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Wenn der Stresspegel steigt

Mit der Zahl der Covid-Patient:innen wächst beim Pflegepersonal auf den Intensivstationen die Sorge vor der Überlastung. Die Klinikleitungen dagegen sehen ihre Häuser gut gerüstet: Schon in der ersten Coronawelle haben sie zusätzliche Intensivbetten geschaffen und medizinisches Personal geschult

Besuch aus Frankreich: Auf dem Höhepunkt der ersten Coronawelle Anfang April landete dieser Hubschrauber auf dem Flughafen Dresden Foto: Robert Michael/dpa

Von Marthe Ruddat

Ein Mund-Nasen-Schutz, darüber noch ein zweiter. Eine Haube für die Haare und eine Brille oder ein Visier. Ein oder zwei Schutzkittel und zwei Paar Handschuhe. Bis Magdalena Müller sich angezogen hat, um ein Zimmer zu betreten, in dem Covid-19-Patient:innen liegen, dauert es eine Weile. Sie erzählt am Telefon von ihrer Arbeit als Pflegekraft auf einer Intensivstation in Bremen. Sie heißt eigentlich anders, möchte ihren richtigen Namen aber lieber nicht in der Zeitung lesen.

Müller macht ihren Job schon seit vielen Jahren. Im Gespräch sagt sie mehrfach, wie sehr sie ihn liebt. Aber auch, wie anstrengend es ist, wie müde sie am Ende einer Schicht ist, egal ob Früh-, Spät- oder Nachtdienst. „Schon bevor Corona anfing, hatten wir zu viel Arbeit und zu wenig Leute, und durch Corona ist das noch mehr geworden“, sagt sie.

Müller kümmert sich nicht in jeder Schicht um Covid-Patient:innen. Aber sie erinnert sich gut daran, wie kaputt sie nach dem letzten Mal war. „Den freien Tag danach habe ich nur geschlafen.“

Als vor zwei Wochen die Coronazahlen jäh anstiegen, warnten Intensivmediziner vor der Überlastung der Krankenhäuser und ihrer Intensivstationen. Jetzt, in der zweiten Welle, liegen schon mehr Covid-Patient:innen auf den Intensivstationen als im Frühjahr. Am Freitag waren es 3.299. Und die Zahl steigt jeden Tag an, wenn auch langsamer als noch in den Wochen zuvor. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußerte in dieser Woche die Befürchtung, dass die Zahl der Intensivpatient:innen noch im November auf 6.000 steigen könnte. Die Lage könnte sich noch dadurch verschärfen, dass Covid-Patient:innen oft zwei bis drei Wochen intensivmedizinisch betreut werden müssen.

Applaus bringt nichts, wenn nichts passiert

Schon in der ersten Coronawelle hatten sich die Blicke schnell auf die Kliniken gerichtet und auf die Menschen, die dort arbeiten. An den Fenstern wurde für sie geklatscht. Müller sieht das kritisch: „Auch wenn es nett gemeint ist, es nützt nichts, wenn nichts passiert“, sagt sie.

Aber ist seit der ersten Welle wirklich nichts passiert? Oder sind die Kliniken im Norden jetzt besser vorbereitet?

„Schon bevor Corona anfing, hatten wir zu viel Arbeit und zu wenig Leute, und durch Corona ist das noch mehr geworden“

Magdalena Müller, Pflegekraft auf einer Intensivstation

Zwar gibt es in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern viele Intensivbetten, und zu Beginn der ersten Welle wurden weitere geschaffen, aber schon vor der Pandemie konnten Betten nicht belegt werden, weil nicht genug Pflegepersonal da war.

Aktuell sind die Krankenhäuser im Norden offenbar recht unterschiedlich belastet. In Schleswig-Holstein beispielsweise liegen vergleichsweise wenige Covid-Patient:innen auf Intensivstationen. Am dortigen Universitätsklinikum mit Häusern in Lübeck und Kiel sieht man derzeit darum auch keine Engpässe.

Bremen verzeichnete in den letzten Wochen sehr viele Corona-Neuinfektionen. „Niemand kann vorhersagen, wie sich die Lage noch entwickeln wird, aber im Moment ist die Situation für uns beherrschbar“, heißt es auf taz-Anfrage aus dem dortigen Klinikverbund Gesundheit-Nord (Geno). Die Zahlen der Covid-Patient:innen in den Geno-Kliniken sei auf einem hohen Niveau stabil. Uwe Zimmer, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Bremen, nennt die Lage dennoch „sehr angespannt“.

Einer der Intensivmediziner, die vor der Überlastung der Krankenhäuser warnten, ist Stefan Kluge, Leiter der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Er sieht Krankenhäuser in anderen Großstädten zwar schon mehr belastet als das UKE – zwölf der 71 Covid-Patient:innen (Stand Freitag) auf Intensivstationen in Hamburg werden dort behandelt –, mit Blick auf die Infektionszahlen rechnet aber auch Kluge in den kommenden Wochen mit mehr Intensivpatient:innen.

„Die personelle Lage ist schon angespannt“, sagt er. Das liege zum einen daran, dass Covid-Intensivpatient:innen sehr betreuungsintensiv seien. Normalerweise gebe es auf den Stationen mal ein oder zwei Patient:innen, die isoliert werden müssten, weil sie beispielsweise einen multiresistenten Erreger haben. Jetzt muss sich das Personal bei jeder Covid-Patient:in Schutzkleidung anziehen. „Das ist alles sehr aufwendig.“

Hinzu komme, dass die Covid-Patient:innen oft ein akutes Lungenversagen hätten, wenn sie auf die Intensivstation kommen. Dann müsse oft die Bauchlagetherapie angewandt werden. „Diese Bauchlagerung ist personalintensiv, dafür braucht man mindestens drei bis vier Leute“, sagt Kluge. Ein weiteres Problem sei, dass schon vermehrt Personal ausfällt, weil es selbst Atemwegsinfekte hat.

An Bord waren zwei schwer an Covid-19 erkrankte Patienten aus der Region Grand Est, die in deutschen Krankenhäusern behandelt werden sollten Foto: Robert Michael/dpa

Dass die Frage, wann die Krankenhäuser in der Coronapandemie ihre Belastungsgrenze erreichen, vom Personal abhängt, war früh klar. Viele Kliniken haben deshalb schon im Frühjahr begonnen, Personal zu schulen oder auch anderweitig zu akquirieren. Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein beispielsweise wurden und werden Mitarbeiter:innen unterschiedlicher Gesundheitsberufe für einen Einsatz auf der Intensivstation geschult, wie Oliver Grieve, Sprecher der Klinik, auf taz Anfrage mitteilt.

Freiwillige Helfer:innen der ersten Welle

Außerdem hätten sich in der ersten Welle über 2.000 freiwillige Helfer:innen gemeldet, darunter Medizinstudent:innen, Pflegekräfte, die den Beruf gewechselt haben, oder schon berentete Ärzt:innen. „Vorsorglich bauen wir derzeit den Helferpool zur Unterstützung der Pflege wieder auf“, sagt Grieve.

Auch am Hamburger UKE hat man vorgesorgt. „In der Intensivpflege gibt es immer eine gewisse Fluktuation. Daher gibt es in vielen Bereichen des Krankenhauses Pflegekräfte mit Intensiverfahrung“, sagt Kluge. Diese Pflegekräfte würden nun beispielsweise in der Verwaltung oder im OP arbeiten. Für sie wurden Refresher-Kurse angeboten und genau geschaut: Wer hat welche Qualifikation? „Das ist natürlich ein großer Aufwand, das alles zu organisieren“, sagt Kluge.

Henning Bögemann gehört zu dem Pflegepersonal, das geschult wurde. Er leitet in Bremen eigentlich eine Station, auf der Patient:innen am Monitor überwacht werden. Im Frühjahr wurde die Station zur Covid-Station umfunktioniert und Bögemann während einiger Einarbeitungstage darauf vorbereitet, auf einer Intensivstation zu helfen. Dabei ging es nicht nur um Covid-Patient:innen. „Auch die anderen Intensivpatient:innen müssen ja versorgt werden“, sagt er.

Die Intensivstationen im Osten Frankreichs waren damals an der Grenze ihrer Kapazitäten angelangt Foto: Robert Michael/dpa

Dass er eine Intensivfachkraft ersetzen kann, glaubt Bögemann nicht. „Ich kann da Handlangerarbeiten machen, aber viel mehr auch nicht“, sagt er. „Dafür fehlt mir das fachliche Wissen, das bekommt man durch eine Fachweiterbildung, aber vor allem durch die langjährige Arbeit auf einer Intensivstation.“Dazu, dass Bögemann wirklich auf der Intensivstation arbeiten musste, kam es im Frühjahr nicht mehr, die Situation hatte sich entspannt, wie er erzählt. Seine Station ist bisher auch noch nicht wieder in eine Covid-Station umgewandelt worden. Auch wenn noch nicht gesagt sei, dass das so bleibt, seine Kolleg:innen seien froh darüber. Die Belastung für die Pflegekräfte ist einfach groß.

Und das nicht nur auf den Intensivstationen. Bögemann berichtet das, was Madgalena Müller von den Intensivstationen erzählt, auch über die Normalstationen. Auch dort seien schon vor der Pandemie viele pflegeintensive Patient:innen von zu wenig Personal betreut worden.

Und nun liegen dort auch noch Corona-Verdachtsfälle. Der Hygieneaufwand bei diesen Patient:innen sei derselbe wie bei positiv getesteten. „Besonders auf diesen Stationen kündigen viele Kollegen“, sagt Bögemann. „Sie haben sich nicht genug wertgeschätzt und auch allein gelassen gefühlt.“

Magdalena Müller möchte weiter im Krankenhaus arbeiten. „Das ist mein Job, ich mache das. Ich kann ja nicht einfach zu Hause bleiben“, sagt sie mit Blick auf die nächsten Wochen. „Ich befürchte das Schlimmste und wenn es nicht so wird, freue ich mich.“

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