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Kritischer Journalismus in UngarnEin Friedhof der Redaktionen

Die Mitarbeiter der ungarischen Onlinezeitung „Index“ suchen eine neue Plattform. Viele haben aus Widerstand gegen die Eigentümer gekündigt.

Menschen in Budapest protestieren Ende Juli für Pressefreiheit und für „Index“ Foto: Bernadett Szabo/reuters

Budapest taz | Ungarn ist ein überfüllter Friedhof redaktioneller Träume. Und seit in der vergangenen Woche das Portal Index.hu seine redaktionelle Unabhängigkeit verloren hat, steht da ein neues Grab. Viele der Reporter und Redakteure, die in der vergangenen Woche gekündigt haben, müssen derzeit noch im schmucklosen Büro von Index arbeiten, um das größte ungarische Nachrichtenportal gemäß dem Willen des Eigentümers am Leben zu halten.

Neue Mitarbeiter werden bereits rekrutiert, im Wesentlichen Streikbrecher. In der Mitte des Raums steht ein großer runder Tisch, hier wird üblicherweise der stärkste Nachrichtenmotor des Landes auf hoher Drehzahl gehalten, aber jetzt veröffentlichen die Diensthabenden kaum einen Artikel pro Stunde. Sie stellen stattdessen ihre alten und bissigsten Recherchen wieder auf die Frontseite. Es wird getrauert, Menschen umarmen sich, manche weinen. Andere witzeln gequält oder schauen apathisch.

Nur ihre Zukunft können sie kaum besprechen. Ihr Anker in dieser schweren Zeit wäre ­Szabolcs Dull, der Chefredakteur, doch der wurde vergangene Woche gefeuert. Geschäftsleute aus dem Umfeld Viktor Orbáns, denen das Unternehmen mitgehört, hatten seine Entlassung durchgesetzt, weil er sich gegen eine Umstrukturierung der Redaktion ausgesprochen hatte, durch die er die Unabhängigkeit der Redaktion in Gefahr sah. Er darf das Büro nicht mehr betreten, genauso wie einige weitere „Querulanten“, die für die Dauer der Kündigungsfrist beurlaubt sind. Die Gruppe ist auseinandergerissen, die Kommunikation läuft übers Netz, auf Kanälen, die sie abhörsicher wissen.

Die ehemaligen Indexler werden zudem von ihren Verträgen eingeschränkt: Die Redakteure um Dull dürfen nach dem Ablauf ihrer Arbeitsverhältnisse sechs Monate nirgendwo anders Inhalte erstellen. Streng genommen dürften sie sich nicht einmal über Facebook an ihr Publikum wenden. Trotzdem gibt es dort seit Freitag eine Seite von denen, die Index verlassen. Den Slogan des alten Arbeitgebers, „Index, es gibt kein Anderes“, haben sie geändert: „Wir wollen ein Anderes“.

Unabhängige Infos für alle politischen Lager

Dem Publikum scheint es ähnlich zu gehen. Nach fünf Tagen hat die Seite 260.000 Follower, neben ideellem Zuspruch bekommen die Journalisten materielle Offerten von allen Seiten. Kostenlos könnten sie ein neues Büro beziehen, es wird ihnen IT-Hilfe angeboten und natürlich Geld. Annehmen können sie noch nichts. Sie wollen alles so sauber und transparent halten wie möglich.

Index.hu war auch für viele Wähler der Regierungspartei eine unabhängige und vor allem unausweichliche Informationsquelle. Ein Ersatz für die Öffentlich-Rechtlichen, die längst nicht mehr unabhängig sind. Dieses Prädikat wollen sich die Journalisten auch erhalten. Dabei ist ausgerechnet ihre unerwartete Einheit und Geschlossenheit zum Problem geworden.

90 Leute zählt die Liste derer, die gekündigt haben oder wurden. Ein paar Dutzend Leute könnten vielleicht ein Rettungsboot für sich zimmern oder bei einer anderen unabhängigen Redaktion unterkommen und von dort aus geeint wieder eine Marktdominanz anpeilen. Aber 90 Journalisten beherbergt in Ungarn zurzeit einzig die zwangsvereinigte Nachrichtenredaktion der Staatsmedien. Die Mitarbeiter der Index-Gruppe könnten mit einer Arche nichts anfangen, sie bräuchten einen Flugzeugträger.

Als die größte Tageszeitung des Landes, Népszabadság, bei einer feindlichen Übernahme 2016 geschlossen wurde, planten die Redakteure einen Neustart und suchten nach einem Investor – vergebens. Kein ungarisches oder ausländisches Verlagshaus wagte es, eine Zeitung neu zu verlegen, die auf Geheiß Orbáns geschlossen worden war. Der Medienmarkt vor vier Jahren war aber immerhin groß genug, die etwa 70 Journalisten aufzunehmen.

In Bewegung statt erstarrt

Als vor zwei Jahren die konservative Tageszeitung Magyar Nemzet geschlossen wurde und sich wieder eine stolze Redaktion auf der Straße fand, hatte diese keine Hoffnung mehr auf eine Einstellung bei anderen. Sie gründeten eine Wochenzeitung. Mit viel Mut und sehr viel Leidensfähigkeit können sie ein Dutzend Journalisten im Beruf halten. Aus einer Auflage von täglich 17.000 wurde ein Wochenmagazin mit 11.000 Käufern.

Aus dem ehemals freien Portal Origo mit fast hundert Kollegen wurde die Rechercheplattform Direkt36 mit sechs angestellten Journalisten. Nach der Einstellung der Wochenzeitung Heti Válasz schrumpfte das Blatt zu Válasz Online ohne eigene redaktionelle Räume. Orbán hat mit jedem Schlag seine Dominanz in den ungarischen Medien weiter ausbauen können.

Die Journalisten von Index haben in der vergangenen Woche für eine Sternstunde der ungarischen Demokratie gesorgt. Sie sind nicht erstarrt, als ihre Redaktion angegriffen wurde, wie so viele Medien, Einrichtungen, Universitäten zuvor. Hunderttausende dürften dafür dankbar sein. Mehr und mehr Menschen verstehen, dass es Qualitätsjournalismus nicht umsonst gibt. Es hängt nun an ihnen und an dem Geschick der Index-Waisen, ob in Ungarn noch Wunder möglich sind.

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1 Kommentar

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  • "Dem Publikum scheint es ähnlich zu gehen. Nach fünf Tagen hat die Seite 260.000 Follower, neben ideellem Zuspruch bekommen die Journalisten materielle Offerten von allen Seiten. Kostenlos könnten sie ein neues Büro beziehen, es wird ihnen IT-Hilfe angeboten und natürlich Geld. Annehmen können sie noch nichts. Sie wollen alles so sauber und transparent halten wie möglich."

    Kann die TAZ berichten wann wir helfen können?

    Vielleicht kann Index auch ein Englischen Teil schreiben, damit ganz Europa weiß was in Ungarn los ist und Unterstutzer aus ganz Europa zumindest ein Teil des Angebot lesen können.