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Wohnungsbau in HamburgWohnraum versus Wilder Wald

In Wilhelmsburg sollen auf einer Waldfläche neue Wohnungen entstehen. Die Initiative „Waldretter“ will das verhindern.

So soll das Spreehafenviertel mal aussehen Foto: IBA Hamburg

Hamburg taz | Vor den Cafés in der Veringstraße in Wilhelmsburg sitzen Menschen vor ihren Laptops oder schlürfen Cappuccino. Den Ruf, abgelegen und uninteressant zu sein, hat der Stadtteil schon lange nicht mehr. Es gibt Gemeinschaftsgärten, Kumpir-Läden und farbenfrohe Architektur. Für letzteres ist vor allem die IBA Hamburg verantwortlich, die als Tochterunternehmen der Stadt unter anderem die Neubauten am Bahnhof Wilhelmsburg gestaltet hat.

Doch noch aus einem anderem Grund ist Wilhelmsburg inzwischen beliebt: Man ist schnell in der Natur. Elbkanäle durchziehen das Viertel, es gibt Parks und in nördlicher Richtung erstreckt sich hinter dem Ernst-August-Kanal in Richtung Dove-Elbe der Wilde Wald.

Hier wächst seit 60 Jahren ein Auenwald mit Weiden und Pappeln. Das Bruchholz bleibt liegen und bietet Insekten und Vögeln Unterschlupf und Nahrung. „Wenn man hier steht, kann man manchmal einen Eisvogel entdecken“, sagt Alexandra Werdes und blickt über den Ernst-August-Kanal Richtung Wald. Werdes wohnt in Wilhelmsburg und ist Mitbegründerin der „Waldretter“-Initiative.

Der Wilde Wald soll bald für das Bauprojekt „Spreehafenviertel“ der IBA gefällt werden und 1.000 neuen Wohnungen weichen. Eine „urbane Nachbarschaft“ ist geplant, Radwege und ein Kinderspielplatz. Werdes, ihre Mitstreiterin Regina Leidecker und andere Anwohner*innen wollen das verhindern. „Der Wilde Wald ist der einzige Wald in Hamburg Mitte“, sagt Leidecker. „Es ist ein Ruhepol für uns, ein Lärmschutz und gerade für Familien und Kitas ein Ausflugsziel.“ Mal eben woanders hinfahren, könnten sich viele auch nicht leisten, meint Werdes.

Auch die IBA selbst sieht im „grünen Charakter“ Wilhelmsburgs Potential. Diesen wolle man erhalten und Dächer und Fassaden der neuen Häuser begrünen. Auch solle der vorhandene Baumbestand „bestmöglich“ in die Quartiersentwicklung integriert werden. So bleibe auch ein Teil des Waldes erhalten.

Auch der Nabu will den Wald erhalten

Die Waldretter wollen den Wald aber komplett erhalten und haben deshalb ein Bürgerbegehren gestartet. Darin fordern sie einen Planungsstopp, um das Vorhaben noch einmal aus ökologischen Gesichtspunkten zu überprüfen. Bis vergangenen Freitag konnten Anwohner*innen des Bezirks Mitte die Petition für den Erhalt des Waldes unterschreiben. Der Nabu unterstützt das Vorhaben, auch Fridays For Future wies auf Demonstrationen auf die Petition hin.

Am Freitagmorgen rechneten Werdes und Leidecker nicht damit, die nötigen rund 6.000 Unterschriften noch zu erreichen. „Es ist schwierig, so ein Anliegen auf Bezirks­ebene stark zu machen“, sagt Werdes. In Wilhelmsburg hätten viele Leute unterschrieben, „aber gehen sie mal nach St. Georg, da wird man sie nur fragen: Was ist bitte das Spreehafenviertel?“. Wilhelmsburg sei eben eine Insel und entsprechend wenig wüssten die anderen Stadtteile über den Wilden Wald.

Dazu komme, dass in Wilhelmsburg selbst nur etwa 60 Prozent der Menschen wahlberechtigt seien. „Ein Großteil der Menschen hier kann seine Interessen nicht politisch geltend machen“, sagt Regina Leidecker. „Und das hier ist das erste Bürgerbegehren, das in Wilhelmsburg je gestartet wurde“, fügt Werdes hinzu. Das zeige auch, wie schwer es sei, hier einen Widerstand aufzubauen.

Die Wohnungsnot ist eines der zentralen Probleme der Stadt. 2016 entschied der damalige Oberbürgermeister Olaf Scholz, jährlich 10.000 neue Wohnungen bauen zu lassen. An diesem Ziel hält die aktuelle rot-grüne Koalition fest. Neben Wilhelmsburg soll unter anderem in Oberbillwerder und Harburg neuer Wohnraum entstehen.

Die Waldretter fordern anstelle des Spreehafenviertels, Wilhelmsburg in westlicher Richtung auszubauen und auch das Ende der Veringstraße mit ihren netten Cafés mit Wohnungen auszustatten. In dieser Richtung beginnt jedoch das Hafengebiet und dort ist Wohnungsbau nicht zugelassen. „Aber unser Wald steht auch auf Industriegebiet“, sagt Regina Leidecker. „Da zu bauen ist nur der leichtere Weg, weil man da der Hafenbehörde nicht in die Quere kommt.“

Der Baubeginn steht noch nicht fest

Die IBA selbst lehnt einen Ausbau Wilhelmsburgs nach Westen ab. „Aufgrund der direkten Nähe zur Industrie, mit den dort verursachten Emissionen, ist eine Wohnbebauung beziehungsweise Quartiersentwicklung nicht möglich“, sagt IBA-Sprecher Arne von Maydall. Wilhelmsburg benötige insgesamt dringend mehr Wohnungen, um die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen.

Entsprechend des Hamburger Drittelmixes seien auch im Spreehafenviertel je ein Drittel öffentlich geförderte Mietwohnungen, frei finanzierte Mietwohnungen und Eigentumswohnungen geplant. Der Baubeginn steht noch nicht fest. Die IBA wollte erst das Bürgerbegehren abwarten.

Obwohl das wohl misslungen ist, geben die „Waldretter“ nicht auf. Viele Anwohner*innen seien jetzt erst auf das Bauprojekt aufmerksam geworden. Darauf will die Initiative aufbauen und Menschen mobilisieren.

„Natürlich nehmen wir Wohnungsnot ernst“, sagt Alexandra Werdes. Doch die Fläche des Wilden Waldes zu bebauen, sei nicht die einzige Möglichkeit, Wohnraum zu schaffen. „Die Planer sind oft gar nicht vor Ort sondern planen von außen“, sagt sie und deutet auf Brombeergestrüpp am Ernst-August-Kanal, gegenüber eines Autoreifengeschäfts: „Hier sollen Bänke zur Erholung entstehen. Mit Blick auf den Reifenhandel und die Autobrücke daneben.“

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5 Kommentare

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  • 0G
    04369 (Profil gelöscht)

    Zur Erinnerung, nach der Sturmflutnacht des 16/17. Februar 1962 waren an jenem Ort die meisten Toten in Hamburg zu beklagen. Dort lebten nach dem Krieg viele Menschen die sich eine Wohnung nicht leisten konten in sogenannten Behelfsheimen. Das sind zum Teil sehr komfortabel ausgestattete Schrebergärten.



    Für viele alteingesessene Wilhelmsburger war und ist es ein Ort der Trauer und des Verlust. Der Ort den man aus nachvollziehbaren Gründen gemieden hat.

    Um die Luftqualität auf Wilhelmsburg zu verbessern schob 1977 der damalige Ortsamtsleiter Dey ein Aufforstungsprogramm für Wilhelmsburg an und so wurden im Rahmen dieses Programms auch Bäume in den größten Wilhelmsburger "Friedhof" gepflanzt. Ein Naherholungsgebiet wurde daraus nicht. Im Gegenteil, einige kriminelle Zeitgenossen kippten dort ihren Müll ab. Insbesondere nachdem die Deponie Georgswerder für das wilde Müll abkippen geschlossen wurde. Auch flüssige Stoffe wie Altöle und Säuren dürften sich hier Boden wiederfinden. Sprich diese Böden sind kontaminiert.

    Ich habe Verständnis dafür dass Menschen möglichst viele Möglichkeiten der "Grünen Erholung" vor der Tür haben möchten. Gibt's doch nichts schöneres als möglichst viel davon in nächster Nähe. Indes, und Bernhard Dey sei Dank, gibt es hier davon reichlich. Ich halte es Angesichts stetig steigender Wasserstände, insbesondere während der Sturmflutzeiten, für fragwürdig ob es richtig ist direkt hinterm Deich noch Wohnungsbau voran zu treiben und sehe die Entwicklung eher kritisch, aber verschont mich bitte mit romantisierenden Begriffe wie Auwald oder Wilder Wald, die die Bedeutung dieses Areals bis zum Kitsch verklären.

  • Schade, dass der Artikel die Aussagen die Initiative so gar nicht hinterfragt. Für viele Wilhelmsburger, die schon etwas länger (!) dort leben, ist das nämlich kein lauschiger Wald und Erholungsort, sondern Angstraum/Gestrüpp/illegale Müllkippe. Auch der niedliche Name "Wilder Wald" ist eine PR-Idee der Ini - im Stadtteil hat das Gebiet nach meiner Kenntnis gar keinen Namen, u.a. da man es ohne Machete kaum betreten kann (und das auch gar keiner will).

  • Wer keine Ahnung von Natur hat kann ein paar Bäume und Büsche eben schon mal mit dieser verwechseln. Tatsächlich ist das Areal aber wie der Großteil des Viertels nach 150 Jahren Hafenindustrie schwer belasted und damit alles Andere als ein unberührtes Biotop.



    Hier zeigt sich leider wieder einmal mehr das mittlerweile sattsam bekannte Muster, dass diejenigen die schon da sind gegen jedwede Veränderung auf die Barrikaden gehen. Das ist dieselbe Motivation die sich zeigte als Eppendorfer gegen eine Flüchtlingsunterkunft mobil machten, die immer wieder dann in Erscheinung tritt wenn auf dem Land gegen Windräder und Stromleitungen die für die Energiewende unerlässlich sind agitiert wird und nun geht man eben in Wilhelmsburg gegen den so dringend benötigten Wohnungsneubau vor, von dem immerhin ca. 330 in Sozialbindung geplant werden. Dass man als Alternative Flächen vorschlägt die selbst die Behörden für gesundheitlich unzumutbar halten (die Emissionen der dicken Pötte sind in der Tat ein Problem), macht vollends klar wessen Geistes Kind man ist und die Alternative zur Nachverdichtung bedeutet schlichtweg, dass sich immer mehr Menschen Hamburg nicht mehr leisten können und mit endlosen Arbeitswegen in Peripherie und Umland abgedrängt werden.

    • @Ingo Bernable:

      Die Initiative schreibt auf ihrer Webpräsenz von "Netto-Null Flächenverbrauch" und erklärt zum Problem der Wohnungsnot "gleichzeitig müssten bundesweit die ländlichen Infrastrukturen gestärkt werden, um Migration von der Fläche in die Großstädte zu reduzieren."



      In der praktischen Umsetzung bedeutet das die Forderung nach einem Wachstums- und Zuzugsstop sowie die Konsequenz bei Neubauten im Bestand vor Allem in die Höhe zu bauen. Ersteres findet aber, wenn auch nicht durch die Politik sondern durch den Markt vermittelt, längst statt. In den letzten 10-20 Jahren wurden in vielen Dörfern und Kleinstädten entlang der großen Einfallstraßen und Bahntrassen Richtung Hamburg jede Menge Neubaugebiete ausgewiesen die primär von Pendler*innen bewohnt werden die in Hamburg arbeiten. Da hier in der Regel keine Wohnungen sondern Einfamilienhäuser entstehen ist die Ökobilanz dieser Entwicklung hinsichtlich (Flächenverbrauch, Energieverbrauch, Zersiedelung und vermeidbarer Emissionen durch das tägliche Pendeln) massiv schlechter als das von der Initiative angegriffene Projekt. Wenn sie konsequent wären, müsste die Forderung also eher lauten es mit mindestens 20 Etagen zu planen und wenn sie ehrlich wären würden sie nicht den Naturschutz vorschieben sondern erklären, dass sie das Wäldchen eben gern für sich selbst zum Spazieren behalten würden auch wenn das zu Lasten der ohnehin schon überspannten Wohnsituation in der Stadt geht.

  • Ich wünsche den Waldretter*innen viel Erfolg -trotz des ersten Rückschlags!

    Wer einmal in dem Wald war weiß um dessen Schutzwürdigkeit.