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Kurdische Politikerin in der Türkei verurteilt22 Jahre Haft für Leyla Güven

Die Politikerin setzte sich für die Rechte der kurdischen Minderheit ein. Einen Hungerstreik vor zwei Jahren hätte sie beinahe mit dem Leben bezahlt.

Leyla Güven im Hungerstreik am 25. Januar 2019 Foto: Sertac Kayar/reuters

Istanbul taz | Die kurdische Politikerin Leyla Güven ist am Montag von einem Strafgericht in Diyarbakırzu einer Haftstrafe von 22 Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die drakonische Strafe für die 56-Jährige gilt einer Frau, die in den vergangenen 30 Jahren für die Rechte der kurdischen Minderheit gekämpft hat.

Dabei hat sie sich auch von früheren Gefängnisstrafen nicht abschrecken lassen, im Gegenteil. Viele Kurden und vor allem Kurdinnen bewundern ihren Mut und ihre Konsequenz, andere kritisierten aber auch einen gewissen Fanatismus bei ihr, der sich insbesondere in ihrem Hungerstreik für die Freilassung des früheren Chefs der PKK Abdullah Öcalan zeigte.

Während dieses Hungerstreiks im Winter 2018/19 wäre sie fast gestorben, obwohl nie die geringste Chance bestand, dass Öcalan tatsächlich freigelassen werden würde.

Leyla Güven wuchs in einer konservativen kurdischen Familie in Zentralanatolien auf und wurde entsprechend den dort vorherrschenden Vorstellungen als 16-Jährige verheiratet. Sie bekam zwei Kinder, begann aber später sich in einer kurdischen Frauenvereinigung politisch zu engagieren. Sie ließ sich scheiden.

Im Frauenverband aktiv

Danach engagierte sie sich vor allem für die politische Selbstbestimmung der Kurden und die Befreiung der kurdischen Frauen. In der HDP und deren Vorläuferorganisation Hadep war sie im Frauenverband aktiv.

2004 wurde sie erstmals in einer Kleinstadt bei Adana zur Bürgermeisterin gewählt, kurz darauf wurde sie zum ersten Mal festgenommen. Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, in den von der PKK etablierten KCK-Parallelstrukturen mitzuarbeiten. Sie blieb einige Jahre in Untersuchungshaft, konnte aber bei den Kommunalwahlen 2009 wieder antreten und wurde zur Bürgermeisterin der größeren Stadt Viranşehir gewählt.

Bereits 2010 musste sie wieder in U-Haft, als ihr Prozess wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der PKK begann. Vier Jahre blieb sie erneut in Haft, bis man sie endlich freiließ, weil der Prozess immer noch andauerte. Als sie 2017 zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, hatte sie diese Strafe bereits abgesessen und blieb auf freiem Fuß.

Da war sie in dem turbulenten Jahr 2015 schon ein halbes Jahr Abgeordnete des türkischen Parlaments gewesen, von Juni bis November, als sie bei einer vorgezogenen Neuwahl ihr Mandat wieder verlor. Im Januar 2018 saß sie bereits wieder in U-Haft, weil sie den Einmarsch türkischer Truppen in Syrien, in die hauptsächlich von Kurden bewohnte Provinz Afrin, kritisiert hatte.

Protest gegen Willkür

Doch mit Unterstützung ihrer wachsenden Anhängerschaft gelang es ihr bei den Wahlen im Juni 2018 aus dem Gefängnis heraus erneut auf der Liste der HDP ins Parlament gewählt zu werden. Obwohl ein Gericht daraufhin ihre Freilassung anordnete, blieb sie in Haft.

Nicht zuletzt aus Protest gegen diese Willkür begann sie im November 2018 ihren Hungerstreik für die Freilassung Öcalans. Selbst als ihre Situation lebensbedrohlich wurde, widersetzte sie sich den Bitten der HDP-Parteiführung sowie weiterer prominenter Intellektueller und setzte ihren Hungerstreik fort. Erst nach ihrer Entlassung im Januar 2019 ließ sie sich helfen. Monate später konnte sie ihr Mandat im Parlament antreten.

Im Juni 2020 entzog eine Mehrheit im Parlament ihr die Immunität, sie wurde erneut als Mitglied der PKK angeklagt. Anhänger der Opposition hatten von einem „Putsch im Parlament“ gesprochen.

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2 Kommentare

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  • Hauptsache, die Sondierungsgespräche für einen möglichen EU-Beitritt der Türkei werden fortgeführt. Ganz abgesehen von den überwiesenen zig Milliarden an Erdogan, die u.A. zum Aufbau der Rechtsstaatlichkeit gemäß EU-Kriterien verwendet werden sollten.

  • Die Kurden haben im politischen Berlin kaum eine Lobby. Im Gegenteil.



    Und wieder kommt Erdogan davon, ohne dass die EU endlich einmal alle Kontakte abbricht. Noch nicht einmal werden die Menschenrechte im Falle Assange in Europa eingeklagt. Wäre er ein Russe, sähe das anders aus, dann wäre der Teufel los und eine Behandlung des Gefolterten in der Chariete wäre obligatorisch.