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Kunsttipps für BerlinWach machende Irritationen

Von Selbstbespiegelungen bis zu Luxusgeschöpfen: Zur Berlin Art Week und dem Gallery Weekend gibt es ein volles Veranstaltungsprogramm.

Sol Calero, „Se empeñaban en tapar las grietas pero las paredes seguían sudando“, 2020 Foto: Jannes Linders; courtesy ChertLüdde, Berlin/Galerie Crèvecoeur, Paris; © Sol Calero

S auer Eingelegtes zu georgischen Trinkzeremonien in einer Moabiter Bar von Slavs and Tatars, Nacktportraits mit Haustier und Zimmerpflanze in einem „Akt-Zelt“ von Zoë Claire Miller oder sprachliche Selbstbespiegelungen mit Papageien im Loop von Ute Waldhausen.

In dieser Woche spielt sich die bildende Kunst an den Rändern ihres Genres ab. Es ist Berlin Art Week und Gallery Weekend zugleich und zum vollgepackten Veranstaltungsprogramm gehört, dass die Grenzen etwas geweitet werden und auch das Publikum selbst, die Stadt oder gleich andere Spezies zum Gegenstand der Kunst vorrücken können.

Im Werkhof L.57 kehrt man für die Berlin Art Week dann zu einem eher klassischen Kunstbegriff zurück. In der ehemaligen Militärschneiderei öffnen Karin Sander, Via Lewandowsky, Regina Schmeken, Jo Schöpfer und Konstantin Grcic ihre Ateliers und der Sammler Ivo Wessel sowie das Architekturbüro Sauerbruch & Hutton ihre Räumlichkeiten.

Ein ganzer Werdegang von Kunstobjekten wird sich an diesem Ort in Moabit verdichten: von ihrer Entstehung im Atelier, zu ihrer öffentlichen Ausstellung und schließlich ihrer Inbesitznahme in einer Privatsammlung – mit musikalischer Begleitung vom Ensemble Mosaik.

Mehdi Chouakri ist mit seiner Galerie einer der Pioniere im Berlin der Nachwendezeit, die Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury gehörte schon früh zu seinem Programm. Ihre Kunst ist eine schicke Welt aus Luxusobjekten und Luxusgeschöpfen, in die sie auch einen Avatar ihrer selbst setzt.

Unter dem Titel „SHAME“ wird Fleury zum Gallery Weekend gleich beide Räume von Chouakri an der Mommsenstraße und am Fasanenplatz bespielen und dabei zwischen Glitzerstiefeletten, Felljacken, anderen Kunstobjekten männlicher Autorschaft und Autofragmenten die Rollen der Geschlechter demontieren.

Abseits von fame und fanciness der Kunstwoche aber trotzdem eindringlich, ist die Installation „features – 10 Sichten auf Berlin“ in der Nikolaikirche. Einerseits Fremdkörper, andererseits eingebettet in die Kirchenarchitektur spannen sich die mehr als vier Meter langen Friese von zehn in Berlin lebenden Künstler:innen zwischen die Säulen des mittelalterlichen Baus.

Und wie dann Thomas Kilppers in Holzschnitz gefasster Gedenkaufruf an die Opfer rechter Gewalt aus der Verstaubtheit des Ortes hinausragt, wie Sol Caleros klischeehaft bunte Bananenlandschaft dem Schulterblatt eines Wals – ein kurioses Artefakt der Berliner Stadtgeschichte – gegenübertritt oder wie einem gleich nach dem Epitaph eines barock-gelockten Apothekers aus Nadira Husains Moghul-Comic-Malerei ein „Yalla Yalla Antifascist!“ entgegenspringt, da tut die Kunst etwas, das sie auch an anderen Stellen der Art Week tun sollte: Sie irritiert, sie macht wach, sie lässt anders denken.

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