Streit über Nord Stream 2: Klimakiller aus der Röhre
Beim Streit über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 wird gern mit dem Klimaschutz argumentiert. Dabei ist Gas alles andere als ein Klimaretter.
Auch die Lobbygruppe VNG fordert: „Gas geben für den Klimaschutz“. Und das Bundeswirtschaftsministerium erklärt, bei der Versorgung von Gebäuden, im Verkehr und der Industrie könne Erdgas „ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur Dekarbonisierung sein“.
Das klingt, als wäre ein mögliches Scheitern der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 vom russischen Wyborg ins deutsche Lubmin ein Rückschlag für den Klimaschutz. Das 9,5-Milliarden-Euro-Projekt liegt auf Eis, seit die USA die Erbauer und die deutschen Hafenbehörden mit Wirtschaftssanktionen bedrohen.
Und nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny wackelt in der Bundesregierung die Unterstützung für die Gasröhre, die vom russischen Staatskonzern Gazprom vorangetrieben wird: Sanktionen der EU könnten das Megaprojekt, an dem nur noch 150 Kilometer Röhre fehlen, versenken.
Darauf hoffen heimlich Umwelt- und Klimaschützer, die nach der Kohle nun die Gasversorgung als nächsten Klimakiller ausmachen. Erst am vergangenen Montag klebten sich DemonstrantInnen in Hannover an der Staatskanzlei fest – aus Protest gegen Pläne für Gasterminals an der Nordsee.
Blockaden geplant
Für Ende September kündigt die Umweltgruppe Ende Gelände Blockadeaktionen gegen „kritische Gasinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen“ an, weil hier einem „fossilen Energieträger ein grüner Anstrich verpasst wird“, wie eine Sprecherin erklärt. KlimapolitikerInnen von Linken und Grünen kritisieren Nord Stream 2 seit Langem. Und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt gegen Nord Stream 2, weil „die Pipeline nicht zu den Klimaschutzzielen der EU passt“.
Denn die angeblich so grüne Weste des saubersten fossilen Brennstoffs hat schwarze Flecken. Je nach Rechenmethode belastet die Nutzung von Erdgas das Klima deutlich höher als bislang vermutet. Und neue Studien zeigen, dass die Gefahr aus Pipeline-Lecks bisher massiv unterschätzt wurde.
Erdgas besteht aus Methan, einem Treibhausgas, das wegen seiner geringen Lebenszeit kurzfristig die Atmosphäre etwa 80 Mal so stark aufheizt wie Kohlendioxid. Über hundert Jahre ist der Einfluss etwa 25-mal so stark. Ein Drittel der gesamten bisherigen Erderhitzung geht auf das Konto des flüchtigen Gases. Dessen Konzentration in der Atmosphäre – vor allem aus natürlichen Quellen, Reisfeldern, Rindermägen und der Öl- und Gasindustrie – ist in den vergangenen Jahren rapide gestiegen. Warum genau, ist vielen Forschern ein Rätsel. Klar ist nur: Um die Klimaziele zu erreichen, müsste nach Berechnungen des UN-Klimarats IPCC der Methangehalt bis 2050 um 35 Prozent sinken.
Problem: Lecks
Da stört jedes weitere Molekül, das in die Luft gelangt. Inzwischen zeigen viele Studien, dass die Gefährlichkeit des Klimakillers Methan unterschätzt wird: 2018 fanden Forscher nach genauen Messungen heraus, dass der Methanausstoß der US-Öl- und Gasindustrie um 60 Prozent höher lag als von der US-Umweltbehörde EPA errechnet. Jüngst zeigten Satellitendaten aus Texas, dass die Frackingfelder dort mit 3,7 Prozent ihrer Produktion doppelt so viel Methan verloren wie bisher angenommen. Eine aktuelle Untersuchung fand in amerikanischen Gasverteilnetzen Methanlecks, die „fünfmal so hoch waren, wie es die EPA annimmt“, schreiben die Experten.
Dabei wäre Klimaschutz hier billig zu haben. Die Industrie könnte „die Hälfte dieser Emissionen ohne höhere Kosten einsparen“, sagt der Chef der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol – schließlich könnte das Gas, das derzeit durch Lecks entweicht, dann verkauft werden. Langfristig sei das so gut fürs Klima, wie „die Hälfte aller derzeit weltweit fahrenden Autos von Abgasen zu befreien“.
In den USA ist das Thema besonders virulent: Der jahrelange Frackingboom hat den Markt mit billigem Gas überschwemmt, die Kohle verdrängt und damit die CO2-Emissionen seit 2005 um 14 Prozent gesenkt. Gleichzeitig hat die Regierung Trump die Regulierungen für die Gasindustrie gelockert. Seitdem die Frackingindustrie ab Frühjahr im Niedergang ist, sind Tausende von Bohrlöchern verlassen, viele sind wahrscheinlich nicht korrekt gegen das Ausgasen von Methan gesichert.
Gegen das Methandesaster kämpft einer der größten US-Umweltverbände, EDF, unter anderem mit neuen Messmethoden und einem eigenen Satelliten: Ab 2022 soll „MethaneSAT“ aus dem All weltweit nach dem Klimakiller schnüffeln.
Dann wird es auch mehr Klarheit über die Emissionen in Russland geben. Auf Anfrage verweist die Nord-Stream-Gesellschaft auf Daten von Gazprom. Demnach senkt der Transport durch die Ostsee die CO2-Emissionen um 43 Prozent gegenüber der Lieferung durch die Ukraine und um 37 Prozent gegenüber der Pipeline durch Belarus – weil das Gas aus dem Norden mit höherem natürlichem Druck durch die Leitung fließt.
Zu den Verlusten an Methan gibt es keine Informationen, erst recht keine unabhängigen Messungen. Auch eine Studie des Fraunhofer Instituts für das Umweltbundesamt im letzten Jahr, die dem russischen Gas weniger Klimabelastung als der Kohle (aber etwa so viel wie Öl) attestierte, musste sich mit offiziellen Durchschnittsdaten zufrieden geben.
Konkurrenz für die Erneuerbaren
Schon lange ist in der Fachwelt klar, dass Gas kein Klimaretter ist. Bereits 2014 untersuchten Forscher, was eine weltweite Ausweitung des billigen Frackinggases für Folgen hätte. Das Resultat: Gas würde CO2-intensive Kohle verdrängen, aber auch CO2-freie Alternativen wie Atomkraft und Erneuerbare in Bedrängnis bringen und durch niedrige Preise zur Verschwendung anregen. Im günstigsten Fall, so die Forscher, ergäbe sich eine CO2-Ersparnis von 2 Prozent – viel wahrscheinlicher seien aber mehr CO2-Emissionen: um bis zu 11 Prozent.
Schon früher hatten Forscher befürchtet, über einhundert Jahre gerechnet sei Frackingas genauso klimaschädlich wie die Kohlenutzung. Und der Öko-Thinktank Global Energy Monitor schrieb, der geplante 500-Milliarden-Dollar-Ausbau der weltweiten Infrastruktur für Flüssiggas berge eine Gefahr für das Klima, „so groß wie der Kohleausbau“.
Ohnehin ist in der „Klimaneutralität“, zu der sich die EU und Deutschland bekennen, mittelfristig kein Platz für fossile Brennstoffe. Schon 2013 wurde errechnet, dass nur etwa die Hälfte aller bekannten Gasvorräte verbrannt werden können, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen – der Rest muss als „unverbrennbarer Kohlenstoff“, wie die wegweisende Studie hieß, im Boden bleiben.
Für die Nord-Stream-2-Röhre gäbe es allerdings in einem Klimaschutz-Szenario in etwa einem Jahrzehnt möglicherweise noch eine Verwendung: als Transportroute für Wasserstoff, den die Industrie in Europa dringend brauchen wird. Dafür müsste er in Russland mit erneuerbaren Energien hergestellt werden. Pläne dafür kennt man von Gazprom bislang aber nicht.
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