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Die Chancen auf Systemwandel im KleinenKonsumkritik als Placebo

david Luys
Essay von david Luys

Können wir mit den richtigen Kaufentscheidungen die Welt verbessern? Oder brauchen wir doch einen allumfassenden Systemwandel?

Mission Supermarkt: Wie ich die Welt mit meinem Einkaufswagen (ein bisschen) rette Foto: NomadSoul/imago-images, Warming Stripe: showyourstripes.info

G efahr! Die Menschen hierzulande leben unter einer omnipräsenten Bedrohung! Das Grauen lauert hinter T-Shirts, Spülmittel oder Milch: Bloß nicht das Falsche kaufen! Bloß nicht mitschuld sein am Klimawandel!

An die Hand genommen werden die verunsicherten Kon­su­men­t*in­nen reihenweise von Sachbüchern, Zeitschriften und Fernsehshows, in denen dem Bösen auf den Grund gegangen wird: Was ist ethisch vertretbar, was darf konsumiert werden? Und so steuern die Massen die Supermarktregale an, bestens darüber informiert, wie hoch etwa der Wasserverbrauch bei der Produktion der Müsliverpackung im Detail war.

Was dahinter steckt, ist die Angst vor dem Klimawandel. Darüber steht in dieser Zeitung viel geschrieben und ich trete uns Au­to­r*in­nen wohl nicht zu nahe, wenn ich uns allen eine gewisse Verzweiflung attestiere.

Wir wissen über die herannahende Katastrophe und wer einmal den Versuch unternommen hat, den eigenen CO2-Fußabdruck zu berechnen, weiß, zu welchen Schuldgefühlen das führen kann. Und weil wir am eigenen Konsum am leichtesten etwas ändern können und es attraktiv ist, moralisch richtig zu handeln, geben wir uns als kritische Konsument*innen.

Falsch oder weniger falsch

Und weil es noch attraktiver ist, anderen Menschen die eigene Unbeflecktheit demonstrativ unter die Nase zu reiben, üben wir fleißig Konsumkritik. Doch wer den Konsum kritisiert, die zugrundeliegenden Verhältnisse aber unangetastet lässt, versagt sich jedem kritischen Gedanken und wird letztlich gar nichts verändern. Denn in einem System, das ewiges Wachstum erzwingt, ist der private Konsum nebensächlich.

Jetzt könnte man meinen, Öko, Bio, Fair Trade, all das sei unnötiger Quatsch, weil wir damit effektiv wenig ändern. Also kaufen wir weiter das Ein-Euro-Schnitzel und fühlen uns intellektuell überlegen, sobald wir diesen kritischen Kon­su­men­t*in­nen die sieben magischen Worte entgegenhalten: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“.

Wer einmal den Versuch unternommen hat, den eigenen CO2-Fußabdruck zu berechnen, weiß, zu welchen Schuldgefühlen das führen kann

Doch Theodor W. Adorno, der allzu oft auf dieses Zitat reduziert wird, meinte damit nicht, dass erst in der befreiten Gesellschaft ethisch richtige Entscheidungen getroffen werden könnten. Es gibt eben falsch und weniger falsch, klimaschädlich und weniger klimaschädlich. So spricht gar nichts gegen bedachten Konsum und wer es sich leisten kann, auf Plastikverpackung zu verzichten, soll das bitte tun.

Der Klimawandel ist mit Konsumkritik nicht aufzuhalten, doch Ohnmacht angesichts der bestehenden Verhältnisse ist noch kein Grund, in Zynismus zu verfallen und gedankenlos zu konsumieren.

Was also tun? Um dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen, muss der Kapitalismus überwunden werden. Auf die Politik ist dabei kein Verlass, über den parlamentarischen Weg lässt sich kein System überwinden. Das Wasser steht uns längst bis zum Hals. Was man tun kann, zeigen Klimagruppen wie Ende Gelände tagtäglich. Lasst uns den Systemwandel also selbst in die Hand nehmen! Und wer es sich leisten kann, darf dabei gern fair gehandelte Kleidung tragen.

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david Luys
Jahrgang 2000, freier Journalist, schreibt für Zeitungen, interviewt im Radio und arbeitet als Protestfotograf, studiert Soziologie im Bachelor.
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13 Kommentare

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  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    "Auf die Politik ist dabei kein Verlass, über den parlamentarischen Weg lässt sich kein System überwinden." Das ist die faule Ausrede all jener die nicht wissen wie sie Mehrheiten gewinnen können. Frauen- Wahlrecht, Abschaffung der Sklaverei, Menschenrechte, all diese Systemveränderenden Dinge wurden durch Parlamente erreicht. Es ist schlichtweg nicht wahr das man das System nicht verändern kann, man kann es nur nicht gegen die Mehrheit aber das ist auch nicht legitim zumindest wenn man sich als Demokrat sieht.

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @83379 (Profil gelöscht):

      siehe r2g und die räumungen in berlin oder den atomausstieg, §218, harz4, hitler is ja schliesslich auch demokratisch an die macht gekommen, läuft

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @90564 (Profil gelöscht):

        Sie stimmen also überein das Systemveränderung durch Demokratie möglich ist, kann natürlich auch die falsche sein.

        • 9G
          90564 (Profil gelöscht)
          @83379 (Profil gelöscht):

          nein, system-veränderung eben nicht, der ns hat nicht mit der warengesellschaft gebrochen und an den häuserräumungen, §218 und harz4 können wir wunderbar ablesen, wer in der bürgerlichen demokratie die spielregeln diktiert, das kapital.



          ps wie sie aus meinem kommentar zustimmung herrauslesen können, ist mir ein rätsel.



          pps die menschenrechte haben im übrigen einmal die us-amerikanische revolution und die französische revolution gebraucht, beide sehr gewaltvoll

          • 8G
            83379 (Profil gelöscht)
            @90564 (Profil gelöscht):

            Die Nazis haben das System fundamental verändert.

            • 9G
              90564 (Profil gelöscht)
              @83379 (Profil gelöscht):

              mit der warenproduktion und - tausch? echt? inwiefern? was haben die nazis FUNDAMENTAL an unserer eigentumsordnung geändert? oder meinen sie, weil diese den parlamentarismus abgeschafft haben, hätten die das system kapitalismus geändert?

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Das formale Ende der Sklaverei musste aber in den USA durch einen Bürgerkrieg erkämpft werden und global gesehen gibt es heute sogar weitaus mehr Sklaverei als zu Zeiten des atlantischen Dreieckhandels [1]. Menschen- und Frauenrechte sind ebenfalls nicht einfach nur Kopfgeburten des Parlaments gewesen, sondern Resultat der Erfahrungen und gesellschaftlichen Veränderungen in zwei Weltkriegen.



      Auch darf man nicht unterschätzen, dass hier mit dem Ende des Kapitalismus eben keine "Systemveränderung", sondern ein Systemwechsel gefordert wird. Und diese sind historisch gesehen in den seltensten Fällen friedlich verlaufen und wurden noch seltener per Parlamentsbeschluss herbeigeführt.

      [1] www.deutschlandfun...:article_id=456766

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Ingo Bernable:

        Der Bürgerkrieg brach aber aus weil der Süden das Ende der Sklaverei kommen sah durch das Wahlergebnis.

        Generell sind alle Veränderungen zumeist Produkt gewaltsamer Ereignisse. Vielleicht auch ein Grund das es beim Klimaschutz nicht vorwärts geht.

        In jedem Fall muss man eine klare Mehrheit erarbeiten, wenn man die hat kann man diskutieren was der beste Weg zur Veränderung ist bis dahin sind solche Aussagen entweder Ausfruck autoritärer Gesinnung oder Zeitverschwendung.

        • 9G
          90564 (Profil gelöscht)
          @83379 (Profil gelöscht):

          "mehrheiten erarbeiten" ist etwas anderes, als sich auf den bürgerlichen parlamentarismus zu reduzieren, eine mehrheit ist für die änderung am §218, aber sie kommt nicht, eine mehrheit war schon vor fukushima für den atomausstieg, aber die merkel-regierung hat die laufzeiten verlängert, eine mehrheit ist für die aufnahme von flüchtlingen etc und eine mehrheit hat hitler zur macht verholfen. ganz so widerspruchsfrei und einfach ist das ganze eben nicht

          • 8G
            83379 (Profil gelöscht)
            @90564 (Profil gelöscht):

            Wir leben ja auch nicht in einer reinen Demokratie, aus gutem Grund. Dementsprechend muss man dann die Mehrheit in eine parlamentarische Mehrheit umsetzen, ansonsten könnten wir Volksentscheide einführen aber da ist ein gefährliches Werkzeug wenn nicht lange etabliert.

            • 9G
              90564 (Profil gelöscht)
              @83379 (Profil gelöscht):

              über die gewalt in der us-amerikanischen und der französischen revolution, im übrigen gabs da auch schon parlamente, wollen sie nicht mehr sprechen? und in den usa unter trump sehen wir gerade "parlamentarische mehrheiten", das electoral college, welches trump mit mehrheit wählen konnte, ohne dass die mehrheit der wähler!nnen ihn gewählt hätte

  • Nimmt man den letzten Absatz beim Wort, wäre die derzeitige Strategie von Ende Gelände ja eigentlich die falsche. Einerseits weil man den zweiten Schritt vor dem ersten geht und primär gegen den Klimawandel und nicht gegen den Kapitalismus agiert, andererseits weil man wohl annehmen muss, dass sich weder Kapitalismus noch Klimawandel durch einige letztlich eher symbolische Blockaden und Besetzungen tatsächlich beenden lassen. Wer dann noch den Parlamentarismus als mögliches Korrektiv der Zustände verwirft, sollte dann aber auch die Konsequenz besitzen die Folgen dieser Überlegung auszubuchstabieren. Für die gewaltsame Durchsetzung von Klimaschutz fehlt es aber nicht nur der Bewegung an Potential, sondern vor Allem auch an Akzeptanz in der Bevölkerung.

  • Samstags landen in den Briefkästen meines Viertels fast zentnerweise Flyer, die zuweilen das Ausmaß eine Kataloges annehmen. Zum Beispiel die Anpreisungen von Aldi.



    Beim Durchblättern stellt man schnell fest, dass da viel Zeug angeboten wird, das zum Teil wirklich interessant ist und trotzdem kein Verbraucher danach gefragt hat. M.a.W.: Konsuminteresse wird in erster Linie geweckt. Und das machen die Anbieter.



    Wer hat schon bei einem PKW ernsthaft nach einer Scheibenwischerautomatik gefragt? Oder nach einem Warnton, wenn Tempo 130 überschritten wird? Wer hat jemals nach Plastikstrohhalmen gefragt? Die echten Strohhalme wurden einfach nicht mehr angeboten.



    Würden wir nur den Kram zurückweisen, der uns völlig ungefragt unter die Nase gerieben wird, wären schon Millionen Tonnen CO2 weniger verplempert.

    Leider hat es noch nie funktioniert, dass VerbraucherInnen das Angebot bestimmen. Und es wird auch in Zukunft nicht in dem Maße funktionieren, der eine gewisse Relevanz hätte. Es ist im Kapitalismus von äußerst geringem Interesse, womit Profite erwirtschaftet werden, hauptsiche sie lassen sich realisieren.



    Der Kapitalismus setzt zwingend Überproduktion und damit auch Wachstum voraus. Sogenannte Experten, die anderes behaupten, sollten nicht ernst genommen werden. Dienen sie doch ausschließlich der einen Sache, dem Surplus. Und da kommt jedes "grüne Produkt" gerade recht und jede vermeintlich grüne Theorie einer ökologischen Marktwirtschaft zur Rettung der Welt.

    Es wird nicht mehr sehr lange dauern, da werden diejenigen, die ernsthaft etwas gegen die Klimakrise unternehmen wollen, endlich darüber nachdenken, wie wir dieses System überwinden können.



    Zu meiner völligen Überraschung hat sich Frau Neubauer letztens bei "aspekte" ähnlich geäußert, dass dieses kapitalistische System nicht in der Lage sein wird, die dringenden Probleme zu lösen, verbunden mit der Aufforderung, endlich darüber nachzudenken, wie eine Alternative zum Kapitalismus aussehen könnte.