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Berliner AbschiebefallJustiz stimmte Abschiebung zu

Nach Afghanistan abgeschobener Nebenkläger soll im Görlitzer Park Menschen bedroht haben. Generalstaatsanwaltschaft führte das Verfahren.

Sammelabschiebung nach Afghanistan auf dem Flughafen Leipzig-Halle im Juli 2019 Foto: dpa

Berlin taz | Der Fall des abgeschobenen Afghanen ist vielschichtiger als bislang bekannt. Der Mann soll im April 2017 Opfer eines mutmaßlich rassistischen Angriffs durch einen Polizisten geworden sein. Obwohl der Prozess, in dem er Nebenkläger war, noch nicht zu Ende war, wurde er am 11. März 2020 nach Kabul abgeschoben.Wie am Montag bekannt wurde, hatte der Afghane einer freiwilligen Rückkehr nach Kabul allerdings zuvor zugestimmt.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, sagte, die Rechtsanwältin des Mannes habe im Zuge eines vor dem Landgericht anstehenden Sicherungsverfahren mitgeteilt, ihr Mandant sei grundsätzlich mit einer Rückkehr nach Afghanistan einverstanden. Auf Nachfrage der taz bestätigte die Anwältin Jenny Fleischer das am Montag. Allerdings sei ihr Mandant zum Zeitpunkt der Zustimmung im Krankenhaus für Maßregelvollzug (KMV) untergebracht gewesen.

„Wenn einer in einer geschlossenen Einrichtung sitzt, muss man sich fragen, wie ernst gemeint so eine Zustimmung ist“, sagte Fleischer. Das Kernprinzip einer freiwilligen Ausreise sei zudem, allein auszureisen, den Ausreisetermin vorher zu kennen und jederzeit die Möglichkeit zu haben, es sich noch anders zu überlegen. Das sei mitnichten der Fall gewesen. Zudem hätte der Mandant in jedem Fall noch das anhängige Verfahren als Nebenkläger zu Ende führen wollen.

Laut Steltner existierte gegen den Afghanen eine umfangreiche Antragsschrift in einem Sicherungsverfahren. Die Antragsschrift tritt an die Stelle einer Anklageschrift, wenn von einer Unterbringung im Maßregelvollzug wegen Schuldunfähigkeit ausgegangen wird. Das entsprechende psychiatrische Gutachten habe vorgelegen, so Steltner. In der Antragsschrift seien 18 Vorwürfe für die Zeit von 2017 bis 2019 aufgelistet gewesen: Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, Beleidigung und Androhung von Straftaten. Haupttatzeitraum sei das Jahr 2019 gewesen, Tatort sei überwiegend der Görlitzer Park gewesen.

Der Mann solle dort Kinder bedrängt, Frauen bespuckt und auf sexueller Grundlage beleidigt haben. Unter Bezugnahme auf den Dschihad und Vorzeigen eines Messers solle er auch gedroht haben, alle umzubringen. Auch habe er gerufen, er wolle Blut sehen. Parkläufer – wie die Security des Görlitzer Parks heißt – hätten sich mehrfach besorgt an die Polizei gewandt, Anzeige erstattet und gebeten, den Mann aus dem Verkehr zu ziehen.

Als gefährlich eingestuft

Steltner zufolge wurde das Verfahren von der für Islamismus zuständigen Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft geführt. Hintergrund ist, dass es bundesweit Vorfälle mit ähnlicher Problematik gegeben hat. Der Gutachter habe den drogenabhängigen Mann für den Fall, dass er sich keiner Therapie unterziehe, als gefährlich eingestuft. Bleibe der Mann drogenabhängig, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig mit Aggressionstaten zu rechnen. Sowohl Generalstaatsanwaltschaft als auch Landgericht hätten der Abschiebung zugestimmt, sagte Steltner.

Der Flüchtlingsrat hatte gefordert, den Afghanen sofort nach Berlin zurückzuholen, weil er als Nebenkläger ein Recht habe, an dem Prozess teilzunehmen. „Dass Innenverwaltung und Ausländerbehörde nichts von dem Nebenklageverfahren gewusst haben, entspricht nicht der Wahrheit“, sagte seine Anwältin. Das sei in den Akten dokumentiert.

Laut Fleischer habe ein LKA-Gutachten ergeben, dass bei ihrem Mandanten keine islamistisch-dschihadistische Ideologie erkennbar ist. Dagegen sei eine therapiebedürftige Suchtabhängigkeit attestiert worden.

Update, 18.5.: Anders als in einer früheren Version dieses Textes geschrieben, lag der Tatzeitraum nicht zwischen 2014 und 2017, sondern in den Jahren 2017 und 2019. Haupttatzeitraum ist laut Staatsanwaltschaft das Jahr 2019 gewesen.

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1 Kommentar

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  • "Der Mann solle dort Kinder bedrängt, Frauen bespuckt und auf sexueller Grundlage beleidigt haben. Unter Bezugnahme auf den Dschihad und Vorzeigen eines Messers solle er auch gedroht haben, alle umzubringen. Auch habe er gerufen, er wolle Blut sehen."



    Da er mit der Rückreise einverstanden war, hat er hoffentlich finanzielle Unterstützung erhalten, um sich in seiner Heimat leichter wieder etablieren zu können. Auf Grund des o.g. gehe ich davon aus, dass er in seiner muslimischen Heimat besser zurechtkommen wird als hier. Nicht jeder kann kulturelle Entwurzelung gleich gut verarbeiten. Ich wünsche dem jungen Mann ehrlich alles Gute und denke, dass er in seiner Heimat leichter glücklich werden kann als hier. Das Leben in Deutschland wird meiner Meinung nach von zu vielen Menschen unreflektiert idealisiert.