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UN-Expertin über Krieg im Jemen„Niemand hier hat saubere Hände“

Alle Kriegsparteien im Jemen verüben schwere Straftaten, schreiben UN-Experten in einem neuen Bericht. Die Menschenrechtlerin Melissa Parke fordert Rechenschaft.

Im Kampf gegen die Regierung getötet: Beerdigung eines Huthi-Kämpfers in Sanaa im September Foto: Khaled Abdullah/reuters
Jannis Hagmann
Interview von Jannis Hagmann

taz: Frau Parke, am Dienstag wird Ihr neuer Bericht zum Krieg im Jemen vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf vorgestellt. Darin sprechen Sie von einer Pandemie, Sie meinen aber nicht Corona?

Melissa Parke: Covid-19 ist verheerend, aber es gibt eine noch größere Pandemie, die den Menschen im Jemen Leid zufügt: die Straflosigkeit. Alle Konfliktparteien im Jemen verüben schwere Verletzungen der Menschenrechte und des internationalen Rechts, und zwar ohne Folgen für die Täter. Das ermutigt sie, weitere und noch schwerere Verletzungen zu begehen.

Um was für Taten geht es?

Um Luftangriffe und andere Bombardierungen, bei denen nicht unterschieden wird zwischen zivilen und militärischen Zielen. Um Landminen, willkürliche Festnahmen und Verschleppungen sowie um Folter und sexuelle Gewalt. Außerdem wird eine ganze Generation ihrer Bildung beraubt, indem Kinder rekrutiert werden, um sie in Kriegshandlungen einzusetzen.

Sie sagten, alle Konfliktparteien machten sich schuldig, Jemens Regierung also ebenso wie die Huthi-Rebellen, aber auch die mit der Regierung alliierte arabische Militärkoalition sowie die südjemenitischen Separatisten. Verwässert eine solche Aussage nicht wichtige Unterschiede?

Die einzigen Parteien im Jemen, die Flugzeuge am Himmel haben, sind die von Saudi-Arabien geführte Koalition sowie die Emirate. Alle Verletzungen im Rahmen von Luftangriffen gehen auf das Konto der Koalition. Landminen werden mehrheitlich von den Huthis eingesetzt und auch in Sachen Kinderrekrutierung werden die meisten Verletzungen von den Huthis begangen. Aber auch andere Parteien machen das. Alle Parteien wiederum verletzen das Recht auf Bewegungs- und Meinungsfreiheit, lassen Menschen verschwinden und begehen Folter. Es gibt keine Guten in diesem Konflikt, niemand hier hat saubere Hände.

Das Mandat Ihrer vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Expertengruppe umfasst das Sammeln und Analysieren von Informationen. Wie gehen Sie dabei vor?

Dieses Jahr gab es viele Herausforderungen. Wir hatten kein Zutritt zum Jemen und zu den Ländern der Koalition und mussten mit Einschränkungen durch Covid-19 arbeiten. Unsere Feldbesuche mussten wir stark begrenzen und Interviews per Video führen. Aber wir konnten im Berichtszeitraum trotzdem mehr als 400 Interviews führen. Dazu haben wir Bestätigung über Satellitenbilder eingeholt. Ein Mitarbeiter wertet außerdem Äußerungen der Konfliktparteien in sozialen Medien aus.

Im Interview: 

Melissa Parke, 54, ist Mitglied der Expertengruppe zum Jemen, die der UN-Menschenrechtsrat in Genf im Jahr 2017 eingesetzt hat. Die Juristin saß für die australische Labor-Partei im Parlament in Canberra und diente 2013 als Ministerin für Internationale Entwicklung.

Wie groß ist Ihr Team?

Ungefähr zwanzig Leute, inklusive Ermittler, Analysten, Dolmetscher und Administration. Sie haben von Beirut aus gearbeitet bis zu der Explosion (im Hafen der Stadt am 4. August), die unser Büro zerstört und einige Mitarbeiter leicht verletzt hat. Das hat unsere Arbeit weiter behindert, nachdem einige Mitarbeiter schon vor der Explosion wegen Covid umziehen mussten. Wir Experten waren auf unsere Heimatländer beschränkt, normalerweise würden wir regelmäßig nach Beirut und in die Region reisen.

In Ihrem Bericht fordern Sie erstmals, dass der UN-Sicherheitsrat den Fall Jemen an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) überweist. Mit welchem Ziel?

Es wäre ein starkes Signal: dass niemand über dem Recht steht und dass die internationale Gemeinschaft die Schwere der Verbrechen erkennt. Die aktuelle Straflosigkeit hat auch Auswirkungen auf die internationale Gemeinschaft. UN-Mitgliedstaaten fahren ihre Waffenlieferungen an Konfliktparteien hoch, trotz der vielen Beweise für schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Niemand – keine Konfliktpartei und kein UN-Mitglied – kann sagen, man hätte davon nichts gewusst.

Warum hat der Sicherheitsrat den Fall nicht schon in den letzten sechs Jahren nach Den Haag überwiesen?

Einige ständige Mitglieder sind involviert, in dem Sinn, dass sie Waffen liefern. Möglicherweise haben sie keinen Anreiz, den IStGH anzurufen. Aber sie müssen ihrer Pflicht nachkommen und den Fall überweisen. Die internationale Gemeinschaft muss aktiv werden, wenn wir nicht alle Blut an unseren Händen haben wollen, weil wir die Verletzungen wissentlich ignorieren.

In dem Bericht heben Sie drei Länder hervor, die ständige Sicherheitsratsmitglieder sind: Frankreich, Großbritannien und die USA.

Die Staaten, die wir erwähnen – wir haben darüber hinaus auch Kanada und den Iran benannt – haben besonders großen Einfluss auf die Konfliktparteien im Jemen. Unter internationalem Recht sind sie verpflichtet, diesen Einfluss im Sinne des humanitären Völkerrechts zu nutzen.

Allerdings liefern auch andere Staaten Waffen.

Wir haben die genannt, die die meisten verkaufen.

Deutschland findet keine Erwähnung. Hat das damit zu tun, dass die Bundesregierung Rüstungsgeschäfte mit den Saudis nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi gestoppt und bislang auch nicht wieder aufgenommen hat?

Deutschland unterstützt unsere Arbeit sehr. Andere Länder sollten ihre Waffenverkäufe an die Konfliktparteien ebenfalls stoppen. Als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat kann Deutschland momentan außerdem ein starker Fürsprecher dafür sein, das Thema Menschenrechte in die Arbeit des Sicherheitsrats zu integrieren. Momentan gibt es eine Art Trennung in den UN: Menschenrechte werden in Genf behandelt, Sicherheitsfragen in New York. Aber beides hängt zusammen. Ich hoffe, dass unsere Arbeit sich auch in der Agenda des Sicherheitsrats niederschlägt.

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3 Kommentare

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  • . "Es gibt keine Guten in diesem Konflikt, niemand hier hat saubere Hände."

    so ist es in diesem und anderen bewaffneten konflikten unserer zeit.

    wenn es aber keine guten gibt-dann ist auch der westen nicht gut-der in all diese konflikte verwickelt ist und manche mitverursacht oder sogar ausgelöst hat .es wäre höchste zeit von der westlichen hybris herunterzukommen.

    was den stellvertreterkrieg im Jemen angeht so schlage Ich hiermit erneut vor dass die bundesregierung sich in diskreter diplomatie darum bemüht zu erreichen dass die fünf permanenten mitglieder des sicherheitsrates sich darauf einigen dass die uno sowohl gegen saudi-arabien und die vereinigten arabischen emirate als auch gegen den iran ein waffenembargo verhängen

    ausserdem könnte die mitgliedschaft der erwähnten staaten in der uno suspendiert werden bis der bewaffete konflikt im jemen beendet ist

    ausserdem sollte der internationale strafgerichtshof gegen die kriegsverbrecher auf beiden seiten ermitteln und prozesse eröffnen

    • @satgurupseudologos:

      Wieso sollte die USA im speziellen auf einmal Menschenrechte achten und ihren wichtigen Partner Saudi-Arabien fallen lassen? Ich sehe das leider weiter im Sande verlaufen.

      • @Andreas Maschler:

        klügere menschen in den usa wissen dass die langjährige partnerschaft mit saudi-arabien auch für die usa überwiegend schlechte folgen hatte-zu denen beispielsweise neben einer enormen beschädigung ihrer reputation auch das grosse terroristische attentat vom elften september 2001 gehörte



        ausserdem wissen sie auch dass die wirtschaftliche bedeutung von erdöl und erdgas infolge des für den klimaschutz notwendigen und nicht mehr lange aufschiebbaren abschieds vom fossilismus abnehmen wird

        kritik an saudi-arabien ist in der demokratischen partei -die vermutlich die präsidentschaftswahlen gewinnt auch in deren establishment und nicht nur in derem linken flügel weit verbreitet

        Joe Biden ist aus gesundheitlichen gründen und wegen seines hohen alters quasi-amtsunfähig



        seine baldige vizepräsidentin Kamala Harris dürfte also den grössten teil der mit dem amt verbundenen pflichten erfüllen und vermutlich wird sie nach seinem rücktritt -der wenn es nach mir geht-so bald wie möglich erfolgen sollte die nächste präsidentin



        im unterschied zu Joe Biden ist sie aussenpolitisch ein unbeschriebenes blatt



        das ist eine chance für einen neuanfang



        vielleicht möchte sie als eine präsidentin in die geschichte eingehen die von der nachwelt nicht verdammt wird

        im übrigen stammet ihre familie teilweise aus indien und dort hat man mit dem dschihadistischen missbrauch des namens des islams durch terroristen-den saudiarabien gefördert hat oder dessen förderung es zugelassen hat auch sehr schlechte erfahrungen gemacht

        mit waffenexporten in schurkenstaaten kann man zwar viel geld verdienen



        aber in einer friedlichen welt noch mehr.



        china indien und europa sind wichtige geschäftspartner der usa :diesen drei mächten missfällt was saudi-arabien getan hat.