piwik no script img

Corona in Unterkunft für GeflüchteteAusbruch mit Ansage

70 Geflüchtete, die in Hamburgs Ankunftszentrum lebten, haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Flüchtlingsorganisationen kritisieren den Senat.

Fahrzeuge der Feuerwehr auf dem Gelände des Ankunftszentrums in Hamburg Foto: Blaulicht-News.de/dpa

Hamburg taz | Es ist das eingetreten, wovor viele schon lange und immer wieder gewarnt haben: Im sogenanntem „Ankunftszentrum“ in Hamburg-Rahlstedt haben sich Dutzende Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Nachdem der Flüchtlingsrat am Dienstag auf den Ausbruch aufmerksam gemacht hatte, bestätigte die Innenbehörde, dass es in der vergangenen Woche mehrere Coronafälle in der Unterkunft gegeben habe. 70 von 277 Bewohner*innen seien positiv getestet worden. Ein Behördensprecher sagte am Dienstag, alle Infizierten hätten sehr milde Krankheitsverläufe oder keine Symptome.

In Rahlstedt leben die Menschen in Hallen. Die einzelnen Zimmer sind durch Leichtbauwände, die nicht bis zur Decke reichen, abgetrennt. Manche haben nicht einmal Fenster. Einige Geflüchtete leben dort monatelang. Geflüchtete selbst und Flüchtlingsorganisationen kritisieren diese Art der Unterbringung schon seit Eröffnung der Einrichtung als unzumutbar.

Mit Blick auf die Pandemie verschärfte sich diese Kritik noch einmal. „Wir haben schon im Frühjahr die Auflösung solcher Lager gefordert“, sagt Heiko Habbe von der Rechtshilfe und Beratungsstelle Fluchtpunkt. „Geflüchtete haben hier kaum eine Chance, sich gegen eine Infektion zu schützen. Sie sind gezwungen, Schlaf- und Sanitärbereiche miteinander zu teilen.“ Der Ausbruch in Rahlstedt sei ein Desaster mit Ansage.

Auch der Flüchtlingsrat Hamburg hatte sich bereits im März mit einem offenen Brief an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) gewandt und gefordert, die Belegung in den Unterkünften zu entzerren. Die Menschen müssten in kleineren, dezentralen Unterkünften und Wohnungen untergebracht werden.

Hohes Übertragungsrisiko

Der Flüchtlingsrat kritisiert angesichts des aktuellen Ausbruchs, dass die Stadt Unterkünfte schließt, statt Menschen aus Sammelunterkünften dorthin zu verlegen. Das „Lagebild Flüchtlinge“ der Stadt listet aktuell drei Unterkünfte als Reserve- oder Notfallstandorte auf. Diese sind „außer Betrieb“, wobei eine der Unterkünfte als Quarantänestandort genutzt wird.

Dass das Übertragungsrisiko in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besonders hoch sei, „da hier viele Menschen auf engem Raum zusammenleben und Wohn-, Küchen-, Ess- und Sanitärräume gemeinsam nutzen“, schreibt auch das Robert-Koch-Institut in seinen „Empfehlungen für Gesundheitsämter zu Prävention und Management von Covid-19-Erkrankungen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Schutzsuchende“.

Carola Ensslen, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bürgerschaft, wirft dem Senat vor, grob fahrlässig zu handeln, indem dieser sämtliche Forderungen nach einer entzerrten Belegung in den Unterkünften ignoriere. Der Ausbruch in Rahlstedt sei das Resultat dieser Ignoranz. Ensslen fordert, Erkenntnisse aus Studien und des RKI endlich ernst zu nehmen.

Das RKI empfiehlt unter anderem „dringend“, die Quarantäne von gesamten Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zu verhindern. Genau das passiert aber in Rahlstedt. Laut Innenbehörde wurde für alle an dem Standort untergebrachten Personen vorsorglich Quarantäne angeordnet. Alle sollen getestet werden. Die mit Corona infizierten Menschen wurden laut Behörde zu dem extra eingerichteten Quarantänestandort gebracht, ebenso wie die Kontaktpersonen der Kategorie 1. Sie würden dort isoliert untergebracht.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine solche komplette Quarantäne angeordnet wird. In der Hamburger Unterkunft Curslacker Neuer Deich standen nach Auskunft der Sozialbehörde bis zum 17. Oktober 330 Bewohner*innen unter zwei Wochen andauernder Quarantäne. Neun waren dort insgesamt positiv getestet und ebenfalls zu einem Quarantänestandort gebracht worden.

Behörden lassen Fragen unbeantwortet

Heiko Habbe findet, es sei eine hilflose Maßnahme, die Menschen, die sich infiziert haben, an einem anderen Standort zu isolieren – „aber die übrigen lässt man in ihrer Unterkunft in Quarantäne, bis sich der nächste Ausbruch zeigt“. Das verschärfe das Ansteckungsrisiko noch.

Ein Sprecher der Innenbehörde sagte, es gebe umfangreiche Schutz- und Vorsorgemaßnahmen für die Menschen im Ankunftszentrum, in den Erstaufnahmen und in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung.

Welche Maßnahmen die Innenbehörde in Rahlstedt konkret ergriffen hat, um die Bewohner*innen vor einer Ansteckung und der Verbreitung des Virus zu schützen, ließ die Behörde auf Anfrage der taz bis Redaktionsschluss aber unbeantwortet. Die Sozialbehörde, die für die Folgeunterkünfte zuständig ist, lässt die Frage ebenfalls offen, da diese Teil einer kleinen Anfrage der Linksfraktion sei, die man erst beantworten wolle.

Quarantäne mit Folgen

Dass die Strategie der Stadt, neu ankommende Menschen zu testen und gegebenenfalls zu isolieren, nicht genüge, war laut Habbe absehbar. „Es war eine Frage der Zeit, bis sich jemand – im Bus, im Sprachkurs, bei der Arbeit – infiziert“, sagt er.

Und er verweist darauf, dass die angeordnete Quarantäne für das Asylverfahren einiger Menschen Folgen haben könnte. Denn als die Quarantäne in Rahlstedt verhängt wurde, seien Ablehnungsbescheide schon unterwegs gewesen und nun in der Quarantäne zugestellt worden. „Die Betroffenen können jetzt weder das Gericht noch Anwält*innen oder Beratungsstellen aufsuchen und deshalb keinen Rechtsschutz suchen“, sagt er. Er hoffe darauf, dass eine Regelung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefunden werde, „aber erst einmal führt das dazu, dass Klagefristen ablaufen und Bescheide gültig werden“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Und wo soll man die Migranten bei der angespannten Wohnungssituation denn unterbringen? Gerade in Städten wie Hamburg oder München gibt es da kaum Alternativen.



    Doch - die gäbe es. In manchen deutschen Landstrichen gibt es Wohnungen massenhaft zu mieten - nur dort wollen die Migranten nicht hin. Vielleicht sollte man diese Alternative trotzdem bedenken -Platz hats da auch!

  • Billige Kritik. Ausbrüche in anderen Einrichtungen sind auch an der Tagesordnung. Das individuelle Verhalten ist auch von Bedeutung.