Verfremdete Werbeplakate in Hamburg: Zu schön, um wahr zu sein
Eine Adbusting-Gruppe hängt Plakate auf, die aussehen wie Werbeplakate der Stadt, inhaltlich aber unter anderem Kommerzialisierung kritisieren.
Natürlich stimmt das – leider, muss man ja sagen – nicht. Zwar ist das Layout auf den ersten Blick identisch mit den anderen Plakatmotiven, die die Stadt Hamburg zu Informations- oder Werbezwecken aufhängt, doch die Details verraten, dass es sich hier um einen Fall von Adbusting handelt, also um Werbeplakate, die verfremdet oder neu gestaltet werden, um politische Botschaften zu verbreiten oder den ursprünglichen Sinn lächerlich zu machen.
Schon vor einigen Wochen hingen in Hamburg ein paar Plakate dieser Art etwa an Bushaltestellen. Sie stammten alle von derselben Gruppe. Sie nennt sich „Bustie the Crew“ und besteht aus einer Handvoll Mitgliedern. „Wir haben es satt, dass der öffentliche Raum mit Werbung durchkommerzialisiert ist“, sagt Michel*. „Ich wurde nicht gefragt, ob ich dauerbeworben werden will.“
Das Schlagermove-Plakat hat er am Dienstagmorgen um 8 Uhr in orangefarbener Warnweste in den Werbekasten an der Bushaltestelle auf der Reeperbahn aufgehängt. Natürlich könne man das auch nachts im Schutz der Dunkelheit machen, aber die meisten Passant*innen interessierten sich ohnehin nicht dafür, was neben ihnen aufgehängt werde. „Je auffälliger, desto unauffälliger“, sagt Michel. Am Ende bleibe es aber ein Glücksspiel, ob man erwischt werde oder nicht.
Michel, Mitglied der Gruppe „Bustie the Crew“
Kennengelernt haben sich die Hamburger Adbuster*innen bei einem Workshop. Manche sind zumindest semiprofessionelle Grafikdesigner*innen. Gerade wenn Hamburgs Corporate Identity kopiert werden soll, ist das auch nötig. Andere halten es dagegen bewusst einfach und greifen zu Edding oder Buntstiften.
Dass die Gruppe jetzt gemeinsame Aktionen gestartet hat, hat mehrere Gründe. Da ist zum einen die Coronapandemie. Demos und andere politische Aktionen sind rar. Neben digitalen Aktionen ist Adbusting eine der wenigen Möglichkeiten, dennoch mit politischen Äußerungen den öffentlichen Raum zu bespielen. „Zudem ist es vergleichsweise niedrigschwellig und macht Spaß“, sagt Michel. Und dann sei da mit der neuen alten rot-grünen Koalition in der Stadt auch noch ein Adressat, an dem es einiges zu kritisieren gebe. „Wir wollen da nochmal auf ein paar Themen hinweisen, die von der Koalition nicht beachtet werden“, sagt Michel. Zum Beispiel eben die Frage, wie viel Großveranstaltungen eine Stadt wie Hamburg verträgt. Vor allem aber gehe es darum, sich den öffentlichen Raum wieder anzueignen.
Zu öffnen sind die Werbekästen der Wall GmbH, in die die Adbuster*innen ihre Fake-Plakate hängen, mit einem simplen Sechskant-Rohrsteckschlüssel aus dem Baumarkt. Die Betreiberfirma sagt, dass das immer mal wieder vorkomme und man die Plakate dann einfach so schnell wie möglich wieder entferne. Ähnlich gelassen klang es anfangs auch bei der Stadt, als vor einigen Wochen die ersten Plakate auftauchten. Auch wenn mittlerweile das Landeskriminalamt wegen der Plakate ermittelt, habe man sich selbst bei der Verkehrsbehörde ein Schmunzeln nicht verkneifen können, heißt es dort.
Dass die Behörden Adbusting nicht immer mit Humor nehmen, hat die Vergangenheit gezeigt. Da hat das Bundesamt für Verfassungsschutz Adbusting schon mal unter „gewaltbereiten Linksextremismus“ eingeordnet. Und in Berlin gibt es Fälle, bei denen DNA-Spuren gesichert, Häuser und Wohnungen durchsucht und Fingerabdrücke genommen wurden. „Wer diese Aktionsform als ‚gewaltbereit‘ einordnet, sollte sich wirklich schämen“, sagt Michel dazu.
In den kommenden Tagen wollen die Leute von „Bustie the Crew“ noch weitere Plakate in Hamburg aufhängen. Themen gebe es genug: „Bei den nächsten Plakaten wird es um die Kreuzfahrt- und Naziproblematik in der Stadt gehen“, sagt Michel.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Plan für Negativ-Emissionen
CO2-Entnahme ganz bald, fest versprochen!