piwik no script img

Werber über ökosoziale Marktwirtschaft„Ich möchte ich selbst sein“

Raphael Brinkert ist preisgekrönter Werber und setzt mittlerweile auf soziale Projekte. Ein Gespräch über Konsum, Fußball und seinen Sohn.

Hat als Schüler in der Bäckerei der Familie ausgeholfen: Raphael Brinkert Foto: Miguel Ferraz
Jan Freitag
Interview von Jan Freitag

taz: Herr Brinkert, wie wirbt man für Werte, die weniger Rendite versprechen als Produkte?

Raphael Brinkert: Indem man sich bewusst wird, dass eine wertebasierte Kommunikation langfristig gesehen die viel größere Rendite verspricht: Die Förderung eines besseren und nachhaltigeren Konsums. Ich glaube an die ökosoziale Marktwirtschaft, den Einklang von Ökonomie, Ökologie unter sozialen Voraussetzungen.

Das wäre die volkswirtschaftliche Antwort. Für den Chef einer Kommunikationsagentur stellt sich aber noch die betriebswirtschaftliche Frage nach kurzfristigen Erträgen, um Personal und Miete zu bezahlen.

Die sind in der Tat herausfordernder. Aber weil wir keinem Network, Aktionär oder Investor, sondern uns selbst rechenschaftspflichtig sind, müssen wir nur den eigenen Profit­erwartungen gerecht werden. Wir verzichten gern auf Umsätze und Renditen, die wir mit Tabak- und Rüstungskonzernen oder auch Unternehmen wie Nestlé verdienen könnten.

Mit Ihrer Erfahrung und Kompetenz könnten Sie also bedeutend mehr verdienen?

Bei meiner letzten Station hatte ich zuletzt mehr als das Doppelte verdient. Mit unserer jetzigen Agentur verfolgen wir eine andere Auffassung und Zielsetzung. Beides hat seine Berechtigung. Es ist für ein Land existentiell, dass Unternehmen Profite machen und Inhaber für die Risikoübernahme entlohnt werden. Ob man bereit ist, zugunsten von Werten auf Zusatzeinnahmen zu verzichten oder sich fragt, an wen der Gewinn in welchem Umfang verteilt wird, darin unterscheiden sich die Konzepte. Per se ist die Arbeit in vielen Teilen vergleichbar.

Sie haben bei Jung von Matt also dieselbe Arbeit gemacht wie beim Social Campaigning in der eigenen Agentur?

Absolut, und es hat großen Spaß gemacht, für große Marken arbeiten zu dürfen. Sowohl bei Scholz & Friends als auch bei Jung von Matt habe ich vieles gelernt, was auch jetzt zur Anwendung kommt. Etwa das Gespür für Kreation und für strategische Markenkommunikation über alle Kanäle hinweg. Als Unternehmerkind war es da ohnehin schon früh ein Gedanke, mich selbstständig zu machen. Für den heutigen Zeitpunkt war allerdings zwei Ereignisse prägend.

Raphael Brinkert

42, geboren im westfälischen Haltern am See, ist Deutschlands meistausgezeichneter Marketingexperte im Bereich Sport und hat mehr als 400 Branchenpreise gewonnen. Von 2000 bis 2010 war er für die Hamburger Agentur Scholz & Friends tätig, bevor er zu Jung von Matt wechselte. Vor zwei Jahren machte sich der Familienvater selbstständig und legt seinen Schwerpunkt seither auf social campaigning.

Welche?

Die Geburt von Robin, der mit dem Down-Syndrom zur Welt kam. Und unser Engagement in der Flüchtlingskrise mit der eigenfinanzierten Kampagne „Jeder hat das Recht auf Menschenrecht“. Aber insbesondere mein Sohn lehrt mich bis heute, dem Alltag mehr Wertschätzung entgegenzubringen und vieles nicht als Selbstverständlichkeit zu sehen. Dass Wertekommunikation Produkte befruchtet statt ausschließt, zeigt da unsere aktuelle Arbeit für einen extrem nachhaltigen Möbelhersteller.

Aber wie sind Sie mit diesem Wertekanon überhaupt in die oberflächliche, profitorientierte Werbebranche geraten – haben Sie schon in der Schule Panini-Bilder gehandelt?

Getauscht ja, gehandelt nein. Ich komme aus einer Familie mit eigener Bäckerei und Konditorei. Als ich mit 16 gemerkt habe, dass es für Profifußball nicht reicht, wollte ich Richtung Unternehmensberater, Sportjournalist oder Werbung gehen. Kommunikation hat mich schon seit klein auf begeistert.

Wenn Sie Kommunikation sagen, klingt das zwar sozial, meint aber am Ende Marketing, also Verkaufen. Warum wurde es der kommerzielle Strang?

Ich möchte Menschen mit Kommunikation dafür begeistern, sich für die richtige Sache, das richtige Produkt, die richtige Person zu entscheiden.

Das klang grad wie Marketing …

Sie haben recht, kann man so nennen, aber Verkaufen reicht mir nicht. Ich möchte mit unserer Markenkommunikation für Vereine, Verbände, Unternehmen und Personen auch überraschen und unterhalten. Mein Schwerpunkt lag schon vor meiner Selbstständigkeit eher auf Institutionen als Konsumgüterherstellern.

Sind Sie auch abseits der Arbeit jemand, der andere begeistert?

Wenn ich von etwas überzeugt bin und daran glaube, absolut.

Also waren Sie auch Schulsprecher?

Dafür fand ich Schule nicht interessant genug, da saß ich eher in den hinteren Reihen und öfters auch vor der Tür. Außerdem musste ich früh Verantwortung übernehmen, habe oft in der Bäckerei ausgeholfen und deshalb ein paarmal mehr als üblich im Unterricht gefehlt.

Sind Sie denn ein Strippenzieher oder positiver ausgedrückt: Netzwerker?

Ein Stück weit schon, aber weit davon entfernt, Lobbyist zu sein, denn dafür müsste ich in andere Rollen schlüpfen. Das wollte ich nie. Ich möchte möglichst viele Stunden ich selbst sein und machen, was mir Freude bereitet. Wenn ich damit Geld verdienen kann: toll! Schon in der D-Jugend meines Heimatvereins TuS Haltern am See habe ich mit Teamkollegen eine Mannschaftszeitung geschrieben, kopiert, getackert; Sport, Kommunikation, Gesellschaft lagen bei mir also schon früh nah beieinander.

Und wo steht der TuS Haltern heute?

Zuletzt Regionalliga West. Wir haben aber freiwillig zurückgezogen und setzen in der Post-Corona-Zeit eine Klasse tiefer auf Spieler aus dem Nachwuchs und der eigenen Stadt.

„Wir“ klingt nach alter Verbundenheit …

Ich bin derzeit noch Marketingleiter und Strategiechef, allerdings mehr als Hobby nebenbei.

Und sind Fan von?

Schalke 04. Ein zu komplexes Thema, um es in einem Satz zu beantworten.

Dann in zwei Sätzen: Warum haben Sie Ende 2018 die erste eigene Agentur ausgerechnet am Tag der deutschen Einheit gegründet?

Weil wir damit aus Kostengründen den Agenturgeburtstag mit der Weihnachtsfeier kombinieren können und im Oktober noch überall einen Tisch finden. Scherz beiseite: Die Wiedervereinigung ist das herausragende Ergebnis des positivsten und erfolgreichsten bürgerlichen Engagements in unserem Land. Es ist unser größtes Vorbild.

Der Marketingexperte sieht also auch in den Leipziger Montagsdemos vor allem Kommunikation?

Erst Mund-zu-Mund-Propaganda und Medialisierung machten aus Demonstrationen eine Bewegung, die in Mauerfall und Wiedervereinigung mündete. Unsere zentrale Büronummer lautet dementsprechend auch nicht 0815, sondern 0170.1990103, und unsere erste Arbeit für eine Versicherung handelte von Weltoffenheit. Zum gesellschaftlichen Schwerpunkt kam erst jetzt, mit der vollständigen Trennung von Jung von Matt, auch wieder das Thema Sport. Endlich.

War er bei Ihrem Einstieg vor 20 Jahren schon die Marketingmaschine von heute?

Nein, da wurde er noch fast ausschließlich aus Vertriebs- und Merchandisingsicht betrachtet, es ging eher um Sponsoren und T-Shirts. Erst durch Digitalisierung und Medialisierung hat sich der Sport abseits der Spielfelder professionalisiert.

Als sich der depressive Nationaltorwart Robert Enke, für dessen Stiftung Sie tätig sind, vor elf Jahren das Leben genommen hat, wurde der Profisport plötzlich mit anderen, menschlicheren Augen gesehen. War das auch für Sie ein Wendepunkt?

Es gibt Ereignisse, bei denen jeder weiß, wo er währenddessen war – der Mauerfall zum Beispiel oder 9/11. Ich weiß bis heute, wo ich von Robert Enkes Freitod erfahren habe. Das hat mich nachdenklich gemacht. Trotzdem war mir der Druck, unter dem Fußballprofis stehen, schon deshalb auch vorher bewusst, weil ich viele von ihnen persönlich kenne.

Und teilweise auch betreuen wie Leon Goretzka oder Arne Friedrich. Woran erkennen Sie, ob es ein Fußballprofi ernst meint mit seinem gesellschaftlichen Engagement oder ob er sich nur sein Image aufpolieren will?

Zum einen durch die persönliche Bekanntschaft, zum anderen durch genaue Prüfung, ob das Engagement nachhaltig ist, substanziell. Und das ist sowohl bei der Kinderstiftung von Arne Friedrich als auch beim Corona-Hilfsprojekt von Leon und Joshua Kimmich absolut der Fall. Wie Arne und die beiden sich jeweils reinhängen, beeindruckt mich sehr. Gleiches gilt für Teresa Enke, die seit zehn Jahren immer wieder aufs Thema Depression aufmerksam macht und sich gemeinsam mit DFB, DFL und anderen für die Robert-Enke-Stiftung engagiert.

Gibt es für PR-Leute mit Nachhaltigkeitsanspruch eigentlich ein richtiges Leben im falschen?

Digitalisierung, die das Beste und Schlechteste im Menschen zum Vorschein bringt, kann aus meiner Sicht dazu beitragen, Missstände öffentlich zu machen. Dazu gehört, die Substanz hinter dem Veränderungswillen der Menschheit zu erkennen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich selbst bin schon qua Profession kein Konsumkritiker, aber ich kann mit Kommunikation beitragen, dass unser Konsum sozialer und nachhaltiger wird.

Zum Beispiel?

Wenn der Konsument etwa sieht, unter welchen Bedingungen Billigfleisch produziert wird, reduziert sich die Nachfrage, davon bin ich überzeugt. Es ist auch hier eine Frage der Kommunikation, notfalls auch einer Penetration der Kommunikation, wie wir es an den Schock-Fotos auf den Zigarettenschachteln sehen. Trotzdem lehrt uns die Geschichte, dass sich die Menschheit am Ende immer selbst bekämpft.

Glauben Sie, dass die Coronakrise daran etwas ändert?

Ich hoffe schon. Wenn ich allerdings höre, dass der Anteil für den Klimaschutz im Rettungspaket der EU von 40 auf 10 Milliarden gekürzt wurde, bin ich skeptisch. Ich habe voriges Jahr den derzeit einzigen demokratischen Radiosender in Nordsyrien besucht, dem wir bei der Kommunikation helfen wollen.

Mit welchem Claim?

Arta FM – Wir senden Hoffnung. Genau das macht der Sender täglich, steht aber vor der Herausforderung, dass die Menschen vor Ort teilweise nur eine Stunde Strom am Tag haben. Und wenn man dann einen Kilometer entfernt von der Grenzmauer zur Türkei steht, die auch mit deutschen Steuergeldern finanziert wurde, wird einem bewusst, welch unglaubliches Glück wir bei der Geburtslotterie hatten.

Wenn Sie im beruflichen Alltag permanent das Ganze vor Augen haben, also alle gesellschaftlichen Aspekte – macht es Ihre Arbeit da zur politischen?

(Überlegt lange) Ja, definitiv.

Führt diese Erkenntnis dazu, irgendwann parteipolitisch aktiv zu werden?

Es war sehr lehrreich, im Europawahlkampf persönlich für Angela Merkel arbeiten zu dürfen. Wenn ich mir das Arbeits­pensum und den Verzicht auf Privatsphäre von Politikern betrachte, bleibe ich aber doch lieber Kleinunternehmer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!