Die Chancen auf Systemwandel im Kleinen: Konsumkritik als Placebo
Können wir mit den richtigen Kaufentscheidungen die Welt verbessern? Oder brauchen wir doch einen allumfassenden Systemwandel?
G efahr! Die Menschen hierzulande leben unter einer omnipräsenten Bedrohung! Das Grauen lauert hinter T-Shirts, Spülmittel oder Milch: Bloß nicht das Falsche kaufen! Bloß nicht mitschuld sein am Klimawandel!
An die Hand genommen werden die verunsicherten Konsument*innen reihenweise von Sachbüchern, Zeitschriften und Fernsehshows, in denen dem Bösen auf den Grund gegangen wird: Was ist ethisch vertretbar, was darf konsumiert werden? Und so steuern die Massen die Supermarktregale an, bestens darüber informiert, wie hoch etwa der Wasserverbrauch bei der Produktion der Müsliverpackung im Detail war.
Was dahinter steckt, ist die Angst vor dem Klimawandel. Darüber steht in dieser Zeitung viel geschrieben und ich trete uns Autor*innen wohl nicht zu nahe, wenn ich uns allen eine gewisse Verzweiflung attestiere.
Wir wissen über die herannahende Katastrophe und wer einmal den Versuch unternommen hat, den eigenen CO2-Fußabdruck zu berechnen, weiß, zu welchen Schuldgefühlen das führen kann. Und weil wir am eigenen Konsum am leichtesten etwas ändern können und es attraktiv ist, moralisch richtig zu handeln, geben wir uns als kritische Konsument*innen.
Falsch oder weniger falsch
Und weil es noch attraktiver ist, anderen Menschen die eigene Unbeflecktheit demonstrativ unter die Nase zu reiben, üben wir fleißig Konsumkritik. Doch wer den Konsum kritisiert, die zugrundeliegenden Verhältnisse aber unangetastet lässt, versagt sich jedem kritischen Gedanken und wird letztlich gar nichts verändern. Denn in einem System, das ewiges Wachstum erzwingt, ist der private Konsum nebensächlich.
Jetzt könnte man meinen, Öko, Bio, Fair Trade, all das sei unnötiger Quatsch, weil wir damit effektiv wenig ändern. Also kaufen wir weiter das Ein-Euro-Schnitzel und fühlen uns intellektuell überlegen, sobald wir diesen kritischen Konsument*innen die sieben magischen Worte entgegenhalten: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“.
Doch Theodor W. Adorno, der allzu oft auf dieses Zitat reduziert wird, meinte damit nicht, dass erst in der befreiten Gesellschaft ethisch richtige Entscheidungen getroffen werden könnten. Es gibt eben falsch und weniger falsch, klimaschädlich und weniger klimaschädlich. So spricht gar nichts gegen bedachten Konsum und wer es sich leisten kann, auf Plastikverpackung zu verzichten, soll das bitte tun.
Der Klimawandel ist mit Konsumkritik nicht aufzuhalten, doch Ohnmacht angesichts der bestehenden Verhältnisse ist noch kein Grund, in Zynismus zu verfallen und gedankenlos zu konsumieren.
Was also tun? Um dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen, muss der Kapitalismus überwunden werden. Auf die Politik ist dabei kein Verlass, über den parlamentarischen Weg lässt sich kein System überwinden. Das Wasser steht uns längst bis zum Hals. Was man tun kann, zeigen Klimagruppen wie Ende Gelände tagtäglich. Lasst uns den Systemwandel also selbst in die Hand nehmen! Und wer es sich leisten kann, darf dabei gern fair gehandelte Kleidung tragen.
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