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Sechs Jahre PegidaErstarrte Protestrituale

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Zum sechsten Jahrestag von Pegida ist nicht mehr viel übrig von der Organisation. Sie hat sich als diskursunfähig erwiesen und ist in Ritualen erstarrt.

Ohne Hut, dafür mit Mütze: ein Demonstrant während eines Pegida-Protestmarschs im März 2016 Foto: Ina Fassbender/reuters

Wir werden siegen“, behauptete eine der wenigen verbliebenen Pegida-Fahnen am Montagabend auf dem Dresdner Altmarkt unverdrossen. Doch von einer Selbstfeier zum sechsten Jahrestag des ersten Aufmarsches 2014 konnte schon vorab keine Rede sein. Auf eine Versammlung am Sonntag verzichtete die fremdenfeindliche Bewegung angeblich wegen der Corona-Auflagen. Und zum Auftakt der „Geburtstagsfeierwoche“ am Montag blieb die Teilnehmerzahl deutlich unter der von 390 zu ihrem Schutz eingesetzten Polizeibeamten. In nur 50 Metern Entfernung hielten 200 trommelnde junge Gegendemonstranten lautstark dagegen.

Genugtuung mag ob der grotesk anmutenden Reste von Pegida dennoch nicht aufkommen. Denn die 25.000 Demonstranten und eine noch höhere Zahl von Sympathisanten, die Anfang 2015 gegen so ziemlich alles motzten, was außerhalb ihres Horizonts lag, sind nicht verschwunden. Sie sind heute Wähler der AfD oder engagieren sich sogar in dieser Partei, wo sie den gleichen restaurativen Ungeist vorfinden. Zwischen die „Alternative“ und Pegida passt denn auch im Mutterland Sachsen kein Blatt Papier des Grundgesetzes. AfD-Landeschef Jörg Urban und der vorerst ausgeschlossene „Flügel“-Mann Andreas Kalbitz redeten auf den „Abendspaziergängen“ von Pegida.

Pegida-Häuptling Lutz Bachmann hatte immerhin schon 2016 erkannt, dass sein Pegida-Haufen politisch nicht handlungsfähig ist – schon die angekündigte Gründung einer Pegida-Partei blieb kläglich stecken – und vergeblich einen Anschluss an Institutionalisierte wie die AfD versucht. Tatsächlich haben viele Abendlandsretter der ersten Stunde den schrumpfenden „Widerstandspartys“ den Rücken gekehrt. Einzelne sitzen immerhin im Stadtrat oder in Dresdner Ortsbeiräten.

Pegida erstarrte in Ritualen und immer gleichen Rufen. An den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ kann man den Niedergang einer rein destruktiven Protestbewegung studieren. Sie hat sich als diskursunfähig und politisch nur über die große Schwester AfD anschlussfähig erwiesen. Ob Bachmann sein prahlerisches „Dresden zeigt, wie's geht“ selbstironisch meint?

Nachhaltige Schäden

Beim kurzen Montagstreff war dennoch davon die Rede, dass Pegida Geschichte geschrieben habe. Das trifft leider auf makabre Weise zu. Den Nimbus Dresdens als sehenswerte Kulturstadt haben die Motzkis zwar nicht zerstören können: Es reisen wieder mehr Touristen an. Viel nachhaltiger haben diese sechs Jahre Dresdner Mentalitäten in Misskredit gebracht. Wo immer man Dresden erwähnt, wird der Ruf der Stadt sofort mit Pegida und der rechten Apostrophierung als „Hauptstadt der Bewegung“ in Verbindung gebracht.

Diese Assoziationen wirken hartnäckiger nach als das reale Erscheinungsbild von Pegida. Spät hat das auch die so genannte „bürgerliche Mitte“ von CDU oder FDP in der Stadt begriffen und seit 2018 für Demokratie und Menschenwürde mitdemonstriert.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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1 Kommentar

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  • Der Untergang der Abendland-Patrioten

    Zitat: „Sie sind heute Wähler der AfD oder engagieren sich sogar in dieser Partei, wo sie den gleichen restaurativen Ungeist vorfinden.“

    Dies erinnert daran, daß das Narrativ vom „Abendland“ zu den doktrinalen Kernelementen der zurecht als restaurativ verschrieenen frühen Bonner Republik gehörte. Erklärtes Anliegen der Dresdner Spaziergänger war es bekanntlich, die „christlich-jüdisch geprägte Abendlandkultur“ vor der Islamisierung zu bewahren. „Abendland“ als späte Eindeutschung des alten lateinischen „Occident“ ist allerdings erst im Nachhinein mythisch aufgeladen: „Das ist ein ganz weiter Begriff, da läßt sich beliebig viel eintüten. Das Abendland ist ein Mythos, der vor allem im 17. und 18. Jh. Hochkonjunktur hatte: Er steht für eine Wertegemeinschaft, die griechisch-römische Philosophie mit christlichem Denken verbindet und den Eindruck erweckt, als habe sich die Antike im Christentum vollendet. Dabei ist der Begriff immer als Kampf- oder Ausgrenzungsbegriff verwendet worden“, so der Antisemitismus-Forscher W. Benz („Die Welt“ 7.1.2015).







    Vor allem für die deutschen Romantiker wie Novalis sowie die Brüder Schlegel war dieser Mythos die begriffliche Vorlage für eine kulturtradierte Europaidee. Zu diesem europäischen Kulturraumes hatten jedoch nur Länder mit romanischem, germanischem und christlichem Erbe Zutritt. Als Antipode zum islamischen „Morgenland“ wurde nach dem großen Schisma auch das von der griechisch-orthodoxen Kirche geprägten Osteuropa ausgesperrt. Als mythischer Übervater dieses Konstrukts wurde Karl der Große als vermeintlicher Einiger Europas und Herr über das christliche Abendland verehrt. Ihm und dieser Idee zu Ehren wird noch heute alljährlich in Aachen der Karls-Preis verliehen. Er war auch der Namenspatron der französischen SS-Division „Charlemagne“, die im April 1945 entscheidend an den Endkämpfen in Berlin um Hitlers Reichskanzlei beteiligt war.

    Ist mit PEGIDA auch dieser Mythos wirklich tot?