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Digitalise Inkompetenz im AlltagDinos wie Horst und ich

Zwischen Digitalem Lernen, nicht funktionierenden Katastrophen-Warn-Apps und digitalen Dienstplänen: Neues aus dem Land der Technik-Dinos.

Die Warn-App war eine halbe Stunde zu spät, als vielerorts die Sirenen schon losgegangen waren Foto: Jens Büttner/dpa

A larmstufe Rot!, rief am Mittwoch eine gebeutelte Branche vor dem Brandenburger Tor, dieser neuen Klagemauer im Herzen des Landesprotestaufmarschgebiets, zu dem Berlin jetzt endgültig geworden ist. Früher waren wir nebenbei ja auch noch Kulisse für sportliche und kulturelle Großevents, vom Marathon bis zum Straßentheater-Festival.

Plastikstühle

Doch jetzt, im einsetzenden Coronaherbst, ist das Vergnügen aus der Öffentlichkeit verschwunden und zwischen 17. Juni und Reichstag manifestieren sich nur noch Trauer, Wut und Protest. Am Montag standen da (im Rückblick betrachtet wie ein makabres Fanal) 13.000 Plastikstühle, einer für jeden Menschen im überfüllten griechischen Flüchtlingscamp Moria, das es seit Mitte der Woche nicht mehr gibt.

Belüftungstechnik

Am Mittwoch also machten die VeranstaltungstechnikerInnen auf ihre desolate Lage aufmerksam: Konzert- und Theaterbühnen, Soundanlagen, LichtkünstlerInnen und DJs – sie werden gerade nur noch selten gebraucht. Mit den paar Lautsprecherwagen für Demos lässt sich auch kein Geld verdienen. Wer es sich leisten kann, hat inzwischen technisch nachgerüstet. Wie etwa das Kleinkunstzelt, das auf Großplakaten wirbt: „Optimaler Schutz vor Viren dank neuartiger Belüftungstechnik!“

Wie lange ich schon nicht mehr im Theater gewesen bin. Oder im Kino. Noch nicht mal im Museum, obwohl die gerade so leer sind wie nie, was ich unbedingt nutzen will. Eigentlich. Aber mit Maske macht das alles keinen Spaß. Und so verbringe ich meine Freizeit zunehmend in der Natur – oder zu Hause mit einem Buch. Dabei habe ich es versucht: erst mit einem digitalen Zugang zur Philharmonie, dann, niedrigschwelliger, mit Links zu irgendwelchen Konzerten. Aber nachdem ich den halben Tag vor Bildschirmen verbracht habe, löst der Gedanke an einen gestreamten abendlichen Beethoven Widerwillen in mir aus. Also habe ich mich zum kulturtechnischen Dinosaurier zurückentwickelt – ich höre sogar wieder CDs!

Sirenen

Da befinde ich mich übrigens ganz auf der Höhe der deutschen Gesamtgesellschaft: Was die miese Bilanz des Ersatzunterrichts während der Corona-Schulschließung ahnen ließ, bestätigte nun der landesweite Warntag am Donnerstag: Es läuft generell nicht so rund mit der digitalen Technik im Lande: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verschickte die Warnung eine halbe Stunde zu spät, als vielerorts die Sirenen längst losgegangen waren. In Berlin blieb man sogar akustisch ganz unbehelligt: Hier wurden die Sirenen in den 1990er Jahren abgebaut. Wer da nicht die NINA-Warn-App installiert hatte (die auch nicht bei allen funktionierte), hätte vom Chemieunfall um die Ecke höchstens aus dem Radio erfahren können – oder aus der Tageszeitung. Für Kulturtechnik-Dinos wie mich natürlich eine Genugtuung.

Herzerwärmend auch der komplett analoge Elternabend der Grundschule am Donnerstag: Hatten mich diese oft recht zäh verlaufenden After-work-Veranstaltungen früher genervt, regte sich diesmal eine gewisse innere Freude: Da waren sie alle wieder, live und in Farbe, Mütter und Väter, die man lange nicht gesehen hatte, und die Lehrerin, die sich zuletzt nur per E-Mails und Infozetteln manifestiert hatte. Zwar entbehrte der vorgestellte „Notfallplan“ für eine erneute Schulschließung im Winterhalbjahr nicht einer verzweifelten Komik, denn mehr als Lehrerin-deponiert-kopierte Arbeitsblätter-in-vor-der-Schule-aufgestellten-Schrankfächern und zweimal wöchentlich eine Stunde Videofachunterricht scheint nicht drin zu sein, was im Jahr 2020 schon, sagen wir mal neutral, bemerkenswert ist.

Immerhin gibt es bald eine ganztägige Schulung im Digitalen Unterrichten für alle LehrerInnen – natürlich fällt an diesem Tag der Unterricht für die Kinder komplett aus, denn während des Lockdowns hatte man ja keine Zeit für Fortbildungen, da mussten ja fortwährend Aufgaben in Spinden deponiert und wieder abgeholt werden – weil ein E-Mail-Versand von mit dem Smartphone abfotografierter Blätter ja nun wirklich nicht erwartet werden kann. (Plötzlich fühlte ich mich regelrecht cutting edge, als ich im gemeinsamen Smartphone-Familienkalender den schulfreien Tag eintrug).

Handschrift

Aber dafür gab es sorgfältige Diskussionen über das Für und Wider von Schulnoten. Und leidenschaftliche Plädoyers für das Erlernen der Kulturtechnik der Handschrift – wo ich mich natürlich vollen Herzens anschloss. Als es dann an die Wahl der Elternvertretung ging, hatte ich es dann aber eilig. Ich musste ja noch den digitalen Dienstplan fürs Ressort fertig basteln: Die KollegInnen hatten mich dazu genötigt, weil digital halt manchmal doch besser ist als ein abfotografierter Wandkalender.

Da geht es mir quasi wie dem obersten Katastrophenschutz-Dienstherrn Horst Seehofer. Mal schauen, was zuerst funktioniert: NINA oder Ninas erster digitaler Dienstplan.

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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2 Kommentare

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  • Eine Summe von Informationen zu sammeln ist schwer genug, die substanzlose Verwertung von verfügbaren Informationen dagegen leicht. Deshalb können wir uns im digitalen Überwachungszeitalter weiterhin erfolgreich einloggen in der Hoffnung, es möge irgendwann etwas vernünftiges herauskommen.

  • "Wer da nicht die NINA-Warn-App installiert hatte (die auch nicht bei allen funktionierte), hätte vom Chemieunfall um die Ecke höchstens aus dem Radio erfahren können – oder aus der Tageszeitung."

    Ich nehme da die Wochenzeitung.

    Eine App? Vom Staat? Nach der ganzen Staatstrojanerdiskussion?

    Danke, nein.