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Neuauflage der „Männerphantasien“Angst essen Männer auf

Kommentar von Georg Diez

Theweleits Buch ist so aktuell wie vor 40 Jahren. Die sexualisierte Form der Gewalt von Männern gegen Frauen ist Teil des alltäglichen Diskurses.

Freikorpssoldaten in Berlin 1923 Foto: imago

W enn man Klaus Theweleits Buch „Männerphantasien“ liest, fast 1.300 Seiten, 1977/1978 zum ersten Mal erschienen und in der aktuellen wuchtigen Neuausgabe in einem schönen pinkfarbenen Umschlag, dann ist es, als ob man 100 Jahre in der deutschen Geschichte zurücksteigt, zur Kriegsverherrlichung, zu den Fronterlebnissen und Umsturzfantasien der Freikorps, was ziemlich direkt zum Nationalsozialismus und zum millionenfachen Mord an den Juden Europas führte.

Und man landet auf den Kommentarspalten und auf den Plattformen der digitalen Welt. Denn die Gewalt, von der Theweleit erzählt und dabei den Faschismus erklärt, diese Gewalt ist ja nicht verschwunden; sie hat nur eine andere Form und Gestalt: die Gewalt von Männern gegen Frauen, die sich darin äußert, dass – das sind einige der Beispiele Theweleits – die Namen der eigenen Frauen selbst in intimen männlichen Selbstbeschreibungen, Briefen, Tagebüchern nicht genannt werden.

Dass die Frauen zu Objekten werden, der Begierde oder des Hasses, diese Angst und Aggression von Männern, die Frauen körperlich vernichten wollen, auslöschen, durch ihre Worte und Taten. Und weil Theweleits Buch so präzise ist in der Beschreibung dieser Wut, die sich aus vielen Quellen speiste und speist und im Fall der Freikorps eher eine Form der gebildeten oder sogar höheren Schichten war – deshalb gelingt, leider, ziemlich mühelos der Sprung von den Prägungen und Pathologien der 1920er zu denen der 2020er Jahre.

Theweleit wollte, knapp 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, eine andere Grundlage für die Analyse des Faschismus finden, eine andere Faschismus-Theorie, die den Körper, die Lust und den Ekel zum Anfang dieser Analyse machen – und nun, mehr als 40 Jahre nach Veröffentlichung, ist die sexualisierte Form von Gewalt von Männern gegen Frauen wieder so offensichtlich, so weitreichend bis in bürgerliche Medien hinein.

Georg Diez

war lange Kolumnist für „Spiegel Online“ und arbeitet in Zukunft für einen Thinktank, der sich mit Fragen der ökologischen und ökonomischen Transformation beschäftigt. Zuletzt erschien, zusammen mit Emanuel Heisenberg, das Buch „Power to the people. Wie wir mit Technologie die Demokratie neu erfinden“.

Sprung von den 1920er Jahren zu 2020

Sie ist so selbstverständlich eine Waffe in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung, dass das Faschistische in unserer Zeit, das Faschistische in diesen Mechanismen nackt und bedrohlich vor uns tritt. Theweleit beschreibt diese Mischung aus Verklemmtheit und Enthemmung, die unterdrückte und eskalierende Sexualität, die Vision eines Lebens, das im Kampf und in der Feindschaft geführt wird und letztlich im Heldentod, in der Auslöschung enden muss.

Ernst Jünger etwa, gern heute wieder entpolitisiert rezipiert, der auf der Straße eine Frau anspricht, die Ehefrau eines Arbeiters: „Es ist eine Stunde des Vergessens, die ich dem Kriege stehle. Ich bin ihr Mann, dem Feuerkreis entronnen und sitze mit ihr Hand in Hand, still und friedlich vorm Kamin. Morgen, ja morgen vielleicht wird mir das Hirn in Flammen zerspritzen. Sei’s drum“, schreibt er, und schließlich: „Ich gehe über die Brücke zur Stadt zurück, die Hände in den Manteltaschen, den Kopf gesenkt. Bei jedem Schritt klirren die Sporen.“

Männliche Einsamkeit, männliche Verlorenheit, die zu männlicher Aggression führt: Die Verbindung von Verachtung für die Frau, män­nerbündische Verbundenheit, Widerstand gegen Demokratie, Pluralismus, Emanzipation bis hin zu einem offen rassistischem Weltbild, das sind einige der Faktoren, die Theweleit anhand von vielen Texten analysiert, geschrieben von Männern, die immer im Kampf sind, so klingt das.

Tage­bücher, Briefe, Romane, Quellen des Hasses, manchmal des versteckten Selbsthasses, ausge­tragen über den Körper, den Körper der Frau, die als Objekt gesehen wird, entsexualisiert und verklärt oder übersexualisiert und verdammt, als Feind.

Auto eines Incel-Attentäters in Toronto, der 2018 zehn Frauen totfuhr Foto: Chris Donovan/reuters

Bei der Bewegung der Incels – den „involuntary celibates“, den unfreiwillig Sexlosen also, vor allem in den USA und Kanada, ein „männliches und rassistisches Online-Ökosystem“, wie es das Southern Poverty Law Center nennt – etwa spielt die Dynamik, die auch die Freikorps antrieb, eine zentrale Rolle. Seit 2014 gehen mindestens 44 Tote auf das Konto von Männern, die sich als Mitglieder bezeichnet haben, etwa der Angriff auf einen Massagesalon in Toronto im Februar 2020

Männliche Einsamkeit führt zu männlicher Aggression

Theweleit schildert für die Freikorps der 1920er Jahre, wie aus Sprache Gewalt wird, wie sich ein Denken in diesen „soldatischen Männern“ formt, wie er sie nennt, um nicht immer von Faschisten zu sprechen, ein Denken, das zu Taten führt, individuellen und dann mehr als das, Diktatur, Krieg, Massenmord – Theweleit interessiert die spezifische Gewalt, die in diesen Männern steckt, die aus ihren Ängsten, Frauenbildern, Mütterbildern stammt.

Und eine Form dieser Gewalt ist heute das, was Männer, soldatische Männer im Internet gegen Frauen unternehmen. Gerade hat die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer eine einstweilige Verfügung gegen den Schriftsteller Akif Pirinçci in einem solchen Fall erwirkt, und diese Art der sexualisierten Hate Speech gegen Frauen hat System in der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung.

Eine Form der Menschenverachtung, die eben, und dafür ist die Lektüre von Theweleits wichtigem Buch so erhellend, in vielem nah ist an der Krassheit der Freikorps, in verschiedensten Formen, die Liste ist lang. Da ist Ricarda Lang aus dem Bundesvorstand der Grünen, die von der AfD attackiert wird, nicht über Argumente, sondern über ihren Körper; da ist der digitale Mob, der sich auf Natascha Strobl stürzt, Expertin in Sachen Rechtsextremismus, Hass angefacht auch von Medien.

Theweleit, so beschreibt er es in seinem Nachwort, unternahm „den Versuch zu ergründen und zu beschreiben, warum es Körper gibt, überwiegend männliche Körper, die nicht leben können, d. h., die nicht atmen können, ohne irgendjemand oder irgendwas aus dem Weg zu schaffen; zum Verschwinden zu bringen“. Diese Definition von Faschismus ist gültig und nützlich, um die gegenwärtigen Verhältnisse zu verstehen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde am 25. August 2020 um 13:27 Uhr geändert. Es handelte sich nicht um einen Prozess, sondern um eine einstweilige Verfügung gegen den Schriftsteller Akif Pirinçci.

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12 Kommentare

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  • Nach der Beschreibung ist es kein Buch über Männer sondern ein politisches Buch über den Mann im Faschismus. Ein Buch über Faschisten.

    Für die deutsche Sicht auf den Mann fehlt mir da die der realsozialistisch sozialisierten.

    Wie konnte es beispielsweise dazu kommen, dass heute der realsozialistisch sozialisierte Ossimann zu so sehr viel höheren Anteilen eine rechtsextreme frauenfeindliche Partei wählt?

    Welche im Realsozialismus gezüchteten Gewaltfantasien waren es, die da nach der Wende aufbrachen?

    • @Rudolf Fissner:

      Na - das wär doch’n Thema für Ihre Diss! Gellewelle. Nur Mut. Das wird.



      &



      Wir dürfen gespannt sein. Newahr.



      Normal.

      unterm—— servíce —



      Das Theweleit-Teil ist von 1977/78



      Rudolf huste mal: Augstein alte Kiffnase



      www.spiegel.de/spi...nt/d-40680546.html

  • Es gibt allerdings auch eine ganze Menge Männer, welche ihre Gewalt im langjährigen Familienverband ausüben. Der bekannteste Fall ist der des Josef Fritzl. Mir scheint eine wichtige Grundlage der Männergewalt die ebenso massenhaft verbreitete Gewalt gegen Kinder zu sein. Nachfolgend identifizieren sich viele mit den Misshandelnden um ihre Erfahrungen besser verdrängen zu können und übernehmen die Verhaltensnormen um sich an den durch Sexismus und Rassismus Markierten "schadlos" zu halten.

  • Danke & vor allem an Klaus Theweleit - altes Schlachtroß. Stay sane & Masel tov

    • @Lowandorder:

      Gründen wir eine Lesegruppe?

      • @Jim Hawkins:

        Sehnse. Einen Mitleser hamse schon.



        Da kommt doch sicher Freude auf - wa!

        • @Lowandorder:

          Yep.

          Und: Es wäre das zweite Mal.



          Das erste Mal lasen wir das Werk in den 80ern, um die autonomen Frauen zu beeindrucken.

          • @Jim Hawkins:

            Mit Verlaub - he techné - s.o. - 🤼‍♂️ -

  • Theweleit spricht auch ´77 schon vom "weißen Terror" das finde ich bemerkenswert!

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @the maxx:

      der begriff "weisser terror" bei theweleit 1977 bezieht auf das gegenstück zum sog "roten terror" im kontext des revolutionären krieges gegen die "weisse armee" bzw die "weiss-gardisten", die konterrevolutionäre, zu beginn der sowjetunion, nicht auf den white-power-terror der heutigen zeit

  • Danke Georg Dietz.

    Um diesen Furor an Männerphantasien in Uniform und vollen Wichs von Freikorps bei ihrer Selbstermächtigung zu gemeinschaftlichen Raub, Vergewaltigung, Plünderung, Mord, Totschlag mit und ohne Befehl zu ermessen, braucht es mehr als 100 Jahre Rückschau, braucht es den Blick auf die Berliner Kongokonferenz 1884/85 unter Schirmherrschaft Reichskanzler Bismarcks, nach deren Ergebnissen die Wirtschaft unter dem Schein “Verbot der Sklaverei“ in europäischen Großmächten, USA Druck machte, privat koloniale Niederlassungen, Ansiedlungen europäisch-amerikanischer Unternehmen, Handelshäuser, Banken, Reeder, Versicherungen in Afrika, Arabien, Naher Osten, Asien, Kaukasus, Indien, Ozeanien, Karibik, Süd- , Mittelamerika patriotisch zu finanzieren, unter dem Effizienzgebot das Ausbeuten der Ressourcen an Arbeitskraft, Rohstoffen dieser Kolonien, unter Schutz staatlicher Kolonialtruppen zu stellen, damit rückwirkend ihre globale „Schattenwirtschaftsherrschaft“ des Unrechts, Unterdrückung zu legalisieren, Zwang zum Flottenbau zulasten der Länder auszulösen. Damit war weltweit ein unseliges Feld geschaffen, menschliche Abgründe ohne Gefahr fürchten zu müssen, daheim oder sonst wo zur Rechenschaft gezogen zu werden, täglich auszuloten und in Herrenrassismus Modus sich Komplizen anzudienen, welche anzuheuern, Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus Profit oder psychopathisch getriebenem Vergnügen ins Uferlose mit dem Ergebnis zu treiben, dass Gewalt, Willkür zur Sucht wird, deren Dosierung latent anschwillt.

    Hannah Arendt beschreibt diese Männer-; Lügenphantasien und noch viel mehr in ihrer Analyse der Zustände in den USA nach Vietnamkrieg, Watergate Skandal 1975, Amnestierung Richard Nixons durch seinen republikanischen Nachfolger Gerald Ford im Präsidenten Amt, wenn Lügen von Amtswegen zur alltäglichen Gewohnheit wird.



    www.nybooks.com/ar...entennial-address/



    Home to Roost: Eine zweihundertjährige Adresse



    Hannah Arendt

  • Hervorragender Text. Es wird viel zu wenig über diese allgegenwärtige, Gewalt gesprochen, weil sie normalisiert ist.

    Schulterzucken: "Männer sind eben so", Testosteron etc., und man geht wieder zur Tagesordnung über, weil zwei bis drei getötete Frauen pro Woche und (Ex)-Partnerschaft es nicht wert sind, dass man sich darüber einen Kopf macht.