David Finchers „Mank“ auf Netflix: Orson Welles als Ehrgeizling
„Mank“ handelt vom Drehbuchautor des Klassikers „Citizen Kane“. Regisseur Fincher rechnet darin mit Hollywoods Historie ab.
1940, irgendwo in der Mojave-Wüste. Ein Mann, mit Gipsbein und auch sonst ziemlich ramponiert, wird in eine abgelegene Ranch gebracht, wo er von einer Krankenschwester versorgt wird und einer Sekretärin, die zum Diktat bereitsteht und nebenbei seine schwere Trunksucht unter Kontrolle halten soll.
Der Ramponierte ist Herman J. Mankiewicz, ein alkoholkranker Drehbuchautor, der hier in Abgeschiedenheit ein Manuskript schreiben soll, aus dem später „Citizen Kane“ wird, das Epos über den Aufstieg und Fall eines Millionärs, der sich ein Medienimperium aufbaut und an seiner Machtgier zugrunde geht. Es wird das Regiedebüt eines 25-jährigen Wunderkinds namens Orson Welles, das zunächst floppt, aber für viele heute als bester Film aller Zeiten gilt.
Die sagenumwobene Entstehung dieses Klassikers erzählt Regisseur David Fincher in „Mank“, seinem ersten Spielfilm seit „Gone Girl“ vor sechs Jahren, in einer eigenwilligen Mischung aus Detailverliebtheit und fiktionaler Freiheit.
Er zeigt Mankiewicz (Gary Oldman) als kaputten Säufer, Spieler und sozial wenig verträglichen Zeitgenossen, der sich immer wieder mit Leuten anlegt oder sich danebenbenimmt, porträtiert ihn zugleich als genialen Autor, der verkatert bessere Ideen hat als alle anderen, aber an der Branche, letztlich an sich selbst und den eigenen Ansprüchen scheitert.
„Mank“. Regie: David Fincher. Mit Gary Oldman, Amanda Seyfried u. a. USA 2020, 131 Min. Ab 6. 12. auf Netflix
Der Film schlägt sich klar auf seine Seite, Orson Welles erscheint dagegen als junger Ehrgeizling, der die Mechanismen des Business für sich zu nutzen weiß. Er bezahlt Mankiewicz für das Verfassen des Drehbuchs, den Credit will er allerdings für sich allein.
Eine Interpretation, die lange als Gerücht durch Hollywood geisterte und sich vor allem durch einen umstrittenen Essay der Filmkritikerin Pauline Kael im Magazin The New Yorker 1971 verfestigte, in dem sie sehr meinungsstark darlegte, warum das Drehbuch zu „Citizen Kane“ maßgeblich von Mankiewicz verfasst worden sein musste. Fincher folgt ihrer Lesart.
Für „Mank“ übernimmt er die narrative Struktur von „Citizen Kane“ mit ihren chronologischen Sprüngen, erzählt die Arbeit am Drehbuch auf der Ranch, unterbrochen durch Rückblenden, in denen die Beinverletzung durch einen Autounfall ebenso vorkommt wie die Bekanntschaft mit William Hearst (Charles Dance), dem erzkonservativen Medienmogul und offensichtlichen Vorbild Kanes, und vor allem mit dessen Muse, der Schauspielerin Marion Davis (Amanda Seyfried), die sich beide später wenig schmeichelhaft im Film wiedererkennen.
Zynische Studiobosse, Goldgräber und Wilder Westen
Fincher versammelt so zahlreiche Anekdoten, die auf die ein oder andere Art das „Kane“-Drehbuch beeinflusst haben sollen, von Manks besoffenen Ausfällen bei Dinnerpartys bis zu legendär gewordenen Aussprüchen zynischer Studiobosse und Szenen, die den Mythos Hollywoods der Studioära als einen von „Idioten“ (O-Ton Mank) und Goldgräbern bevölkerten Wilden Westen zementieren.
Nicht alles hat so stattgefunden oder ist belegt. Das Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder und späteren Regisseur Joe („All About Eve“) etwa, oder Manks deutsche Krankenschwester, die sich als Jüdin erweist, vor den Nazis geflohen, und ihrem Patienten dankbar dafür ist, ein ganzes Dorf gerettet zu haben.
Verbürgt ist dagegen der kalifornische Gouverneurswahlkampf 1934, in dem der Schriftsteller Upton Sinclair („Der Sumpf“) für die Sozialisten ins Rennen ging und von Hearst und MGM-Manager Irving Thalberg mit einer Schmierkampagne als Kommunist und verlängerter Arm Moskaus bekämpft wurde, sehr zu Manks Missfallen.
Ambivalentes Spiel mit Erinnerungen
Fincher geht es dabei gar nicht um ein möglichst dokumentarisches Auffächern historisch verbürgter Tatsachen, sondern um ein ambivalentes Spiel mit Erinnerung, wie in Manks eigenem vernebeltem Gedächtnis, in dem auch die Zeitsprünge nicht bloße Hommage an „Citizen Kane“ sind.
Mit digitalen Spielereien imitiert er analoges Bild- und Tonmaterial dieser Ära, die körnige Schwarz-Weiß-Textur und die Tiefenschärfe in ausgeklügelt choreografierten Sequenzen, die Abblenden am Ende einer Szene, den Monosound, sogar die Markierungen, die dem Filmvorführer im Kino anzeigten, wann er die Filmrolle wechseln musste. Ein postmodernes Pastiche, das wie der Fiebertraum eines Filmnerds wirkt.
Wunderknabe ohne Bonus
Geschrieben hatte das „Mank“-Drehbuch vor vielen Jahren Finchers 2003 verstorbener Vater Jack. Mehr als zwei Jahrzehnte hatte David Fincher versucht, den Stoff zu verfilmen, doch selbst Ende der 1990er, als auch er mit „Sieben“ und „Fight Club“ als Wunderknabe Hollywoods galt, wollte ihm kein Studio Geld für ein Schwarz-Weiß-Biopic über einen abgehalfterten Drehbuchautor geben.
Da musste erst Netflix kommen, wo offensichtlich erhofft wurde, damit an den Kritiker- und Oscar-Erfolg von Alfonso Cuaróns „Roma“ von vor zwei Jahren anknüpfen zu können.
Und tatsächlich bekam „Mank“ in den letzten Wochen hymnische Besprechungen in der US-Presse, und Finchers Herzensprojekt hat sich in dieser merkwürdigen Award Season, in der kaum Spielfilme ins Kino kommen und die Streamingdienste erstmals den US-Filmpreisreigen bis zu den Academy Awards im April dominieren werden, zum sicheren Favoriten gemausert, den es zu schlagen gilt.
Zu gut passt dieses die Geschichte Hollywoods reflektierende, das Filmemachen feiernde, den eigenen Kunstanspruch betonende und sich gegen die Konventionen des Kinomainstreams positionierende Werk eines hochtalentierten Sonderlings über einen ebensolchen zu einer Filmbranche, die sich damit am Ende auch selbst auf die Schultern klopfen kann.
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