piwik no script img

Berichterstattung über CoronaApokalypse und Schulterzucken

Eine aktuelle Studie kritisiert die Corona-Berichterstattung der Medien. Aber in einer zweiten Welle wird sich auch die Berichterstattung ändern.

Angeblich zu viel Apokalypse in den Medien: Krankentransport mit Covid-Patient Foto: Rebecca Blackwell/AP/dpa

A m vergangenen Samstag meldete das Robert Koch Institut 2034 Corona Neuinfektionen. Das erinnert ans Frühjahr, als in Deutschland Alarmstufe Rot war: Schulen geschlossen, Grenzen dicht, Kontaktbeschränkungen. Es war das Thema Nummer eins in allen Medien. Heute werden ähnliche Fallzahlen an manchen Tagen pflichtschuldig vermeldet wie das Wetter. Ist das fahrlässig?

Die Geschichte der Covid-19-Pandemie sei auch die „Geschichte einer Pandemie der Medien“, haben gerade zwei Wissenschaftler der Uni Passau etwas unglücklich formuliert. Dennis Gräf und Martin Hennig haben die Corona-Sondersendungen von ARD und ZDF untersucht. „Die Verengung der Welt“ heißt ihre Studie, die bemängelt, dass die Berichterstattung geprägt gewesen sei von „Bildwelten apokalyptischer Endzeiterzählungen“: zu viele Bilder von leeren Fußgängerzonen und überforderten Müttern, zu wenig Kritik am Lockdown, zu wenig Berichte über Lösungen.

Die Kritik ist nicht neu, Printmedien bekamen Ähnliches zu hören. Ein Herausgeber der FAZ hat das zurückgewiesen, zwei taz-Kollegen ebenfalls. Auch die Chefs von ARD und ZDF widersprechen der Studie. Es ist in der Tat befremdlich, wenn zwei Wissenschaftler, die mediale Hysterie kritisieren, mit Begriffen wie „Pandemie der Medien“ hantieren – als seien Medien eine Seuche und Verbreitung nicht ihre Aufgabe.

Braucht es wieder Bilder von Leichenbergen?

Trotzdem ist Medienkritik notwendig. Haben die Wissenschaftler Recht, dass die Berichterstattung zu apokalyptisch war? Oder braucht es im Gegenteil nicht gerade jetzt wieder Bilder von Leichenbergen, um uns aus unserer Sorglosigkeit zu holen?

Die Berichte über die Pandemie haben eine Alltäglichkeit bekommen, das ist in den Redaktionen nicht anders als in den Wohnzimmern. Einige Medien scheinen vergessen zu haben, dass Corona doch kein Schnupfen ist. Wie die Zeit, die Anfang August einen Gastbeitrag von Christian Drosten veröffentlichte, in dem er Empfehlungen für den Umgang mit einer zweiten Welle gab, und den erst einmal hinter die Paywall stellte.

Cash statt Informationsauftrag

Informationsauftrag? Nö, Cash! Im Frühjahr jammerte die Zeit über Anzeigenverluste und schickte ihre MitarbeiterInnen auf Kosten der Allgemeinheit in Kurzarbeit. Im Sommer jubelt sie ungeniert über Auflagenrekorde und lässt eben jene Allgemeinheit für den Text des bekanntesten deutschen Virologen bezahlen. Wie gut, dass es den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk mit seinem Drosten-Podcast gibt.

Die Frage, wie tagesaktuelle Medien mit langfristigen Krisen umgehen, stellt sich in der Corona-Zeit nicht zum ersten Mal. Das trifft den Bürgerkrieg in Syrien wie die Finanzkrise. Irgendwann gehen JournalistInnen die Narrative aus, in die eine Krise übersetzt werden kann: das Erzählen von Einzelschicksalen oder aber auch das Duell der Wissenschaftler – Drosten vs. Kekulé, Drosten vs. Bild-Zeitung. So ließ sich Corona bisher „runterbrechen“, wie man in Redaktionen gern sagt.

Sollte eine zweite Welle kommen, werden die Fragen und die politischen Maßnahmen ganz andere sein als zu Beginn der Pandemie. Schon allein deswegen wird auch die Berichterstattung eine andere sein. Den journalistischen Weg zwischen Apokalypse und Schulterzucken zu finden, bleibt trotzdem eine Herausforderung.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Beitrag wurde entfernt.



    Die Moderation

  • Liebe taz, 1. Medienkritik muss für eine Zeitung bei der Selbstkritik beginnen. Stattdessen geht es hier, wo eigentlich Alarmismus in der Berichterstattung das Thema ist, erstmal gegen die ZEIT und deren Finanzierungssystem. Und dann wird als nächstes Problem ausgemacht: Den Journalisten gehen die Narrative aus (wird das auf den Unis heutzutage gelehrt? "Liebe Studierende, eine Tageszeitung ist nichts anderes als eine Netflix-Serie. Wenn Euch kein neuer Twist einfällt um die nächste Nachricht als fesselnde Geschichten zu verpacken, sucht Euch einen neuen Job?" Aus dem selben Seminar stammt (2.) dann wahrscheinlich die Schlussfolgerung "Den journalistischen Weg zwischen Apokalypse und Schulterzucken zu finden, bleibt trotzdem eine Herausforderung." Hallo? Das hat so ein schales Pathos, als würde ein Bäcker sagen: Mein Weg zwischen verkohlten Schrippen und vorgebackenen Teigrohlingen bleibt eine Herausforderung." Die Zone zwischen Apokalypse und Schulterzucken ist doch (hierzulande) kein schmaler, gefährlicher Bergpass sondern eine gar nicht mal so schlecht ausgebaute Straße, in der Handwerk, Offenheit und Genauigkeit, statt Affekte und Scheuklappen den Ton angeben sollten.

  • @Anne Fromm - Respekt für Ihren Text!

  • "Einige Medien scheinen vergessen zu haben, dass Corona doch kein Schnupfen ist." Nun ja, das Problem ist aus meiner Sicht eher, dass sehr viele Medien immer noch so tun, als sei Corona ein Killervirus à la Ebola. Da werden nun seit Wochen täglich steigende Infiziertenzahlen gemeldet, die Angst und Schrecken verbreiten. Man muss in den Medien aber lange suchen, um Zahlen zu finden, wie viele Menschen wirklich (ernsthaft) erkranken. Dabei sollte das doch der maßgebliche Wert sein, um zu beurteilen, wie bedrohlich die Lage ist.

    • @Tillmann Elliesen:

      Die erste Welle der spanischen Grippe hat in den USA weniger als die Hälfte der Opfer gekostet, die die erste Welle von Corona gekostet hat.

      en.wikipedia.org/w...wave_of_early_1918

      Und jetzt legen Sie doch bitte nochmal dar, wie unfassbar harmlos das Virus und wie unfassbar übertrieben die Berichterstattung ist.

      • @Kaboom:

        1.) Habe ich irgendwo behauptet, das Virus sei "unfassbar harmlos"?



        2.) Im Jahr 1918 lebten in den USA etwa 103 Millionen Menschen, also etwa ein Drittel der heutigen Bevölkerung. Gemessen an der Bevölkerungszahl heute sind an Covid-19 also bislang weniger Menschen gestorben (0,054%) als während der ersten Welle der Spanischen Grippe (0,073%).



        3.) In Deutschland sind in den vergangenen 60 Tagen 379 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben. Das sind im Durchschnitt gut sechs Menschen pro Tag. Derzeit liegen auf Intensivstationen in ganz Deutschland etwa 250 Covid-19-Patienten. Das sind 250 zuviel und es sind 379 Tote zuviel. Aber das sind keine Zahlen, die auf eine ernste Gesundheitskrise hindeuten. Die Zahlen der Neuinfektionen allein, mit denen wir jetzt wieder auf allen Kanälen bombardiert werden, liefern ein unvollständiges Bild.

        • @Tillmann Elliesen:

          @Tillmann Elliesen



          Diese Zahlen der Anzahl Corona-Verstorbenen bzw.Corona-Intensivpatienten - woher haben Sie die? Ich wollte dies auch mal recherchieren, habe aber zugegebenermaßen nicht sehr intensiv danach gesucht.



          Man erfährt sehr leicht, wieviel Infizierte es gibt/gab, wieviel Menschen insgesamt an/mit Covid19 gestorben sind, aber diese aktuellen Zahlen des derzeitigen Status habe ich jedenfalss nicht gefunden.

  • Zu wenig über Lösungen berichtet? Welche Lösungen sind gemeint?