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Debatte ums Kopftuch im StaatsdienstKampf um die Köpfe

Lehrerinnen dürfen nun auch in Berlin religiöse Symbole tragen. Darin, dass Religion öffentlich gelebt wird, steckt auch eine Chance.

Außerhalb Berlins waren Lehrerinnen mit Kopftuch zwar auch noch eher rar, aber immerhin erlaubt Foto: Jens Kalaene/dpa

Hannover taz | Mehr als 20 Jahre debattieren wir in diesem Land schon über das Kopftuch im Schuldienst. 1998 begann die Referendarin Fereshta Ludin ihren langen Zug durch die Instanzen, weil das Land Baden-Württemberg sie mit Kopftuch nicht einstellen wollte.

Ludins Kampf endete 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Art Pyrrhussieg: Das Gericht gab ihr Recht, überließ es aber gleichzeitig den einzelnen Bundesländern, Kopftuchverbote zu erlassen. Diese Verbote kippten erst mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2015.

Damals erklärte das Gericht, es müsste dann doch erst einmal im Einzelfall nachgewiesen werden, dass der Schulfriede durch die Lehrerin mit Kopftuch gefährdet wäre, bevor man die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit so weit einschränken könne. In den letzten fünf Jahren ist nicht ein Fall bekannt geworden, in dem eine Schule diesen Nachweis geführt hätte.

Im Zuge der Recherche haben wir auch bei Menschen angefragt, die sich früher vehement gegen das Kopftuch im Schuldienst ausgesprochen haben – weil sie es als Angriff auf Gleichberechtigung und Freiheit interpretierten. Die meisten möchten sich damit heute nicht mehr zitieren lassen – oder jedenfalls nicht von der taz. Vielleicht liegt das an den Wunden, die die lange und hitzige Debatte geschlagen hat?

Die Fronten mögen an vielen Stellen verhärtet sein. Bei dem einen oder der anderen hat sich aber auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass man sich möglicherweise verkämpft hat. Und dass sich die Unterstellung, unter jedem Kopftuch verberge sich eine Islamistin, die ihre eigenen Karriere dazu benutzt, kleine Mädchen zu einem sittsamen Leben als Mutter und Hausfrau anzuhalten, nicht aufrecht erhalten lässt.

Berlin muss nun Schadensersatz zahlen

Berlin war das letzte Bundesland, das noch an einem pauschalen Kopftuchverbot festgehalten hat – obwohl man längst hätte wissen können, dass diese Regelung keinen Bestand haben kann. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht Erfurt das Land in letzter Instanz zu Schadensersatzzahlungen an zu Unrecht abgelehnte Bewerberinnen verurteilt. Experten wundern sich, dass das überhaupt so lange gedauert hat.

Dabei haben die Berliner mit der Verpackung als „Neutralitätsgesetz“ versucht, so zu tun, als ginge es darum, alle sichtbaren religiösen Bekenntnisse gleichermaßen aus der Schule fernzuhalten. In Wirklichkeit ging es natürlich nie um bekennende Christen, Juden, Hindus, Buddhisten, Esoteriker oder sonst irgendetwas. Sondern immer nur um die kleine Untergruppe muslimischer Frauen, die Kopftuch trägt.

Der Berliner Gesetzgeber habe anscheinend geglaubt, dass sich mit dem Holzhammer hinterrücks mal eben ein laizistischer Staat herstellen lässt, erklärt Sebastian Schwab, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staatskirchenrecht der Universität Göttingen mit dem Thema befasst.

„Es ist nicht Teil unserer Rechtstradition, Religion so vollständig ins Private zu verbannen, wie etwa Frankreich das tut“, sagt er. Schwab glaubt, dass die deutsche Tradition, der Religion einen Platz im öffentlichen Leben zuzugestehen, sie damit aber auch einzuhegen, zu moderieren und in den Dialog zu bringen, sehr viel integrativer wirkt als das Abdrängen in private Parallelgesellschaften und Filterblasen.

Nun haben Kirchen natürlich auch ein Interesse daran, diesen Platz zu behaupten – selbst wenn sie ihn mit dem Islam teilen müssen. Wenn aber organisierte Religion Teil des öffentlichen Lebens ist, bedeutet das eben auch, dass diese Gesellschaft immer wieder neu aushandeln muss, was gerade noch geht und was nicht mehr.

Noch immer Rücksicht auf Ressentiments

Im Hinblick auf das Kopftuch sei dieser Prozess noch nicht abgeschlossen, glaubt Schwab. Im Bereich des Justizdienstes vollzieht sich gerade noch einmal das gleiche Drama. Darf eine Referendarin mit Kopftuch Plädoyers halten? Kann eine Frau mit Kopftuch Richterin werden?

Selbst das Bundesverfassungsgericht gibt hier zu bedenken, dass ein Kopftuch bei Dritten Zweifel an der Neutralität des Staates und insbesondere der Justiz auslösen könnte – und ein Verbot daher nicht per se verfassungswidrig sei, sondern dem Gesetzgeber und der politischen Abwägung vorbehalten bleiben müsse.

„Das bedeutet natürlich im Grunde, dass man auf bestimmte Ressentiments Rücksicht nimmt, statt Minderheitenrechte zu stärken“, sagt Schwab. Genauso wie die wachsweiche Formel vom Schulfrieden ein Schlupfloch offen lässt, durch das man sich im Konfliktfall noch wegducken kann. Ob sich diese Position halten lässt? Gut möglich, dass sie in dreißig Jahren als genauso peinlich und überholt gilt wie heute manches alte Urteil zur Homosexualität.

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8 Kommentare

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  • Ach was! Herr Schwab.

    “ Selbst das Bundesverfassungsgericht gibt hier zu bedenken, dass ein Kopftuch bei Dritten Zweifel an der Neutralität des Staates und insbesondere der Justiz auslösen könnte – und ein Verbot daher nicht per se verfassungswidrig sei, sondern dem Gesetzgeber und der politischen Abwägung vorbehalten bleiben müsse.



    „Das bedeutet natürlich im Grunde, dass man auf bestimmte Ressentiments Rücksicht nimmt, statt Minderheitenrechte zu stärken“, sagt Schwab. Genauso wie die wachsweiche Formel vom Schulfrieden ein Schlupfloch offen lässt, durch das man sich im Konfliktfall noch wegducken kann.“

    In den 60ern wg zwei wg Jungssachen abgehalfterte Reli-Leherer - als begannen Kreuz am Kettchen zu tragen - zum Direx gestiefelt & gut war‘s.



    Die Dinger verschwanden.



    &



    Wenn diese ganzen Radaddelchen - insbesondere aber das Kopftuch 🧕 - der öffenlichen aktiven Religionsübung dient btw darstellt.



    Dann sage ich - Dadurch möchte ich nicht in meiner negativen Religionsfreiheit verletzt werden •



    &



    Jutta Limbach in Kopftuch & Barett - dürfte nicht nur ihren Sohn & zeitweiligen Kollegen - ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubern.



    Anders gewendet - m.W. hat‘s südlich des Weißwursthorizontes durchaus Richter mit Kreuz (wie ich glaubhaft gehört habe - gar mit CSU-Abzeichen) gegeben. Das ist aber regelmäßig abgestellt worden.



    & nochens —



    Ihre Minderheitenschutz vs Ressentiments - sorry - haben Sie wohl noch nicht zu Ende gedacht.

    unterm—— reflektieren



    Besorgnis der Befangenheit ist anzunehmen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO, § 24 Abs. 2 StPO).

    Ein solcher Grund ist dann gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt schon der „böse Schein“, d. h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität

    • @Lowandorder:

      & Rest

      “ Entscheidend ist demnach, ob das beanstandete Verhalten für einen verständigen Verfahrensbeteiligten Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.[10]

      Darauf, ob der Ablehnende aus seiner Sicht den Richter für befangen hält, kommt es ebenso wenig an wie darauf, ob sich der Richter selbst für befangen hält oder ob er objektiv befangen ist. Denn Ablehnungsgrund ist entgegen der ungenauen Alltagssprache nicht die Befangenheit, sondern die Besorgnis der Befangenheit. Daher enthält weder ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter noch ein Beschluss, mit dem das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt wurde, notwendigerweise einen Vorwurf gegen den abgelehnten Richter (etwa des Inhalts, er habe einen Fehler gemacht).

      Sind im Verfahren über die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit die tatsächlichen Grundlagen schlüssig dargelegt, aber unaufklärbar, spricht der Anschein für die Besorgnis der Befangenheit. Hingegen ist für eine Entscheidung „im Zweifel zugunsten des Ablehnenden“ kein Raum, wenn es nur um dessen subjektive Bewertung objektiv feststehender Tatsachen geht.…“



      de.wikipedia.org/wiki/Ablehnungsgesuch -

      kurz - Daß jemand seine Religion unbedingt in einem Sitzungssaal als Träger öffentlicher Gewalt ausüben muß! Newahr.



      Erschließt sich mir nicht.



      (&btw - die nicht wenigen Kirchenrechtler auf meinem Rechtswegen von mehr als einem Jahrhundert - kamen mir immer a weng verprömmelt weltfremd vor! Gellewelle.



      (Nunja - als professione - das Suchen einer vermutlich nicht vorhandenen schwarzen Katze - in einem schwarzen Raum - lecker is das ja nuooch nich - wa)

      • @Lowandorder:

        Aubacke - “…halben Jahrhundert …“ klar - wa! - 😂 -

  • Die Symbolik des Kopftuchs ist sicherlich vielfach interpretierbar.

    Schaut man sich jedoch ein wenig auf der Welt um, kommt man nicht umhin Alice Schwarzer mit ihrer Feststellung "Das Kopftuch ist die Fahne des Islamismus" Recht zu geben.

    Man muss da nicht nur nach Frankreich schauen um ein äußerst mulmiges Gefühl zu bekommen.

    Allein angesichts dessen, dass die iranische Frauen- und Menschenrechtlerin Nasrin Sotoudeh zu 38 Jahre Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt wurde mit dem Grund, dass sie Frauen, die gegen den Kopftuchzwang rebellierten, verteidigte, habe ich große Mühe, Frauen zu verstehen, die keine Solidarität empfinden.

    Und Kopftuchträgerinnen ganz relativistisch mit dem Leid verfolgter Homosexueller in einen Topf zu werfen, ist grotesk.

  • Solange Religionen im öffentlichen stehen, solange werden sie für Konflikte sorgen.

    Ich finde es sehr traurig das es immer um den Islam geht, anstatt die Religionen im ganzen zu betrachten und schritt für schritt ins private zu transferieren. Nur wird in der westlichen welt lediglich immer über den Islam geredet.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Diese Diskussion ist völlig absurd.

    Alle gläubigen Pastafari sollten demnächst mit dem Nudelsieb auf dem Kopf die Straße betreten.

  • Das Kopftuch der islamischen Frauen hat mit Religion nichts zu tun, es gehört zur Tradition. Ich begreife nicht, wie emanzipierte Menschen dieses im Grunde sexistische Symbol, gutheißen können.

  • Operativ: Jeder soll das auf dem Kopf tragen oder nicht auf dem Kopf tragen, wann und wo Sie/Er will!



    Strategisch: Endlich ein kollektiver Abschied der Menschen von Religion, welcher auch immer!