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Unterwegs auf dem Reeperbahn-FestivalAllein unter QR-Codes

Das Hamburger Reeperbahn Festival hat ausprobiert, ob es auch unter Pandemiebedingungen funktionieren kann. Aber ein echtes Festival geht so nicht.

Abstandsgebot klar eingehalten: Konzert beim Hamburger Reeperbahn Festival Foto: Georg Wendt/dpa

Hamburg taz | An jeder Tür die gleiche Frage. Ehe ich den QR-Code gescannt und meine Daten hinterlassen habe, ehe ich mir die Hände desinfiziert habe, ehe ich von freundlichen Menschen mit beinahe angenehmer Resolutheit zu meinem festen Sitzplatz im Publikumsbereich geführt werde, werde ich ausgehorcht. Fast immer ohne Begrüßung, denn irgendwo muss man ja Zeit sparen. „Bist du alleine?“, wird also gefragt. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich annehmen, dass man mir an den Türen der Clubs permanent mein Single-Dasein vorhalte.

Aber nein: Die zusätzlich abgestellten Platzanweiser*innen achten peinlich genau auf 1,50 Meter Abstand und platzieren mich dementsprechend. Die Türen schließen sich, keine*r kommt noch rein, das Konzert beginnt. Es ist September 2020, und da ist beim 15. Reeperbahn Festival (RBF) in Hamburg alles anders. „Ein Zeichen“ sei das diesjährige Festival, so hatte es SPD-Kultursenator Carsten­ Brosda bei der Eröffnung gesagt: „ein Zeichen dafür, was möglich ist, wenn wir es wirklich wollen“.

Mehr als eine Million Euro zusätzlich hatten Bund und Stadtstaat locker gemacht, um eine pandemiegerechte Umsetzung zu ermöglichen. Die wollten es wirklich – genauso wie die Künstler*innen, die Bühnentechniker*innen und die Clubinhaber*innen, die nun wenigstens vier Tage lang arbeiten und Geld verdienen durften. Auch Acts wie Weval, Charlotte Brandi und die für den Nachwuchspreis „Anchor“ nominierten L’Eclair wären sicher­ gerne aufgetreten, konnten jedoch nicht anreisen – immerhin gab es darüber hinaus kaum Absagen.­

Man sehne sich nach „Bone-Cracking“-Konzerten, sagte Brosda­ noch, und wer je im sauna­heißen Molotow zum Lärm einer Gitarrenband geschwitzt und auch einmal einen Ellenbogen zu spüren bekommen hat, wusste, wovon der Senator da sprach. In diesem kulturell freudlosen Jahr hielt sich die Sehnsucht der Zuschauer*innen allerdings in Grenzen: 2.500 Karten waren pro Tag verfügbar, doch am Eröffnungs-­Mittwoch wurden nicht einmal halb so viele verkauft.

2.500 Karten waren pro Festivaltag verfügbar, doch am Eröffnungs-Mittwoch wurden nicht einmal halb so viele verkauft

In herrlicher Nachmittagssonne schlendere ich an den Kreidemarkierungen vor der kleinen Bühne am Heiligengeistfeld vorbei. Hier darf man sogar stehen – eine Rarität. Zur großen „Festival Village“-Bühne geht es einen langen, staubigen Weg entlang, es folgen Desinfektion, Taschenkontrolle und, klar, QR-Code-Check.

Unter einem großes Sonnendach bietet sich ein trister Anblick: Die Stuhlreihen darunter sind kaum zu einem Drittel gefüllt, 900 Zuschauer*innen könnten hier Platz finden. Akua Olatunji, angereist aus Köln, gibt sich alle Mühe, ihre gute Laune auf das Publikum zu übertragen. Unter dem Namen Akua Naru fetzt die Frau mit kraftvollem R&B, Rap und Soul über die Bühne. Was sie nicht ändern kann: die Hände im Takt zu schwenken fühlt sich im Sitzen einfach blöd an.

Die Angst vor einem einseitigen Sonnenbrand ist hier eindeutig stärker als die vor einer Viren-Übertragung. Ein sichereres Festival ist kaum vorstellbar – zumal die Desinfektions-Pflicht teils absurde Ausmaße annimmt: Am Eingang zum Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld die Haut mit Hochprozentigem einreiben – und 50 Meter weiter, direkt vor dem „Resonanzraum“ erneut?

Für die Band, die am Donnerstagabend ganz oben auftritt, im Uebel & Gefährlich, bin ich viel zu spät dran. Ein Glücksfall: Calby, den ich drei Bunker-Etagen tiefer erlebe, ist eines dieser Talente, von denen man in wenigen Jahren hofft, sagen zu können, „den habe ich noch mit 50 anderen gesehen“.

Nun sind mehr als 50 Zuschauer*innen bei diesem RBF drinnen auch fast nirgendwo möglich. Sei’s drum: Der dänische Sänger hat eine grandiose Stimme, er ist, was man eine „Soul-Hoffnung“ nennt. Der nächste John Mayer, oder wenigstens der nächste Jason Mraz?

„Endlich mal ein Reeperbahn Festival ohne Kater“, scherzt ein Freund. Er arbeitet in der Musikindustrie,­ da ist es üblich, bei den abendlichen Get-Togethers reichlich zu den Freigetränken zu greifen. Die Business-Seite ist diesmal kaum existent, internationale Gäste sind höchstens aus dem Partnerland Dänemark angereist. Das Konferenz-Programm fand komplett online statt – gleich zum Auftakt mit einem 45-minütigen Server-Absturz. Später wurde dann einmal mehr über die Zukunft des Musikjournalismus debattiert; einen Channel weiter redeten St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich und SPD-Jungspund Kevin Kühnert erst mal über Fußball.

So hoffentlich nie wieder

Besser also, sich auf die Musik zu konzentrieren. Dass nach Konzertbeginn niemand mehr reingelassen wird, hat seine Vorteile: niemand poltert geräuschvoll mitten in eine hochsensibles Singer/Songwriter-Set. Tara Nome Doyle, zum Beispiel, profitiert davon: Die norwegisch-irische­ Sängerin hat die Stimme und die Songs, um die neue Florence­ Welch (Florence and the Machine) zu werden. Wer im Knust zu den 45 Hörer*innen ihres nachtschwarzen Chanson-Pops gehört, fühlt sich beinahe auserwählt.

Und tappt danach in die einsame, kalte Nacht auf St. Pauli. Alleine fühlt man sich sonst nie bei einem RBF, stolpert man doch angesichts von 10.000 täglichen Besucher*innen ständig in Bekannte hinein, und manchmal sogar in den Gitarristen, den man eben noch so bewundert hat. Nicht so 2020 – auf Abstand macht man keine Freunde.

Das Reeperbahn Festival, Corona-Edition, hat verdeutlicht: Natürlich sollte man das wollen, und natürlich macht das ab und zu auch Spaß. Aber ein Festival ohne echte Begegnungen ist keins. Und passiert so hoffentlich nie wieder.

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