„Nur eine kleine Gruppe von Radikalen“
Sue Roshak
ist Rentnerin aus Michigan. Trotz ihres gehobenen Alters wollte sie es sich nicht entgehen lassen, den scheidenden US-Präsidenten noch einmal zu unterstützen.
Sue Roshak hätte nicht damit gerechnet, dass sie sich während einer friedlichen Demonstration vor Tränengas in Sicherheit bringen müsste. Doch genau dazu kam es. Roshak stand am Mittwoch auf der obersten Stufe vor dem US-Kapitol, als Demonstranten das Gebäude stürmten.
taz: Wie haben Sie die Situation selbst miterlebt?
Roshak: Wir begaben uns auf die oberste Stufe des Kapitols, unweit der Eingänge. Dort herrschte eine große Polizeipräsenz. Alle waren friedlich und es gab keinerlei Probleme. Es gab jedoch eine Gruppe von Demonstranten, ich weiß nicht genau, wer, die versucht haben, das Gebäude zu stürmen. Der Großteil der Tausende von Demonstranten war jedoch friedlich. In den Medien wird das natürlich wie immer anders dargestellt. Es handelte sich aber nur um eine kleine Gruppe von Radikalen.
Haben Sie sich zu irgendeiner Zeit bedroht oder unsicher gefühlt?
Nein. Zumindest nicht von den Menschen, die dort waren. Die Polizei musste allerdings Tränengas einsetzen, um diejenigen, die versucht haben die Türen zu durchbrechen, aufzuhalten. Und da wollte ich natürlich nicht hineingeraten. Ich würde sagen, dass 95 Prozent der Demonstranten friedlich waren. Nur eine kleine Anzahl war radikal und aggressiv.
Was denken Sie im Nachhinein über den Vorfall?
Wir hatten im vergangenen Jahr Proteste in Seattle, Minneapolis und in vielen anderen Städten. Dabei wurden Geschäfte in Brand gesteckt und Menschen getötet. Ich habe bei diesen Protesten jedoch niemals eine solche Polizeipräsenz erlebt wie heute. Ich habe dabei auch nie eine solche Flut von negativer Berichterstattung erlebt wie heute. Es handelte sich bei den heutigen Demonstranten um eine Ansammlung von konservativen und christlichen Menschen, die nun als hässlich und bösartig in den Medien dargestellt werden. Wir waren nicht darauf aus, jemandem Schaden zuzufügen. Uns ging es darum, für Trump und unser Land Flagge zu zeigen. Wir sind Teil derer, die mit der Wahl unzufrieden sind und auch mit der Richtung, die unsere Regierung eingeschlagen hat.
Die Abgeordneten im US-Kongress haben das Wahlergebnis trotz der Ausschreitungen bestätigt. Was bedeutet das für Sie?
Es nimmt mir alle Hoffnung. Wie Sie sicher wissen, konnten die Demokraten bei den Stichwahlen in Georgia zwei Senatssitze hinzugewinnen und dadurch die Kontrolle in der Kammer übernehmen. Demokraten haben somit praktisch eine Handlungsfreiheit. Daher habe ich nur wenig Zuversicht, dass sich etwas bessern wird. Ich hoffe auf ein Wunder von Gott, oder vielleicht werden die nächsten vier Jahre unter Biden denjenigen die Augen öffnen, die aktuell nicht sehen, was der Rest von uns bereits sieht. Interview: Hansjürgen Mai