durchweg positiv. Ich bin immer wieder überrascht, wie interessiert die Kinder sind. Die fragen und staunen und sprechen danach auch noch viel darüber.

Worüber staunen sie?

Über das, was ihnen passieren kann. Oder weil ihnen vielleicht so etwas schon mal passiert ist und sie in dem Moment realisieren, dass sie hätten Nein sagen können. Beispielsweise, wenn Trainer regelmäßig in die Umkleidekabine kommen. Manchmal ist ihnen nicht bewusst, dass sie den Mund aufmachen können. Viele haben im Kopf: „Der Trainer sagt etwas und ich muss das immer alles machen.“

Ist das ein No-Go, ein Trainer in der Umkleide?

Wenn Randale ist, jemand um Hilfe schreit oder die einfach nicht zu Potte kommen und man dann anklopft, die Tür einen Spalt aufmacht und sagt: „Hey, was macht ihr da“, ist das völlig okay. Aber dieses regelmäßige Reinkommen, ohne auf die Kinder zu achten und ihnen eine Chance zu geben, zu sagen, „wir ziehen uns noch um“, geht nicht.

privat
Im Interview: Jana Glindmeyer

35, Bürokauffrau, ist Vorsitzende der Sportjugend des VfL Pinneberg und seit 2015 ehrenamtliche Kinderschutzbeauftragte des Vereins.

Sie haben vor einigen Jahren gemeinsam mit Kindern eine Ampel entwickelt, die Verhaltensweisen einordnen soll. Was steht bei Rot?

Zum Beispiel zur Begrüßung an den Hintern packen, Berührungen im Intimbereich, körperliche und seelische Überlastung, Nacktbilder, Vergewaltigung.

Warum ist es gerade im Sport so wichtig, bei diesen Themen sensibel zu sein?

Der Übergang von dem, was geht und was nicht geht, ist oft fließend. Es gibt Situationen, die sind körperlich, zum Beispiel Hilfestellungen beim Turnen, damit das Kind sich nicht verletzt. Es gibt da keine Grenze, es geht ineinander über. Das macht es auch den Trainern schwer. Wir hoffen, dass wir durch den Comic und indem wir den Kindern sagen, dass sie Nein sagen dürfen, auch die Trainer schützen, und dass beide Seiten wissen, was in Ordnung ist und was nicht.

Finden Sie, wir sprechen zu wenig über Gewalt und sexuellen Missbrauch im Sport?

Auf jeden Fall. Auch darüber, was überhaupt passieren kann – es ist eben nicht immer nur alles schön. Und wenn doch gesprochen wird, dann über die negativen Sachen. Aber dann ist das Kind ja schon in den Brunnen gefallen. Ich finde den präventiven Weg viel besser.

Wie haben Sie gelernt, Nein zu sagen?

Durch meine Eltern. Wir durften immer eine eigene Meinung haben. Ich glaube, dass viele Kinder heute anders erzogen werden, dass sie zu Hause nicht laut werden dürfen.

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1 Kommentar

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  • Es ist immer erfreulich, zu lesen, dass sich um die Prävention von sexualisierter Gewalt gegen Kinder gekümmert wird.



    Mir ist bei diesem Interview, sowohl bei den Fragen als auch bei den Ausführungen von Frau Glindmeyer aber aufgefallen, dass hier ein zu einseitiger Ansatz beschrieben wird. Die aktuelle Diskussion um Verhinderung sexualisierter Gewalt legt großen Wert darauf, die "Pflicht" der "Abwehr" nicht bei den Kindern zu lassen. So gut eine aufklärerische Sexualerziehung mit emanzipatorischem Fokus für die Kinder ist, sie werden sich allein gegen einen entschlossenen Pädokriminellen nicht wehren können.



    Die Verantwortung liegt zu 100% bei den Erwachsenen, deren Aufklärung über das Ausmaß von sexualisierter Gewalt überall in der Gesellschaft und die Strategien der Täter genauso wichtig ist wie die Information der Kinder über ihre Rechte.



    Ein Fokussieren auf die Abwehrkräfte der Kinder kann deren Scham und Schuldgefühle, die ihnen von den Täter*innen gezielt eingegeben werden und die sie leider so oft daran hindern, sich Hilfe zu holen, verstärken: "Ich bin schuld, weil ich nicht nein gesagt habe, man hat mir beigebracht, ich könne nein sagen, ich habe versagt und schäme mich so, dass ich verheimlich, was mir angetan wird".



    Zum Schutz der Kinder gehört immer auch die informierte Achtsamkeit der Erwachsenen und der Mut und die Entschlossenheit übergriffiges Verhalten nicht zu tolerieren sondern anzusprechen und zu klären.



    Den Kindern allerdings muss immer wieder vermittelt werden, dass sie keine Schuld tragen und der Erwachsene die volle Verantwortung trägt. Erst dann, wenn sie sicher sein können, keine Vorwürfe zu bekommen und die anderen Erwachsenen auf ihrer Seite sind, können sie genug Vertrauen entwickeln, sich zu offenbaren.