Großbritannien zählt jetzt anders: Weniger Coronatote in England
In England wird nicht mehr jeder Tote als Covid-19-Toter gezählt, der irgendwann davor mit Corona infiziert war. Damit sind es über 5.000 Tote weniger.
Hintergrund ist, dass die vier staatlichen Gesundheitsbehörden von England, Schottland, Wales und Nordirland bislang unterschiedlich zählten. In Schottland, Wales und Nordirland musste man spätestens 28 Tage vor dem Tod positiv auf das Coronavirus getestet worden sein, um in die Statistik einzufließen. In England gab es dieses Zeitlimit nicht: Jeder Tote, der schon mal mit Corona infiziert war, zählte für die Behörde Public Health England (PHE) als Covid-19-Toter, unabhängig von der aktuellen Todesursache.
Je länger die Pandemie andauert, desto mehr bläht diese Methode die Zahlen auf. „Wer im März von Covid-19 genesen war und im Juli in einem Autounfall starb, zählte als Coronavirustoter“, analysiert BBC-Gesundheitsexperte Hugh Pym.
Weil dadurch die Todeszahlen in England im Juli hartnäckig hoch blieben, während sie überall sonst in Europa und auch in Schottland auf nur noch wenige am Tag sanken, ordnete der britische Gesundheitsminister Matt Hancock am 17. Juli eine Überprüfung an.
Wie lange gilt eine Corona-Infektion als Todesursache?
Die Ergebnisse der Überprüfung, die PHE am Mittwoch veröffentlichte, sind eindeutig: Von insgesamt 42.072 in England registrierten Coronatoten bleiben noch 36.695 übrig, also genau die 5.377 weniger, um die die Gesamtzahl jetzt nach unten korrigiert wurde. Der Trend ist klar: In der Woche zum 24. Juli gab es in England demnach nicht 442 Coronatote, sondern 111. Der aktuelle Tageswert im 7-Tages-Durchschnitt für ganz Großbritannien liegt jetzt nicht mehr bei 55 Toten, sondern bei 20.
Nach britischen Berichten bringt die neue 28-Tage-Maximaldauer zwischen Testergebnis und Tod Großbritannien auf Linie mit anderen Ländern. In Deutschland gibt es diese Frist nicht, teilt das Robert-Koch-Institut auf Anfrage mit. Gezählt würden Tote, „bei denen ein laborbestätigter Nachweis von SARS-CoV-2 vorliegt und die in Bezug auf diese Infektion verstorben sind“.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) „sollte zwischen Erkrankung und Tod kein Zeitraum völliger Genesung stehen“. Wer an Covid-19 erkrankte, gesund wurde und später an etwas anderem stirbt, ist demnach kein Covid-19-Toter. Und 99 Prozent aller Erkrankten sind nach 28 Tagen entweder wieder gesund oder tot.
Britische Gesundheitsexperten und Mediziner begrüßten die Revision als überfällig. Doch wird noch auf Ungenauigkeiten hingewiesen. Einige Covid-19-Erkrankungen währen länger als 28 Tage – führen sie später zum Tod, fallen sie nun aus der Tagesstatistik. Zugleich könnten Menschen auch innerhalb von 28 Tagen nach ihrem positiven Coronatest an etwas anderem sterben – dann werden sie trotzdem als Covid-19-Tote geführt.
Dieses Problem gibt es auch in Deutschland. Parallel zu den täglichen Zahlen nach der revidierten Methode will Englands Gesundheitsbehörde daher eine zusätzliche erweiterte Wochenstatistik führen.
An einem ändert sich nichts: Großbritannien zählt mehr Coronatote als jedes andere Land in Europa. Doch Experten sind sich einig, dass die genaue Zählung sehr schwierig ist. Die Debatte, ob Menschen „an“ oder bloß „mit“ Corona gestorben sein müssen, um als Coronatote zu gelten, ist so alt wie die Pandemie. Jetzt kommt mit zunehmender Dauer die Frage hinzu, ab wann eine zeitweilige Infektion nicht mehr als Todesfaktor gilt. Denn sonst läge die Covid-19-Sterblichkeitsrate langfristig bei 100 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!