Starökonom tritt in EU-Dienst: Schlechte Zeiten für Steuerflucht
Der französische Ökonom Gabriel Zucman wird die neue Steuerbeobachtungsstelle der EU leiten. Sie soll Steuervermeidung dokumentieren.
Diese Institution ist auf Druck des Europaparlaments entstanden und soll gezielt recherchieren, wie Steuervermeidung in der EU funktioniert und was sich dagegen tun ließe. Zunächst sind 1,2 Millionen Euro für 18 Monate bewilligt, doch stehen die Chancen gut, dass die neue Steuerbeobachtungsstelle dauerhaft finanziert wird.
Für den grünen Europaabgeordneten Sven Giegold ist es „ein Glücksfall“, dass es gelang, Zucman für das Projekt zu interessieren. „Er ist wirklich progressiv und hat einen Ansatz entwickelt, wie man Gewinne und Vermögen gerecht besteuern kann“, meint Giegold.
Zucman hat bei dem französischen Star-Ökonomen Thomas Piketty promoviert und versteht sich als eine Art Steuerdetektiv. Auf Twitter nennt er sich selbstironisch einen „Jäger von Vermögen und Einkommen“, der „in Gegenwart und Vergangenheit“ unterwegs sei, um „legale und illegale“ Geldströme aufzuspüren. Er besitzt eine geradezu kriminalistische Begabung, stinknormalen offiziellen Statistiken dunkle Geheimnisse zu entlocken.
5.800 Milliarden Euro einfach verschwunden
Zucman erkennt in den Daten Zusammenhänge, die zuvor von allen anderen übersehen wurden. Dieser Spürsinn zeigte sich bereits in seinem ersten Buch „Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird“, das ihn 2014 schlagartig berühmt machte.
Der Ökonom hatte damals die verblüffend simple Idee, die Vermögensbilanzen aller Länder miteinander abzugleichen. Dabei zeigte sich, dass Billionen Euro einfach verschwinden. So gab etwa Luxemburg damals offiziell an, dass die weltweit gehandelten Anteile an Luxemburger Investmentfonds 2.200 Milliarden Euro wert seien. Doch nur knapp 1.200 Milliarden davon tauchten in den Vermögensbilanzen anderer Länder wieder auf. 1.000 Milliarden Euro waren weg. „Als gehöre ein Teil der Erde dem Mars“, spöttelte Zucman.
Insgesamt fehlen weltweit etwa 5.800 Milliarden Euro, wovon etwa 80 Prozent nicht versteuert werden. Deutschland gehört zu den großen Verlierern, denn infolge der massiven Steuerflucht fehlen jährlich Einnahmen von etwa 10 Milliarden Euro. Weitere 20 Milliarden Euro kostet die „Steueroptimierung“ der multinationalen Konzerne, die ihre Profite durch interne Verrechnungstricks in jene Länder verschieben, in denen die Gewinnsteuern am niedrigsten sind.
Zucman findet seinen eigenen Erfolg so normal, dass er davon gar kein Aufhebens macht. „Er ist total nett“, staunt Giegold. „Und überhaupt nicht eitel.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“