Rechter US-Sender OAN: Donald TV
One America News ist der Lieblingssender von Donald Trump. Seine Reichweite ist noch überschaubar. Das könnte sich nach der Wahl 2020 aber ändern.
Der Präsident sagt „O-A-N“, als er einer brasilianischen Korrespondentin das Wort abschneidet: „OAN, bitte!“ Donald Trumps Finger kreist über dem briefing room im Erdgeschoss des Weißen Hauses, wo die Pressekonferenzen abgehalten werden. Man kann die Szene live im Fernsehen mitverfolgen. Trump macht bei einer jungen Frau Halt: Chanel Rion ist eine seiner FavoritInnen.
Wie schon oft serviert sie ihm auch an diesem Montag wieder ein Thema nach seinem Geschmack. Kurz bevor Joe Biden seine Vizepräsidentin vorstellt, will Rion etwas über die „Verbrechen“ von Obamas Regierung hören. Der Präsident strahlt. Behauptet, er sei von seinem Amtsvorgänger „ausspioniert“ worden, sagt, es sei „vermutlich Verrat“ gewesen. Und etikettiert den imaginären Vorgang als „das politische Verbrechen des Jahrhunderts“. Die JournalistInnen im Raum gucken sich peinlich berührt an. Der Sender One America News überträgt live. Und der Präsident schreitet stolz aus dem Raum.
OAN, oder vollständig OANN (One America News Network), ist älter als Trumps Präsidentschaft. Seit seiner Gründung im Jahr 2013 bemüht sich der Sender aus dem kalifornischen San Diego, Fox News rechts zu überholen. In den ersten Jahren seiner Existenz verbreitet der Sender zwar schwere – und stets unbewiesene – Vorwürfe gegen die Demokratin Hillary Clinton: Sie soll unter anderem Menschenhandel organisiert und den Mord an einem ihrer Mitarbeiter bestellt haben. Aber erst 2015, als Trump davorsteht, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen zu erklären, schafft OAN den Sprung in eine etwas größere Öffentlichkeit.
In jenem Wahlkampf gibt Robert Herring, der Eigentümer von OAN, die Parole aus, dass nur Umfragen veröffentlicht werden dürfen, nach denen Trump siegen wird. Herring ist mit Elektronikersatzteilen reich geworden. 2003 gründet er Herring Networks und eröffnet als Erstes den Lifestylesender Wealth TV. Sein Sohn Charles übernimmt die Leitung. Ein Jahrzehnt später kommt mit OAN der Themenbereich Politik dazu.
Weißes, christliches, ländliches Amerika
Die beiden Herrings sind auf Trump-Linie: Unter anderem strahlen sie seine Massenveranstaltungen in Sportstadien quer durch das Land live und gratis aus. Nachdem Trump gewählt ist, revanchiert er sich für die Gefälligkeiten. Als die Korrespondentenvereinigung ein Rotationsprinzip im briefing room einführt, um wegen Covid-19 freie Plätze zwischen den JournalistInnen und somit notwendigen Abstand zu ermöglichen, kommt OAN-Korrespondentin Rion auch an jenen Tagen, an denen sie draußen bleiben müsste. Sie sagt dann, sie sei Gast des Weißen Hauses.
Trump veröffentlicht Tweets, in denen er unter seinen über 80 Millionen Followern für OAN wirbt. „Fox News ist besser als CNN“, schreibt er, „aber wann immer es möglich ist, schaue ich OAN.“ Bei anderer Gelegenheit twittert er Falschmeldungen von OAN in die Welt. So etwa im Juni, als er OAN zitiert, wo ohne Beweis behauptet wird, ein 75-jähriger friedlicher Demonstrant, den ein Polizist in Buffalo so brutal auf den Boden geschubst hat, dass sein Schädel gebrochen ist, sei ein „Agent Provocateur der Antifa“.
Wer OAN einschaltet, hat die Garantie, Propaganda zu bekommen. Der Sender wirbt zwar mit Slogans wie „Keine Spekulation, keine Meinung, nur Fakten und Quellen für glaubwürdige Nachrichten“. Aber in seiner Berichterstattung ist nicht einmal der Versuch von Neutralität zu erkennen. OAN liefert ein Bild der USA, wie es Trump-Fans unter ihren roten Schirmmützchen mit der Aufschrift „Make America Great Again“ schätzen.
Es ist das Bild eines Landes, das weiß, christlich, mehrheitlich kleinstädtisch oder ländlich ist und geschlossen hinter Trump steht. Statt Nachrichten zu liefern, schürt OAN Empörung. Die Interviewten sind Trump-Getreue. Schwarze Menschen kommen, wenn überhaupt, in der Sportberichterstattung vor oder dann, wenn es um Plünderungen geht. Black Lives Matter ist bei OAN eine „kriminelle Organisation“, die „Naziterror-Taktiken“ benutzt. Die Furcht vor dem Coronavirus, mit dem bis zu Anfang dieser Woche fünf Millionen Menschen in den USA infiziert sind, und vor Covid-19, woran hier alle 80 Sekunden jemand stirbt, ist laut OAN völlig übertrieben. Schulen könnten wieder geöffnet werden. Und Masken seien Freiheitsberaubung. OAN vergleicht die Zahl der Virusopfer mit der abgetriebener „Kinder“.
Nachahmer von Fox News
Eine Aufsicht darüber, was Medien tun dürfen und wo Journalismus aufhört und Propaganda anfängt, gibt es in den USA nicht. Das würde mit dem ersten Verfassungszusatz kollidieren, der die Meinungsfreiheit garantiert. Und gerade konservative Sender sind ohnehin davon überzeugt, dass der Markt am besten reguliert. Flüche sind verboten (und werden weggepiepst), aber Inhalte – selbst wenn sie frei erfunden sind – dürfen nicht reglementiert werden. Unter Trump, der Printmedien und TV-Sender als „Fake News“ beschimpft, ist das Misstrauen gegen die Medien weiter gestiegen. Die Kabelsender sind geschlossene Anstalten geworden. Ihr Ton ist parteiischer denn je.
Fox News lädt zu seinen Diskussionsrunden zwar weiterhin einzelne Liberale ein. Aber die haben die Rolle des Punchingballs, auf den alle anderen verbal einschlagen. Bei OAN sind die Rechten ganz unter sich. Wenn doch einmal ein Zwischenton vorkommt, korrigieren die ZuschauerInnen den „Fehler“ so, wie sie es bei Trump gelernt haben. Als ein Notfallarzt Anfang August auf OAN sagt, es gebe „gewisse Daten, wonach Masken schützen können“, reagieren ZuschauerInnen wutschnaubend mit den Worten: „Fake News!“
Für den Medienhistoriker Brian Rosenwald ist OAN die Fortschreibung dessen, was in den 80er Jahren mit den rechten sogenannten talk radios begonnen und was seit den 90er Jahren mit dem rechten Fernsehsender Fox News groß geworden ist. „Der Erfolg von Fox News hat Nachahmer angespornt“, sagt er, „in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der rechten Medien in die Höhe geschnellt, und sie sind extremistischer geworden.“
Anders als 2016, als OAN geholfen hat, unschlüssige WählerInnen von den Vorteilen des Außenseiters Trump zu überzeugen, geht der Präsident in die Wahl 2020 als Markenzeichen. Damit kommt OAN dieses Mal eine andere Rolle zu, sagt Rosenwald, nämlich „die Wähler zu überzeugen, dass der Präsident unfair behandelt wird, und sie zurückzuhalten, wenn sie Zweifel haben“. Um die moderaten RepublikanerInnen kümmert OAN sich nicht. „Sie sind eine vom Aussterben bedrohte Art in der politischen Landschaft geworden“, sagt der Medienhistoriker und Autor des Buches „Talk Radio’s America“.
Der Zenit ist noch nicht erreicht
Trotz Trumps Hilfe ist OAN noch relativ klein. Nur 35 Millionen Haushalte haben den Sender in ihrem Kabelangebot. 767.000 Personen haben ihn kostenpflichtig im Internet abonniert. Die einzigen Ereignisse, die OAN grundsätzlich gratis überträgt, sind Trump-Meetings. Da diese jedoch wegen des Virus ausfallen, gibt es derzeit keinen verlässlichen Livestream. Laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen Media Research hatte OAN im April und Mai vergangenen Jahres in den großen Metropolen des Landes durchschnittlich nur rund 14.000 ZuschauerInnen, während Fox News 631.000 anzog (CNN 341.000, MSNBC 558.000).
Der politische Kabarettist John Oliver warnt dennoch davor, OAN zu unterschätzen. „Ignorieren wäre gefährlich“, sagt er, „giftige kleine Dinge können schnell wachsen.“ Auch Medienhistoriker Rosenwald glaubt nicht, dass OAN seinen Höhepunkt erreicht hat. Zwar hat der Sender sein Schicksal komplett mit Trump verbunden. Dessen Wahlniederlage im November könnte ihn dennoch stärken. Der rechte Talk-radio-Pionier Rush Limbaugh hat in den 90er Jahren gesagt, dass es für Außenseiter einfacher sei, Steine zu werfen und Rebell zu sein.
„Wenn wir Joe Biden im Weißen Haus bekommen, wird die Nachfrage nach konservativen Medien steigen“, prognostiziert Rosenwald, „Leute in Iowa werden ihre Werte bedroht sehen. Ihnen kann OAN eine Stimme geben“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen