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Berliner Moscheegemeinden„Viele überlegen zu schließen“

Starke Spendeneinbrüche aufgrund der Coronapandemie gefährden die Moscheegemeinden, sagt Mohammed Hajjaj, Landeschef des Zentralrats der Muslime.

Noch viele Teppiche frei: Auch viele Moscheen in Berlin sind derzeit recht leer Foto: ap
Interview von Alke Wierth

taz: Herr Hajjaj, am heutigen Freitag beginnt das muslimische Opferfest. Wie läuft es in Corona­zeiten ab?

Mohammad Hajjaj: Gebete finden derzeit unter Pandemiebedingungen statt, also den vorgeschriebenen Abstands- und Hygieneregeln und in vielen Gemeinden nur mit vorheriger Anmeldung, um die Daten der Teilnehmenden zu erfassen. Viele Moscheen bieten jetzt mehrere Gebete an, da die Abstandsregel die Zahl der Teilnehmenden begrenzt. Auch die Familienfeiern zum Opferfest werden in diesem Jahr nicht so wie sonst stattfinden können.

Traditionell ist das Opferfest ein Feiertag, bei dem viel gespendet wird. Wie sieht es derzeit damit aus?

Beim Opferfest geht es praktisch um die Reinigung von schlechten Eigenschaften, es geht um Opferbereitschaft und damit auch um Spenden. Wir haben aber derzeit generell einen großen Rückgang. Zum einen, weil zu den Gebeten nur etwa ein Zehntel der Menschen kommen, die sonst teilnehmen – es gibt viele ältere Leute in den Gemeinden, teilweise mit Vorerkrankungen: Sie haben verständlicherweise Angst. Zum anderen, weil auch unsere Gemeindemitglieder unter coronabedingten Einkommenseinbußen wie Kurzarbeit leiden.

Die meisten Moscheegemeinden finanzieren sich ausschließlich aus den Spenden ihrer Mitglieder. Wie klappt das derzeit?

Im Interview: 

Mohammed Hajjaj, 33, ist Landesvorsitzender des Zentralrats der Muslime in Berlin.

Schlecht. Auch die Gemeindemitglieder, die in Notlagen oft großzügig gespendet haben – Geschäftsleute wie Reiseunternehmer oder Gastronomen etwa –, erfahren derzeit Umsatzeinbußen. Wir haben einige Moscheen mit angeschlossenen Geschäftsbetrieben wie Cafés, Friseure oder Lebensmittelgeschäfte. Die konnten die Coronazuschüsse für Unternehmen vom Bund beantragen. Zum anderen haben wir mit dem Senat ausgehandelt, dass alle Moscheegemeinden 3.000 Euro als Sofortzuschuss vom Land Berlin bekommen. Das ist bislang einmalig im gesamten Bundesgebiet.

Reicht das?

Moscheen zum Opferfest

Knapp 100 Moscheen und islamische Gebetsräume gibt es in Berlin. Die meisten finanzieren ihre Miete und die Dienste eines Imam aus den Spenden der Gemeindemitglieder.

Gottesdienste sind aktuell zwar wieder mit uneingeschränkter Personenzahl erlaubt. Der vorgeschriebene Mindestabstand von 1,5 Metern beschränkt die Anzahl der Teilnehmenden allerdings dennoch.

Das islamische Opferfest findet in diesem Jahr vom 31. Juli bis 3. August statt. Es erinnert an Abrahams/Ibrahims Bereitschaft, Gott seinen Sohn Isaak zu opfern. Traditionell findet zum Opferfest auch die Wallfahrt nach Mekka statt. Deren Teilnehmerzahl ist in diesem Jahr von üblicherweise etwa 2,5 Millionen Pilger*innen auf einige Tausend begrenzt worden. (akw)

Die Gemeinden finanzieren Miete, Nebenkosten wie Wasser und Strom und die meisten auch die Gehälter der Imame aus Spenden. Die Hygienemaßnahmen wegen Corona kosten zusätzliches Geld. Da reichen die 3.000 Euro oft nicht einmal für einen Monat. Aber es ist eine Hilfe.

Fürchten Sie, dass einige Berliner Moscheegemeinden die Coronazeit nicht überstehen werden?

Diese Befürchtung habe ich. Die Gemeinden können es sich auf längere Sicht schlicht nicht leisten, Einnahmeeinbußen zu haben, da ja die finanziellen Verpflichtungen auch trotz Corona nicht abgenommen haben. Ich weiß von einer Vielzahl von Gemeinden, dass sie ernsthaft überlegen, zu schließen oder ihren theologisch gut ausgebildeten Imam durch günstigere Laienprediger zu ersetzen. Welche Konsequenzen das mittelfristig haben wird, kann man sich denken. Ich nehme dort auch den Staat in die Verantwortung, gemeinsam mit den Religionsgemeinschaften nach Lösungen zu suchen.

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1 Kommentar

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  • Kurzfristig mag hier staatliche Hilfe angebracht sein. Langfristig muss den Muslimen klar sein, dass Religion in einem säkularen Staat Sache der Gläubigen ist. Ich habe den Eindruck, dass sie das noch nicht so ganz verstanden haben oder nicht verstehen wollen. Siehe die Forderung nach Gebetsräumen in Schulen oder das Aufbehalten wollen des Kopftuchs bei Frauen in öffentlichen Berufen wie Richterin oder Lehrerin oder der gewünschte öffentliche Ruf zum Gebet. Nur weil es hier (noch) gesetzliche religiöse Feiertage, Kirchenglockenläuten oder den Einzug der Kirchensteuer durch den Staat gibt, sollte daraus nicht abgeleitet werden, dass der Religion im öffentlichen Leben oder seinen Institution Raum zusteht. Das Gegenteil ist der Fall. So jedenfalls habe ich die Errungenschaft von dreihundert Jahre Aufklärung verstanden, welche Religion zur reinen Privatsache machen wollte und noch will. Alles andere ist für mich Rückschritt. Ich hoffe, sie haben diese Auffassung auch Herr Mohammed Hajjaj. In ihrem Interview war dazu leider nichts Klärendes zu lesen.