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20 Jahre „Bernd das Brot“Brot bewahre!

Die Kinderfigur ist die Verkörperung des Antisozialen im Fernsehzeitalter. Heute gratulieren wir dem missmutigen Kastenbrot zum 20. Geburtstag.

Abenteuer mag Bernd eigentlich nicht so, doch im Weltraum ist man wenigstens allein Foto: Kika/picture alliance

Niemals war mir so langweilig wie als Kind. Ganze Nachmittage, Vormittage, Abende lagen vor mir wie ein frischer Sandkasten, wie eine unbestrichene Scheibe Brot. Klar: Ich wusste mich zu beschäftigen. Flummi werfen, Schnecken töten, Eis essen, andere Kinder beraufen. Aber das grundsätzliche Gefühl, das ich hatte, war: Die Zeit wird niemals voll.

Wie gut, dass es damals schon Fernseher gab. Wie gut, dass ich nicht in einer dieser Familien groß wurde, in der die Fernsehzeit arg beschränkt war, gar durch erlogene Gutartigkeit verdient werden musste. Und wie gut, dass eine der Hauptfiguren, die damals im Kinderkanal zu sehen waren, ein sprechendes Kastenbrot mit zu kurzen Armen war: „Bernd das Brot“.

Wer weiß, wo ich sonst gelandet wäre mit meiner überflüssigen Zeit? Bei Super RTL, Erwachsenen beim Lustig-Hinfallen zuschauen? Verloren in irgendeiner Anime-Welt? Oder den coolen Jungs aus den ganzen Kinderdetektivsendungen nacheifernd? Mich nach Markenklamotten und Fußballschuhen sehnend? Das waren die möglichen Lebensentwürfe, damals, in meiner Welt. Brot bewahre.

Nicht zufällig begann die „Bernd das Brot“-Saga am 2. September 2000 mit der Sendung „Tolle Sachen“, einer Parodie auf Verkaufsshows. Wobei, na ja, was heißt Parodie? Während von überall her der neueste Schulranzen, der glitzerndste Nagellack, die unverschämteste Bärchenwurst ins Kinderhirn gehämmert wurden, gab es dort ja wirklich tolle Produkte: zum Beispiel den Schreibtisch „Klipp Klapp Schreibfix 2001“, den Sturzhelm „Anti-Rübe-Rumms Superhart 2000 XL“, die Popcornmaschine „Pop & Hop Colorisimo Triple Highspeed“ sowie einen Stuhl.

Stets missmutig und unverstanden

Ein so gar nicht girliges Stunt-Schaf namens Chili führte sie vor, zusammen mit einem verpeilten Rhododendronbusch namens Briegel, der ein Faible für Tüfteleien und Erfindungen besaß. Testkandidat war stets Bernd: stets missmutig ob der zutiefst alternativlosen Ausgangssituation, stets unverstanden, denn seine kurzen Arme verhinderten meist die korrekte Bedienung der Gerätschaften, die am Ende aber ohnehin immer in die Luft flogen, verschwanden oder anderweitig kaputtgingen.

Das war nicht nur Slapstick vom Feinsten (angereichert um allerlei dumpfe Geräusche, aufprallende Ambosse, stürmende Stierherden). Bernd war vor allem: die Verkörperung des Antisozialen im Fernsehzeitalter. Statt in irgendeinem Kellerloch einsam verborgen zu schmollen, will er nur in Ruhe lauwarme Mehlsuppe in seiner Wohnung trinken und dabei fernsehen, nämlich den Bahnstreckenkanal (auch so etwas, das es nicht mehr gibt). Seine beiden hyperenergetisierten Freunde verhindern das zuverlässig, unterstützt durch ein großes Fernsehspektakel aus unter Ablieferungszwang stehenden Regisseuren und Animateuren, die aus dem Off kreischen wie ungeduldige Eltern; später dann ergänzt um vollautomatische Greifarme, die das Brot aus allen Tiefen der Szene, in denen es sich zu verstecken sucht, wieder herausheben. Sie alle zerren Bernd auf die Bühne, ins Scheinwerferlicht. Warum ihn? Der doch so offensichtlich keine Lust darauf hat? Das bleibt die große Frage.

So mancher Supermutter (und so manchem Supervater), die es schon damals gab, gefiel das ganz und gar nicht. Sollten ihre „Kids“, wie sie sie, von ihrem kasualen Englisch und ihrer lebensbejahenden Lockerheit euphorisiert, zwischen zwei gemopsten Schlücken Punica nannten; ja, sollten die denn vom Glauben abfallen? Wozu wurden all das lässige Spielen im Matsch, all der „Mitmach“-Zirkus („Mitmachen“, noch so ein Modewort meiner Zweitausender), all die Kinderdiskos denn veranstaltet? Damit die Brut in die Fänge eines misanthropischen Brotes geriet, das Langeweile als Lebensideal propagierte?

Genau das gelang ihm nämlich glänzend. Folge um Folge sieht Bernd der unvermeidlichen Katastrophe ins Auge, wissend, dass es kein Entkommen gibt, kein Außerhalb: die ultimative Sinnlosigkeit. Fast so sinnlos wie Kinder, deren Eltern kindlicher sind als sie selbst. Mit Argumenten, das merken sie, kommen diese Kinder nicht weiter gegen die mit Autorität versehene Dummheit. Also werden sie fatalistisch, immerhin das.

Bernd von 9 bis 6

Paradoxerweise erlebt Bernd trotz oder gerade wegen seiner Erlebnisverweigerung unaufhörlich Neues, Fantastisches. Nach kurzer Zeit kamen längere und aufwändigere Produktionen hinzu, etwa an Star Trek angelehnt oder an Grimm’sche Märchen. Natürlich werden auch die radikal infrage gestellt: „Ich bin kein Frosch. Ich bin ein Brot!“ Oder als HipHop-Version adaptiert: „Yeah... Baby... in se house!“

Den unverhohlenen Gipfel des „Bernd das Brot“-Universums aber bilden die Nachtschleifen, die vom Sendeschluss um 21 Uhr bis zum Sendebeginn des Kika um 6 Uhr morgens gezeigt werden. Bernds Sprecher und Puppenspieler Jörg Teichgraeber hat in einem Interview einmal seine Bewunderung ausgedrückt für Peter Lustig und dessen legendäres: „Abschalten!“ Genau diesem Appell folgend, werden die zehn- bis zwanzigminütigen Videos in Dauerschleife gesendet, bis das müdegezappte Publikum endlich, endlich genug hat.

Bernd, der unaufhörlich dazu ermuntert, doch bitte auszumachen, wäre ohnehin lieber woanders, muss aber stattdessen die „Kika Light Night Hotline mit eurem smoothen Seelenmasseur und Easytalker Bernd“ moderieren oder alle Castingshows hintereinander gewinnen. Widersetzt er sich und läuft zur einen Seite des Bildschirms heraus, kommt er zur anderen wieder herein. Bei ganz argen Verweigerungsversuchen wird ihm drohend ein Toaster hingehalten. „Mist!“, bleibt ihm da nur zu rufen. „Oberdoppelriesenmist!“ Und ich frage mich beim erneuten Anschauen, als inzwischen viel beschäftigter Selbstbeschäftiger, der die Langeweile scheut wie der Hirsch den Waldbrand: Ist Bernd eigentlich eine depressive Figur? Wird selbst ihm irgendwann langweilig, wenn er – sein zweites Hobby – die Raufasertapete anstarrt?

So viel ist sicher: Er kommt einfach nicht dazu. Zu ständiger Bewegung verurteilt, lebt er in ebenso ständiger Erschöpfung, auch so eine Krankheit des Fernsehzeitalters (neben einer gewissen Kastenförmigkeit).

So schnell einen die Brötchenfüße tragen

Brotes Lehre: Bei näherem Hinsehen zerfällt das meiste dessen, was uns unterhalten und die Zeit vertreiben soll, in Fragmente immer desselben. Gerade das scheinbar Aufregendste ist in Wahrheit das Langweiligste. Und man kann dabei außerdem noch nicht mal sitzen. „Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr glaubt, das alles schon mal erlebt zu haben?“, fragt Bernd an einer Stelle von „Brot Neujahr“ resigniert. Ich kenne es. Und er fügt hinzu, als eine neu von Briegel entwickelte Maschine anfängt, bedrohliche Geräusche abzusondern: „Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr glaubt, jetzt ganz schnell wegrennen zu müssen, so schnell euch die kleinen Brötchenfüße tragen?“

Bloß wohin? Einmal, vor elf Jahren, wurde Bernd entführt – besser gesagt ein Abguss von ihm, der in Erfurt als Touristenattraktion aufgestellt worden war. In einem Youtube-Video wurde die Verbindung zu einem besetzten Haus hergestellt, das kurz darauf geräumt werden sollte (und auch geräumt wurde). Die Aktivist*innen dementierten, etwas damit zu tun zu haben.

Umso vehementer machten sich sowohl der später im Zuge der Kika-Korruptionsaffäre (in der Scheinrechnungen unter anderem für „Bernd das Brot“-Sendungen ans Licht kamen) gefeuerte frühere Senderchef Steffen Kottkamp als auch Figurenerfinder Thomas Krappweis daran, Bernds undogmatische Gesinnung und seine Abneigung gegen Entführungen zu betonen. Dabei bestand doch sein ganzes Leben nur aus Entführungen! So langsam müsste er sich doch mal daran gewöhnt haben? „Bernd sympathisiert vorrangig mit sich selbst, und ich glaube, er zöge Mieten dem Besetzen vor“, sagte Krappweis damals der Süddeutschen Zeitung.

Das hätte ich ihn dann doch lieber selbst gefragt.

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7 Kommentare

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  • Bernd das Brot sah schon das Feuilleton ihn für die mit Abstand beste Sendung im deutschen Fernsehen lobend erwähnen:



    youtu.be/IisMDG343rs

    Und jetzt reicht's doch wieder nur für einen popeligen Artikel in der taz.

    Mist.

  • Dass Bernd einfaches Mieten einer Besetzung vorzieht, stimmt.

    Neulich wollte ich wegen der extremen Wohnungsknappheit in Tübingen einfach ein kleines Zimmer mieten und fand mich stattdessen im Politbüro der Universität Tübingen wieder:



    www.flickr.com/pho...72157715206704323/

    Dort gabs Tolle Sachen, wie



    elektronische Katzenklappen,



    Katzenfüttermaschinen, die nur für Hauskatzen mit implantiertem Mikrochip aufmachen,



    Staubsaug- und Nassaufwischroboter, die sich hoffnungslos an den Stuhlbeinen am Esstisch aufgehängt haben,



    und Essen aus der Kiste von hellofresh.de.

    Ich hatte, ganz ungehörig für einen temporären Untermieter in einem billigen Zimmer, mich für die Forschung im Politbüro interessiert, war auf eine Dissertation



    "Keep My Share of Rice in the Cupboard:



    ethnographic reflections on practices of gender and agency among Dalit women in the Central Himalayas"



    [ archiv.ub.uni-heid...ltextserver/10671/ ] gestoßen,



    aber den Film "When Gods set out to wander"



    [ web.archive.org/we...y-india.net/?p=211 ]



    gibt's nicht mehr im Internet.

    Noch viel ungehöriger habe ich dann die Bemerkung gemacht, dass die Lehrstuhlinhaberin des Politbüros jetzt nur noch hellofresh.de-Pakete einer halben Milliarde Inderinnen zukommen lassen müsste, dann seien die Probleme von gender und agency unterprivilegierter Frauen in Indien in Nullkommanix gelöst, und überhaupt hätten die (vorwiegend männlichen) Erfinder von Waschmaschine und Spülmaschine mehr für die Befreiung der Frau getan als alle Ethnologie- und gender studies-Fakultäten der Welt zusammengenommen.



    Woraufhin Politbürolehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Polit gemeint hat, sie wüsste jetzt, dass ich total sexistisch sei, aber wolle das nicht weiter diskutieren.



    [1/3]

    • @Tatzelbrumm:

      Auf der Suche nach einem guten Argument, dass männliche Ingenieure mehr für agency unterprivilegierter Inderinnen getan haben als alle Indologiefakultäten der Welt, bin ich dann auf den Film



      "Period. End of Sentence." [ youtu.be/Lrm2pD0qofM ]



      über Arunachalam Muruganantham gestoßen.



      Den habe ich mir auf meinen Laptop runtergeladen (zunächst ohne Untertitel) und einen anderen Untermieter aus Indien gefragt, ob er den Dialog verstehe.



      Frau Professor Doktor Polit fand diese Unterhaltung überhaupt nicht lustig und hat sich dann mit dem Habitus von Frau Doktor Doktor Potzler darüber beschwert, dass einer von den männlichen Untermietern das Bad überschwemme, so wie das halt Männer in ihrer typischen Achtlosigkeit tun.



      Das hat dann dazu geführt, dass ich bei der nächsten Überschwemmung mit dem Habitus "Mann im Haus" angefangen habe, die über Monate angesammelten Haare aus dem Abfluss zu fischen.



      Das war,



      ganz im Sinne von Putt's Law of Insubordination [ onlinelibrary.wile...9780471788942.ch31 ],



      natürlich ungehörig bis zum Gehtnichtmehr.



      Frau Professor Doktor Polit hat es sich dann doch nicht nehmen lassen, die Verstopfung selbst zu beseitigen.



      Danach war das Problem mit den Überschwemmungen im Bad auch technisch gelöst.

      Frau Doktor Doktor Potzler hat mir dann sehr nahegelegt, mir kurzfristig eine andere (wesentlich teurere) Unterkunft in Tübingen zu suchen.



      Das habe ich dann auch getan, aber vorher habe ich noch das Politbüro der Universität Tübingen besetzt,



      die Langweiligste Eisenbahnstrecke Deutschlands auf dem Küchentisch aufgebaut



      und mit einem Modell der Dampflokomotive mit dem Längsten (Kessel), die letztes Jahr eine Pilgerreise durch den Südwesten der USA gemacht hat (when Big Boys set out to wander),



      eine Guerillaaktion in "male gender performativity" abgezogen, mein Päckchen Reis aus dem Schrank geholt und in die Güterwagen hinter dem Big Boy geladen.



      [2/3]