Bürgerinitiative über Klimanotstand Kiel: „Ein Minimum der Ziele erreicht“
Kiel hat 2019 den Klimanotstand ausgerufen, ein Erfolg der entsprechenden Bürgerinitiative. Mitstreiterin Annegret Erb sagt, warum sie weitermacht.
taz: Frau Erb, wie pathetisch ist es, den Klimanotstand auszurufen, so wie es die Stadt Kiel getan hat?
Annegret Erb: Wie pathetisch das ist, weiß ich nicht. Es hat jedenfalls letztes Jahr extrem viel Spaß gemacht, weil wir es als Bürgerinitiative zusammen mit vielen NGOs geschafft haben, innerhalb kurzer Zeit eine Resolution zum Klimanotstand in Kiel auszurufen.
Notstand klingt nach Militär und Sonderbefugnissen der Exekutive.
Ja, aber das liegt vielleicht auch an der Übersetzung aus dem Englischen „Climate Emergency“. Es ist natürlich nicht zu vergleichen mit dem Notstandsgesetz. Durch den Begriff wird einfach klarer, dass, wenn wir so weitermachen, es nur noch schlimmer wird. Wir müssen jetzt anfangen, sonst erwartet uns der Donnerschlag.
Das heißt, die Ausrufung des Notstandes ist mehr als ein Symbol?
Ja, es soll darauf aufmerksam machen, dass wir mit dem Klima am Kipppunkt sind.
Welche Folgen hatte es, den Notstand auszurufen?
Die Aufmerksamkeit ist gestiegen. Vor allem die der Stadtpolitik. Der Rat hatte bereits einen Masterplan Klimaschutz ausgearbeitet, aber es ist zu wenig passiert.
Ist es Ihr Verdienst, dass der Notstand ausgerufen worden ist?
Es ist nicht mein alleiniger Verdienst, aber der der Gruppe, einem Bündnis von Menschen, die ein Interesse an Klimaschutz besitzen.
Kiel hat einen Preis als nachhaltigste Großstadt Deutschlands gewonnen. Löst sich die Bürgerinitiative „Klimanotstand Kiel“ jetzt auf?
Nein, überhaupt nicht. Wir können sagen: „Leute, ihr könnt euch jetzt nicht darauf ausruhen.“ Es wurde schließlich nur ein Minimum der Ziele erreicht. Es wäre Unsinn, die Initiative deswegen aufzulösen. In diesem Zusammenhang organisieren wir jetzt auch einen Klimatalk im September, um gemeinsam mit der Politik zu klären, wo wir noch anpacken müssen. Wir wollen alle Kieler*innen motivieren, Klimaschutz zu machen.
Wann haben Sie entschieden, fürs Klima zu kämpfen?
Als die „Fridays For Future“-Bewegung aufkam und mir das Problem vor Augen geführt hat. Und es lag auch an Greta, ganz klar.
Welches Anliegen bereitet Ihnen die meisten Kopfschmerzen?
Das Thema Mobilität. Der hohe Auto- und Pendlerverkehr in Kiel, der nicht zurückgeht. Die Parkraumverdichtung in der Stadt. Das raubt die Lebensqualität – durch Lärm, durch zugestellte Bürgersteige.
Dann ist der Ausbau der Fahrradwege in Kiel nur ein Ablenkungsmanöver?
Nein, das würde ich so nicht behaupten. Da würde ich die Stadt auch loben. Kiel hat nicht so hohe Etats und dennoch viel für den Radverkehr getan . Aber es ist eben auch der Mobilitätsmix. Ich finde, dass Busfahren auch umsonst sein sollte, nicht nur für Studenten, die ein Semesterticket haben, um mehr Leute vom Auto weg zu kriegen.
Wenn Sie sich entscheiden müssten: Autofreie Innenstadt in Kiel oder lebenslang kostenfrei in Ihrem Lieblingsrestaurant essen gehen?
Ganz ehrlich, für die autofreie Stadt in Kiel. Wenn man in der Innenstadt lebt, ist die Lärmbelastung extrem hoch. Es gib Pendlerverkehr und große Supermärkte werden hier gebaut. Das ist unglaublich! Ich bin auf dem Land groß geworden und lerne das erst jetzt zu schätzen. Derzeitig arbeite ich aber mit meinem Mann an einem Projekt „Tag des guten Lebens“, wo es um einen autofreien Sonntag geht, so wie es in Köln bereits in einigen Stadtteilen umgesetzt wird.
Es gibt ja auch noch andere Probleme wie Rassismus, Arbeitslosigkeit oder Wohnungsnot. Ist Klimaschutz ein Hobby der Oberschicht?
Nein, Klimaschutz ist für jeden da. Migration hat auch mit Klimaschutz zu tun. Wenn wir den Klimawandel nicht verlangsamen, dann wird die Migration sich noch viel mehr verstärken. Man sieht auch, dass Menschen, die viel Geld haben, eher weniger für den Klimaschutz tun. Größere Autos kaufen, Luxusreisen machen, viel fliegen. Das sind nicht die Menschen, die wenig Geld haben.
Was interessiert es Otto Normalverbrauchern, wenn ein exotisches Tier, dessen Namen man nicht kennt, wegen des Klimawandels auf einer unbekannten Insel ausstirbt?
Diese Dürre, mit der wir derzeitig kämpfen, hat auch was mit Klimawandel zu tun. Das passiert auch hier vor der Haustür.
Die Aktivistin hat in Agrarwirtschaft promoviert und arbeitete jahrelang im Bereich Umweltmanagement. Neben der Arbeit bei ALTE MU Impuls-Werk e. V. engagiert sie sich ehrenamtlich für „Klimanotstand Kiel“.
Ist ja eigentlich ganz schön, wenn es ein bisschen wärmer ist …
Es ist viel zu extrem geworden. Wir haben zu viele Wetterextreme. Nicht nur Dürre, sondern auch Stürme, die wir hier in Kiel zu spüren bekommen.
Wie bekommen Sie persönlich den Spagat zwischen politischem und persönlichem Handeln hin?
Ich versuche, Vorbild zu sein, beispielsweise für meinen Sohn. Er wurde nicht mit dem Auto, sondern immer mit dem Rad zur Schule gefahren. Wir fliegen auch nicht, sondern machen dann eher mal Zeltreisen wie Wildcamping. Ich bin auch nicht der Typ, der nach Mallorca muss.
Einmal angenommen, Ihre Freunde fliegen übers Wochenende nach Barcelona. Was tun Sie?
Ich kann sie davon nicht abhalten. Das wäre auch zu dogmatisch. Aber ich würde ihnen hinterher sicher sagen, was dieses kurzzeitige Fliegen mit dem Klima macht.
Welche persönlichen Klimasünden können Sie nicht vermeiden?
Wir werden hier außerdem mit Fernwärme versorgt, die nicht regenerative Energie enthält, das kann ich leider nicht vermeiden.
Ist es Ihnen peinlich, wenn man Sie auf Ihr eigenes Verhalten anspricht?
Nein, das ist mir nicht peinlich.
Von wem hören Sie häufigsten, dass Sie mit Ihrem Aktivismus nerven?
Von niemandem. Es ist eher Bewunderung. Man kann ja auch im Kleinen etwas bewirken. Ich merke eher, dass ich Leute dazugewinne, als dass Leute sagen, ich soll den Mund halten. Zumindest im eignen Umfeld.
Das ist ja auch leichter als bei Fremden.
Nein, da kann ich auch eher sagen, dass da Verständnis zurückkommt, wenn man mit den Menschen diskutiert. Auch wenn nicht zu 100 Prozent.
Sind sie manchmal des Kämpfens müde?
Manchmal schon. Gerade wenn ich merke, dass es in der Politik nicht vorwärts geht – oder zwei Schritte zurück. Ich hab dann das Gefühl, dass ich die Geduld verliere. Aber derzeit bin ich recht glücklich, da unsere Organisation eng mit dem Kieler Umweltschutzamt zusammenarbeitet und da auch einbezogen wird als Initiative.
Haben Sie schon mal die Hoffnung verloren?
Nö, das kann ich so überhaupt nicht sagen.
Was motiviert Sie weiterzumachen?
Die Gruppenarbeit und dass man schrittweise immer wieder was bewirken kann – und man kann tatsächlich was bewirken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr