: Von wegen auf alles vorbereitet
Schon nach der ersten Schulwoche in Frankreich zeigen sich Probleme
Aus Paris Rudolf Balmer
Am 1. September haben überall in Frankreich nach der langen Sommerpause die Schulen wieder geöffnet. Für alle 12,4 Millionen Schülerinnen und Schüler und 900.000 Lehrerinnen und Lehrer gilt dieselbe Grundregel: Alle Erwachsenen und alle Jugendlichen in weiterführenden Schulen müssen im Unterricht und auch im Pausenhof die Maske tragen. Wo es geht, werden mit Bodenmarkierungen Schutzdistanzen geschaffen, die Mahlzeiten in der Schulkantine in mehreren Gruppen ausgegeben.
„Wir sind auf alles vorbereitet“, erklärte noch am Tag vor der traditionellen „Rentrée“ (dem gemeinsamen Schulstart, der für viele Eltern auch die Rückkehr an die Arbeit ist) sehr selbstsicher Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer. Bald könnte dieser Satz für ihn und die Regierung zu einem politischen Bumerang werden. Denn schon wenige Tage nach dem Start gibt es Probleme. In Paris mussten im 16. Stadtbezirk zwei Klassen wegen Covid-Infektionen geschlossen werden, landesweit waren es bis zum Wochenende bereits 22 Schulen, zusätzlich „120–130 Klassen“.
Vor der öffentlichen Grundschule an der Avenue de La Motte Piquet, unweit des Invalidendoms in Paris, war am ersten Tag von einer besonderen Sorge wegen Corona nichts zu bemerken. Ein wenig speziell war die Atmosphäre aber schon, weil alle Eltern, die seit 8 Uhr mit ihren Kleinen vor dem Tor eingetroffen sind, Maske trugen. Oft mit modischen Accessoires. Im Unterschied zu ihren Müttern und Vätern oder Großeltern waren die Schulkinder der fünf Grundschulstufen wie auch die drei der École maternelle (der Vorschule) jedoch davon ausgenommen.
Um das übliche Gedränge zu vermeiden, wurde dieses Mal die Liste der Zusammensetzung der Klassen nicht draußen am Eingang im Schaukasten angeheftet. Schon eine Viertelstunde vor dem offiziellen Beginn um 8.20 Uhr standen dennoch schon Dutzende von Maske tragenden Erwachsenen mit ihren (nicht maskierten) Kindern in der fahrzeugfreien Allee vor dem Schulgebäude, sie diskutierten und erzählten von ihrem Sommerurlaub. Und alle trugen sie anstands- und kommentarlos ihre Maske.
„Für uns ist das eine Rentrée, fast wie sonst“, sagten mehrere Eltern, es klang zum Teil eher hoffend als echt überzeugt. Sie haben eine kleine Broschüre bekommen, in der auf ihre möglichen Fragen geantwortet wird: Wie ist die Schulkantine, der Sportunterricht, der Pausenhof etc. organisiert?
Eltern erbost über kurzfristige Infos
„Organisation? Eher eine totale Desorganisation“, schimpfte die Psychologin Alexandra Lavigne-Zins, 41) Jahre, Mutter von Sacha (7 Jahre) und Ethan (12 Jahre), die in die zweite Klasse der Grundschule sowie in ein Collège (Sekundarstufe) an der Rue Cler ebenfalls im 7. Stadtbezirk zurückgekehrt sind. Sie hält von der Coronaprävention der Regierung nicht viel und kritisiert die spärliche und späte Information durch die Schulleitung: „Erst am Montagabend habe ich per Mail erfahren, in welcher Klasse mein Jüngerer ist, vorher hatte der Direktor uns ebenfalls per Mail eine Art Merkblatt zu den getroffenen Vorsichtsmaßnahmen geschickt.“
Sie hätte es vorgezogen, wenn man zur Vorbereitung und Organisation des Unterrichtsbeginns die zweimonatigen Sommerferien um eine Woche verkürzt hätte. Auch versteht sie nicht, warum an diesem ersten Schultag die Kinder nicht gestaffelt nach Alter eingelassen wurden. „Wenn du diese Menge von schwatzenden Kindern und Eltern siehst! Das ist doch genau, was vermieden werden müsste!“
Dass die größte Gewerkschaft des Bildungssystems eine Verschiebung des Schulbeginns um eine Woche gefordert hat, kann Lehrerin Eve Vigny, die in dieser Schule eine Klasse im dritten Jahr („Élémentaire 2“) hat, nicht nachvollziehen „In meiner Klasse habe ich zum Glück nur 21 Jungen und Mädchen, und der Saal ist recht geräumig, das ermöglicht es, mindestens einen Meter Abstand einzurichten. Wir sind da vielleicht privilegiert. Grundsätzlich machen wir genauso weiter wie nach dem Ende des Confinements (Lockwdown) in den drei Wochen vor den Ferien.“
Dass es in dieser Schule nur knapp 300 Schüler, dafür aber drei Treppen hat, erleichtere die Organisation, sagt Vigny. Das ist so nicht überall möglich. Vor dem Coronavirus sind auch im egalitären Frankreich nicht alle gleich.
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