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Die Post-Corona-Stadt

Nachhaltigkeit und Regionalität prägten die wirtschaftliche Zukunft von Städten, sagt eine neue Studie und attestiert Bremen, dafür gar nicht mal so schlecht gerüstet zu sein

Dem Kellogg’s-Areal bescheinigt die Studie „ein erhebliches Potenzial“ für die künftige Stadtentwicklung Foto: Eckhard Stengel/imago images

Von Simone Schnase

Wie verändert sich Bremen im Angesicht der Coronapandemie? Dieser Frage hat sich die Uni Bremen gemeinsam mit den Hochschulen im Land, der Jacobs University und dem Hamburger Welt-Wirtschafts-Institut (HWWI) gewidmet und den hiesigen strukturellen Wandel und das Innovationsgeschehen untersucht. Herausgekommen ist eine Studie, laut der Bremen durchaus Chancen hat, eine innovative „Post-Corona-Stadt“ zu werden.

Die Analyse gliedert sich in vier Schwerpunkte, wobei sich Sozialwissenschaftler Guido Nischwitz von der Uni mit der Frage „Urbane Produktion für eine Produktive Stadt Bremen: Beschleunigt die Pandemie eine nutzungs- und funktionsgemischte Stadt?“ beschäftigt hat.

Ein zentrales Merkmal der Pandemie sei das Zusammenbrechen internationaler Wertschöpfungs- und Zulieferverflechtungen, das auch kleine und mittelständische Betriebe betreffe, so der Autor. Die Lösung liege daher in der eher regional orientierten Wirtschaft: Einzelhandel und Büronutzung in den Innenstädten würden bedeutungsloser zugunsten einer „Produktiven Stadt“, also einer Stadt, die geprägt ist durch eine Rückbesinnung auf nachhaltige, lokal-regionale Wertschöpfungsketten mit gemischten Quartieren, in denen Arbeiten auf Wohnen trifft und Kultur auf Gewerbe. Bremen, sagt Nischwitz, habe gute Voraussetzungen für eine Transformation dorthin.

Denn hier werde bereits seit einigen Jahren „eine Debatte um das Leitbild einer Produktiven Stadt und seiner Umsetzung in neuen Quartieren geführt“, so der Autor. Bremen nehme eine bundesweite Vorreiterrolle ein, weil die rot-grün-rote Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die produktive Stadt in ihre wirtschaftspolitischen Zielsetzungen integriert habe.

Eine vergleichsweise hohe Anzahl von Standorten lasse sich identifizieren, für die eine Entwicklung nach dem Leitbild der produktiven Stadt und eine Integration von urbaner Produktion infrage komme, so Nischwitz. Sowohl große Flächen wie das Tabakquartier in Woltmershausen oder das Kellogg’s-Areal als auch „Mikrostandorte“ wie die Kornstraße oder der Hachez-Standort hätten „ein erhebliches Potenzial“ für diese Entwicklung. Das Areal des Neustadt-Güterbahnhofs könne sich als „innovativer Standort der Urbanen Produktion“ entfalten.

Insgesamt acht solcher Quartiere hat die Studie ermittelt, allerdings auch Schwachstellen: So sei in Bremen die Kenntnis über die Bedeutung der urbanen Produktion sowie ihrer Beschäftigungswirkungen unzureichend und es fehle eine gesamtstädtische Strategie für die Umsetzung einer produktiven Stadt. Für die Zukunftsfähigkeit der Quartiere sei außerdem die Mobilitäts- und Verkehrsplanung von zentraler Bedeutung.

Und hier gibt es großen Handlungsbedarf, das haben die Studien-Autoren Johann Bludau, Andree Ehlert und Jan Wedemeier herausgearbeitet. Grund dafür ist in erster Linie das geänderte Mobilitätsverhalten im Angesicht der Pandemie, denn, und das gilt auch für Bremen, die Menschen benutzen aus Angst vor einer Infektion statt des ÖPNV wieder vermehrt den „motorisierten Individualverkehr“ – also ihre Autos. Im April haben im Rahmen einer deutschlandweiten Befragung sogar sechs Prozent jener, die kein Auto besaßen, über die Anschaffung eines Pkw nachgedacht.

Was fehlt, ist eine gesamtstädtische Strategie für die Umsetzung einer „Produktiven Stadt“

Um dem zu begegnen, müsse die langfristige Konkurrenzfähigkeit des ÖPNV einerseits durch Geld sichergestellt werden, andererseits aber auch durch Konzepte, die das Vertrauen der Menschen in Bus und Bahn stärken, so die Autoren. So könnte die Pandemie im Bereich des automatisierten Fahrens „einen Innovationsschub“ auslösen, der wiederum dafür sorgen könnte, den ÖPNV um kleinteilige automatisierte Angebote zugunsten einer besseren Verteilung der Fahrgäste zu erweitern. In entsprechenden Projekten wie der „Plattform Urbane Mobilität“ sei Bremen bereits aktiv.

Nach weniger Zukunftsmusik klingt die Forderung nach der konsequenten Umsetzung „verkehrlicher und baulicher Maßnahmen zur Steigerung des Fahrrad- und Fußverkehrs, wie es im Verkehrsentwicklungsplan 2025 festgehalten worden ist“.

Mit dieser Forderung stehen die Studien-AutorInnen freilich nicht allein da: Schon lange, und da gab’s noch kein Corona, fordern Umweltverbände oder der Allgemeine Deutsche Deutsche Fahrradclub (ADFC), diese bereits 2014 festgeschriebenen, verkehrspolitischen Ziele für Bremen nun endlich auch umzusetzen.

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